Eine überdimensionale Luftröhre: Das Krabbeln durch den Asthma-Tunnel soll den Kindern helfen, ihre Krankheit besser zu verstehen. Foto: Fachkliniken

Fast jedes fünfte Kind, fast jeder fünfte Jugendliche leidet unter schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Ein neues Gesetz verbessert nun die Möglichkeiten der Rehabilitation.

Wangen/Allgäu - Es ist ein herrlicher Tag in Wangen im Allgäu. Die Sonne sorgt für frühlingshafte Temperaturen, die Natur entfaltet ihre Pracht, und rechtzeitig haben die Cafés im Ort ihre Stühle nach draußen gestellt, um Besucher anzulocken. Es riecht nach Urlaub hier in der oberschwäbischen Idylle unweit des Bodensees. Doch zum Vergnügen ist Daniele Schröder nicht aus dem hessischen Borken angereist. „Wir müssen hart arbeiten“, sagt sie.

Das deutet schon die Wahl des Domizils an: die Fachkliniken Wangen, vor den Toren der Stadt auf einer Anhöhe gelegen. Daniele Schröder ist mit ihrer Tochter Lilly hier fünf Wochen lang zur Rehabilitation. Seit ihrer Geburt leidet das sechsjährige Mädchen unter Neurodermitis, unter schwerstem Asthma bis hin zu sogenannten anaphylaktischen Reaktionen und Nahrungsmittelallergien. Selbst Spuren von Haselnüssen oder Ei in der Nahrung setzen Lilly so heftig zu, dass ein normales Leben kaum möglich ist. „Ohne Notfallset“, sagt die Mutter, „gehen wir nie aus dem Haus.“ Medizinische Behandlungen sollen Verbesserungen bringen.

Die Mutter muss das Loslassen lernen

Für das Kind geht es aber nicht zuletzt auch darum, rechtzeitig vor der Einschulung die Selbstständigkeit zu üben: Bisher traut sich Lilly kaum alleine irgendwohin. Und für die Mutter wie für die eigens mitgereiste Zwillingsschwester Lena heißt es im Gegenzug, loslassen zu können. „Da sind wir schon einige Schritte weitergekommen“, sagt Daniele Schröder.

So wie der kleinen Lilly geht es vielen Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Nach einer großen Studie des Robert-Koch-Instituts in Berlin leidet fast jeder Fünfte der Gruppe im Alter bis zu 17 Jahren an einer chronischen Krankheit – Tendenz steigend. Unter dem Strich dürften zwei bis drei Millionen Buben und Mädchen durch irgendeine Malaise deutlich beeinträchtigt sein. Betroffen sind sehr häufig die Atemwege, es geht um psychische und soziale Störungen, um Allergien, aber auch Fettleibigkeit und Überernährung gehören zu den häufigsten Diagnosen. Immer damit verbunden sind fundamentale Einschränkungen im Alltag, die oft den Schulbesuch und eine spätere Ausbildung erschweren.

Linderung verspricht in solchen Fällen eine ganzheitlich angelegte Rehabilitation. Doch diese war bisher nur eine freiwillige Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung. Seit Anfang des Jahres ist dies anders. „Wir sind froh, dass der Rahmen deutlich erweitert wurde“, sagt Alwin Baumann, der Klinikleiter in Wangen und zugleich der Sprecher des Bündnisses für Kinder- und Jugendreha. Viele Jahre lang hat die Initiative gekämpft: Jetzt sorgen Passagen im „Flexirentengesetz“ dafür, dass künftig deutlich mehr gesundheitlich beeinträchtigten und chronisch kranken Kindern und Jugendlichen geholfen werden kann.

26 Millionen Euro für eine bessere Prävention

Erst dieser Tage hat der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) beklagt, dass die Zahl der stationären Kinderrehabilitationsmaßnahmen seit 2007 kontinuierlich zurückgegangen sei. Das soll sich nun ändern. Der Gesetzgeber jedenfalls rechnet durch die jüngsten Neuerungen mit zusätzlich 7000 Anträgen pro Jahr. Das Bundesarbeitsministerium erwartet, allein in diesem Jahr etwa 26 Millionen Euro mehr für die Vorbeugung auszugeben. „Das Geld steht zur Verfügung“, betonte jüngst Susanne Weinbrenner von der Deutschen Rentenversicherung (DRV).

