Erschütterndes Bild aus dem Krieg in Donezk: Zerstörte Fahrzeuge am Busbahnhof Foto: dpa

Die vom Krieg beschädigte Donbass- Arena ist derzeit ein humanitäres Hilfszentrum – der dort beheimatete Fußball-Club Schachtjor Donezk spielt an diesem Dienstag (20.45 Uhr) trotzdem in der Champion League. Im Exil.

Lemberg - Am Tag, an dem begonnen werden soll, die schweren Waffen aus dem Kriegsgebiet im Donbass abzuziehen, spielt der FC Schachtjor Donezk gegen den FC Bayern München. Aber nicht in der heimatlichen Konfliktregion, in der selbst ernannten „Volksrepublik Donezk“, sondern im rund 1000 Kilometer entfernten Lemberg.

Man kann sich kaum einen krasseren Gegensatz vorstellen: Auf der einen Seite die militärische Schlacht der Ukraine um Einheit und Europa, auf der anderen der sportliche Kampf des ukrainischen Meisters in Europas Glamour-Liga. Und dennoch: Schachtjor Donezk ist zum Symbol für die Tragödie eines zerbrochenen Landes geworden.

Schachtjor-Fans Teil der ukrainischen Proteste

Es ist eine Ironie der Kriegswirren in der Ukraine, dass der Club aus dem Grenzgebiet zu Russland ausgerechnet ins Grenzgebiet zum Westen ausweicht. Die Skepsis war groß, als Schachtjor statt Charkiw die zum Weltkulturerbe zählende Hauptstadt Galiziens als vorübergehende Heimstätte wählte. Das russophile Donezk im Osten und das patriotische Lemberg im Westen galten in der vergangenen Dekade als politische Gegenpole. Doch Feindseligkeiten blieben aus.

Die Schachtjor-Fans spielten eine führende Rolle in den ukrainischen Protesten gegen die Separatisten in Donezk. Durch diese Unterstützung für die Einheit der Ukraine habe der Club neue Anhänger im traditionell patriotischen Westen gewonnen, schrieb die Zeitschrift „Business Ukraine“.

„Die Spieler dieser Mannschaft aus Donezk fühlen sich in Lemberg wie zu Hause“, sagt Bürgermeister Andriy Sadovyj (46), „seit dem Umzug ist die Arena in Lemberg voll, weil man hier den Fußball liebt. Jede Familie hat einen Freund oder einen Verwandten, der im Osten in den Regierungstruppen kämpft.“ Alle Spiele Schachtjors seien sportlich und organisatorisch reibungslos abgelaufen. „Unsere Aufgabe“, erklärt Sadovyj, „ist es, im Stadion und in der Stadt die Sicherheit zu gewährleisten.“ Auch für den proeuropäischen Bürgermeister persönlich. Am 25. Juli 2014 schlug nachts eine Panzerabwehrrakete in Abwesenheit des fünffachen Vaters und seiner Familie in dessen Wohnhaus ein.

Auch humanitär auf dem Schlachtfeld präsent

Schachtjor (auf Deutsch: Bergmann) ist nicht nur sportlich auf dem Spielfeld, sondern auch humanitär auf dem Schlachtfeld präsent. Der Fußball-Meister, sein milliardenschwerer Besitzer Rinat Achmetow (48) und dessen vor sechs Jahren für 175 Millionen Euro erbautes Prunkstadion versinnbildlichen mit ihrer Ambivalenz die Absurdität des Konflikts. In der kriegsbeschädigten Donbass-Arena wird nicht mehr Fußball gespielt, sondern notleidenden Menschen geholfen. Der Ufo-ähnliche Glaspalast der EM 2012 dient der Rinat-Achmetow-Stiftung als logistisches Hilfszentrum.

„Am Montag, 9. Februar, werden in der Donbass-Arena Kinderpakete an Familien aus Donezk und Makiivka verteilt.“ Dieser Hinweis an die leidende Zivilbevölkerung war auf der Website von Schachtjor Donezk zu lesen. Zwischen sportlichen Meldungen aus dem Trainingslager in Spanien. Unter der Rubrik „Neuigkeiten“ stand vergangene Woche an erster Stelle das Video der geordneten Verteilung der Lebensmitteltüten im Fanshop des Stadions.

Als der Bürgerkrieg zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee immer mehr zivile Opfer forderte, hatte Achmetow das Humanitarian Center AID + HELP gegründet. Der Oligarch ließ mit Lastwagen-Konvois tonnenweise Lebensmittel aus Dnjepropetrowsk heranschaffen. Schachtjor-Mitarbeiter, -Fans und -Helfer verteilten im Januar in der Donbass- Arena bis zu eine halbe Million Hilfspakete mit dem Aufkleber: „Humanitäre Hilfe. Nicht zum Verkauf“.

Gleichzeitig hielt eine Überwachungskamera heftige Artillerie-Einschläge in der Donbass-Arena fest. Und ein Drama. Das Video zeigt ein Mädchen, das im Schusswechsel über die Straße zum Stadion rennt und von herabfallenden Trümmern verschüttet wird. Es muss wie durch ein Wunder überlebt haben. Denn FC-Generaldirektor Palkin teilte mit, es habe keine Toten gegeben.

Südamerikanische Spieler weigerten sich zunächst, zurückzukehren

Achmetow und seine Mannschaft waren da schon längst vor der eskalierenden Gewalt im Donbass nach Kiew geflohen. Der einstige Kohle- und Stahlmagnat, immer noch der reichste Mann der Ukraine, lenkt sein Firmenimperium SCM jetzt von der Hauptstadt aus. Sein FC Schachtjor fliegt seit Saisonbeginn von Kiew zu den „Heimspielen“ ins Lemberger Exil, ins gemietete EM-Stadion von 2012.

Ausschlaggebend für den Exodus war offenbar der mutmaßliche Abschuss der Boeing 777 der Malaysia Airways mit 298 Toten am 17. Juli 2014. Denn sechs südamerikanische Spieler weigerten sich nach der Tragödie, aus dem Trainingslager in der Schweiz zurückzufliegen. Daraufhin sicherte Achmetow seinem Team, zu dem 13 (!) Brasilianer gehören, den Umzug nach Kiew und Lemberg zu. Seither ist der Kader wieder komplett.

Zumindest in der Champions League bildet das von der Spaltung bedrohte Land eine Einheit mit einem gemeinsamen Publikumsliebling – dem brasilianischen Torjäger Luiz Adriano, der beim 7:0 gegen den weißrussischen Club Bate Borissow mit fünf Toren den Champions-League-Rekord von Lionel Messi einstellte. Die vereinbarte Waffenruhe, sagt Kapitän Darijo Srna, ein Serbe, gebe der Mannschaft „mehr Energie für das Spiel gegen Bayern. Unsere Fans wissen: Wir spielen für sie und für Frieden im Donbass.“