„Heute sitzen wir im Benz“: Capital Bra zelebriert seinen Erfolg. Foto: dpa

Der erfolgreichste Deutsch-Rapper heißt Capital Bra. Am Samstag gastierte er in der Stuttgarter Schleyerhalle. Wer dabei war, erlebte eine Party, bei der Aufsteigerträume zelebriert wurden. Peinlich war das fast nie.

Stuttgart - Es ist 21.30 Uhr und im Gucciland leuchten die Sterne. Capital Bra badet im Schweiß und im Erfolg, zappelt in seinem hyperaktiven Dauermodus über die Bühne und spuckt seine Reime aus, die von einer Welt handeln, in der die Scheine lila, die Träume groß und die Autos fett sind. Er ist Bra, der Joker, Bratan, und wer’s nicht wusste, weiß es jetzt: „Gestern waren die Platten grau/heute sind sie Gold/Heute sitzen wir im Benz/gestern zu sechst in einem Golf.“ Die Beats knarzen und pumpen und die Bässe schieben sich wie ein dunkles Mittelgebirge in das Hallenrund, erfassen die Bra-Fans, genannt Bratans und Bratinas – eine ineinander verklebte Menge, die rhythmisch wippt, hüpft, und die Smartphones aufglühen lässt.

Bra zerhäckselt seinen Sprechgesang in Fragmente, aus denen dank mäßiger Akustik nur noch die Triggerwords heraushörbar sind: Gucci, Rolex, Benz, Maybach, Bitches, Bullen, Para. Letzteres steht übrigens für Geld. Wer bei der „Gucciland-Tour“ ein Konzert erwartet mit Instrumenten und Rockposen, liegt falsch. Hier ist eine Party im Gang. Die Sounds kommen aus der Laptop-Zentrale, eine Leinwand zeigt zu jedem Song das Video, die Stilistik changiert zwischen Frauen, die sich lasziv räkeln, teuren Autos und zappelnden Trainingsanzügen (Gucci!) vor Berliner U-Bahn-Kulisse. Flammenwerfer lodern, Konfettibomben zünden. „Benzema“, der federnde Song über den Fußballer von Real Madrid, pumpt Bewegung in die Menge, irgendwann holt Capital Bra seine Kumpels auf die Bühne: Brudi 030, der ein paar Marken-T-Shirts ins Publikum schleudert, KC Rebell, Summer Cem – und schließlich, ohrenbetäubend bejubelt und bekreischt: Samra, der bei seinem Chart-Hit „Harami“ zwar auf Playback setzt, aber egal.

Zwischen Hoffen und Kiffen

Ist Capital Bra nun wirklich ein Held für die Jugend zwischen Hoffen und Kiffen? Die Erwachsenen und ihre Medien tun sich schwer mit dem Deutsch-Rap, mit Bushidos Aggro-Attitüde, den geschmacklosen Texten von Kollegah und Farid Bang und dieser ganzen unappetitlichen Sex-und-Drogen-Luxus-Verherrlichung. Wer es etwas gechillter betrachtet, stellt fest: Hier werden Aufsteigerträume inszeniert. Vorbilder sind die Neymars und Benzemas, die so begnadet mit dem Ball tanzen, dass sie den Gitterkäfig ihres Beton-Spielplatzes gegen die Luxusvilla eingetauscht haben.

Auch Bra kommt aus dem Gitterkäfig. Geboren als Vladislav Balovatsky in Sibirien, aufgewachsen in der Ukraine, im Alter von sechs Jahren mit der Mutter nach Berlins Hohenschönhausen gezogen. In eine Gegend, wo der Himmel noch grau nach unten drückt, wenn in Berlin-Mitte schon die Sonne scheint. Es folgen Kleinkriminalität, Schulabbruch – die Bilderbuch-Vita des Straßenhelden. Und jetzt? Seine Streamingzahlen, Verkäufe und You-Tube-Aufrufe sprengen alle Grenzen. An Nummer-eins-Hits gemessen, ist Capital Bra der erfolgreichste Künstler der deutschen Musikgeschichte. Oder, wie er selbst sagt: „Bin Stammspieler wie Benzema/roll’ im Benzer, Bra/Zahl’ den Benzer bar, 160k.“

Keine Aggro-Attitüde

Anders als sein einstiger Mentor Bushido verzichtet er weitgehend auf plumpe Gewalt-Theatralik. Zwar legt er sich verbal mit den Bullen an und „fickt seine Kritiker“, aber wer ihn live erlebt, sieht einen umher hüpfenden großen Jungen, der selbst über seinen märchenhaften Aufstieg staunt.

Und der 24-Jährige weiß genau, was er tut. Seine Tracks sind geschmeidig produziert, die Beats sind mal scharf, mal tänzelnd, werden überlagert von glitschigen, fluffigen Sounds und der Stimme, die fast immer mit der unvermeidlichen Autotune-Software verfremdet und melodiös zurechtgebogen wird. Was ihn einzigartig macht: sein rollendes Slawen-R; seine orientalischen mit hoher Stimme gesungenen Arabesken. Ansonsten gilt: Sprache ist Rohstoff, wird atemlos durch den Wolf gedreht. Bausatz statt Satzbau.

Wird die Deutsch-Rap-Party noch größer?

Und Verblüffend: der Gucci-Rapper vermeidet allzu große Peinlichkeiten. Wenn er in dem Song „Einsam“ kurz auf die brachialen Beats verzichtet, schimmert fast so etwas wie die Melancholie einer rauen Jugend durch: „Lauf, ja, sie wollen mich alle killen/Drauf im dunklem Hotelzimmer chillen (. . . )/Betäubte Gefühle von Kreide.“ Show oder echter Schmerz? Wer weiß das schon. Klar ist: die Deutsch-Rap-Maschine läuft und läuft. Ein Ende ist nicht in Sicht. „Egal, wie groß und breit/wir bluten alle gleich/Sie haben gesagt, mein Hype hält nur für ‚ne kurze Zeit/Ach, was für Hype?/Kein Problem, ihr könnt ihn haben.“

Nach knapp eineinhalb Stunden ist alles vorbei. 8000 Besucher lassen ihre Arme im Takt wippen, brüllen „Joker“, brüllen „Bra“ und die Schwaden der illegalen Rauchwaren werden langsam erstickend. Bra ist endgültig im Gucciland angekommen. Hat sich das dickste Stück vom Kuchen rausgesäbelt. Kann so weitergehen. „Und sie tanzen, sie tanzen/Und wir schmeißen den Batzen/Oben hörst du die Flaschen nur platzen.“ Geht es so weiter? Wer weiß. Wenn er den Werkzeugkasten seiner Stilistik ein wenig erweitert, sich selbst oft genug neu erfindet, kann er ein noch Größerer werden. Aber morgen ist auch noch ein Tag, Bruder. Jetzt ist erst mal Party.