Schon bisher sind per anno mehr als 31 000 Buben und Mädchen über die DRV in den Genuss einer stationären Therapie gekommen. Künftig würden auch ambulante Maßnahmen finanziert, sodass eine gezielte Nachsorge möglich sei, wie Baumann betont: „Dadurch wird der immer wieder erhobene Vorwurf entkräftet, dass die positiven Effekte der Reha nach einem Jahr verpufft sind.“

50 Fachkliniken bieten Spezialangebote

Bundesweit etwa 50 Kliniken sind spezialisiert auf Rehas für chronisch kranke Kinder und Jugendliche. Im Südwesten sind es sechs Einrichtungen von Mosbach im Neckar-Odenwald-Kreis über Feldberg im Schwarzwald – bis hin nach Wangen im Allgäu. Beim Gang durch die Fachkliniken dort wird deutlich, wie differenziert das Angebot ausfällt. Jeder Patient erhält einen ausgetüftelten Stundenplan, bei dem angesichts des engen Takts keine Langeweile aufkommt. Es gibt theoretische Schulungen gegen einzelne Krankheitsbilder ebenso wie praktische Übungseinheiten, ärztliche Betreuung gehört dazu, viel Bewegung steht auf dem Programm. Und natürlich verfügt die Fachklinik über eine eigene, vom Land getragene Schule, in der von der Werkrealschule bis hin zum Gymnasium und für jede Altersstufe die adäquaten Fächerkombinationen vorgehalten werden.

150 Betten haben die Fachkliniken Wangen, die dem Haus Waldburg-Zeil gehören, im Bereich der Reha. Zurzeit bauen sie einen neuen Appartement-Komplex, um kleineren Kindern, die mit der Mutter oder dem Vater und gegebenenfalls Geschwistern anreisen, eine moderne Unterkunft zu bieten. Ältere Kinder und Jugendliche kommen meist allein – so wie Judith und Anna (Namen geändert), 17 und 18 Jahre alt. Beide sind aus eigenem Antrieb hier. Judith, um abzunehmen. 7,2 Kilogramm hat sie in den ersten zwei Wochen schon herunterbekommen und ist sichtlich stolz. Während sie bei einem großen Autobauer schon eine Lehrstelle sicher hat, sucht die mit Asthma kämpfende Anna noch Berufsmöglichkeiten. Manche Pläne haben sich wegen der Krankheit zerschlagen – der Aufenthalt im Allgäu soll auch helfen, den richtigen Weg zu finden.

Und so ist es kein Zufall, dass Berufsberatung keine unwesentliche Rolle spielt in der Reha, denn ein Ziel der Rentenversicherung ist es, den chronisch Kranken berufliche Perspektiven zu eröffnen und damit Beitragszahler zu gewinnen. „Es geht letztlich darum, früh Weichen für eine erfolgreiche Erwerbsbiografie zu stellen“, sagt der Tübinger Bundestagsabgeordnete Martin Rosemann (SPD), der das neue Gesetz mit angeregt hat. Nur so könnten die Kinder später für sich selbst sorgen.

Chronische Beschwerden

Krankheiten

Immer mehr Buben und Mädchen sind chronisch krank – und dadurch teilweise extrem beeinträchtigt. Pro Jahr hat allein die Deutsche Rentenversicherung zuletzt fast 32 000 Reha-Maßnahmen für Kinder und Jugendliche finanziert mit einem Betrag von rund 170 Millionen Euro. Bei den Diagnosen stehen Atemwegserkrankungen an erster Stelle, gefolgt von psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten, Adipositas und Hauterkrankungen wie Neurodermitis.

Behandlung

Die Kliniken in Wangen im Allgäu zählen bundesweit zu den führenden Fach- und Spezialhäusern für Atemwegserkrankungen, Allergien, psychosomatische Erkrankungen und schwerste neurologische Erkrankungen. Neben vier Akutkliniken befindet sich auf dem Gelände unter anderem auch die Rehabilitationsklinik für Kinder und Jugendliche, in der sich die Patienten im Durchschnitt rund fünf Wochen aufhalten.