Seit Ende 2020 halten die Buslinien 70 und 71 an der B 27 in Stuttgart-Degerloch. Vor allem für ältere Busfahrgäste bringt dies Beschwernisse mit sich. Foto: Michael Werner

Busfahrgäste müssen in Stuttgart-Degerloch seit Kurzem einen beschwerlichen Weg auf sich nehmen. Weil manche das nicht mehr können, wird der Protest massiver. Das hat die SSB ins Nachdenken gebracht.

Degerloch - Auf der Unterschriftenliste stehen 54 Namen. Sie alle sind mit einer Entscheidung der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) nicht einverstanden. Es geht um eine verlegte Bushaltestelle in Stuttgart-Degerloch. Seit Kurzem können Nutzer der Buslinien 70 und 71 in Richtung Hoffeld und Asemwald/Schönberg nicht mehr am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Degerloch zusteigen, sondern müssen auf die andere Seite der Löffelstraße, vielen besser bekannt als B 27.

Was nach einem Katzensprung klingt, ist für manche eher ein Hürdenlauf. Um die Stadtautobahn zu queren, müssen Treppen zu einem Übergang bewältigt werden. Für Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind, die einen Rollator oder Kinderwagen dabei haben, ist dies eine Situation, die sie nicht hinnehmen wollen.

Kritik aus dem Wohn- und Pflegeheim in Stuttgart-Hoffeld

Die Unterschriftenliste, die nun an die SSB versandt worden ist, ist maßgeblich von Bewohnern des Lothar-Christmann-Hauses in Stuttgart-Hoffeld zusammengetragen worden. In dem Wohn- und Pflegeheim beurteilen viele – einschließlich der Hausdirektion – den Umzug der Bushaltestelle höchst kritisch. Bereits kurz nach dem Umzug der Haltestelle Ende des Jahres 2020 sind Beschwerden laut geworden, nach den Feier- und Ferientagen rund um den Jahreswechsel zeigt sich nun, dass sich inzwischen massiver Protest zusammengebraut hat.

Der Bezirksvorsteher von Degerloch, Marco-Oliver Luz, hat jüngst einen langen, deutlichen Brief an die SSB geschickt. Bei ihm sind zahlreiche Beschwerden, vor allem von älteren Mitbürgern, eingegangen. Er sieht sich gezwungen, sich um deren Anliegen zu kümmern.

In dem Brief schreibt Luz unter anderem von einer großen Verzweiflung, die ihm in Gesprächen entgegengeschlagen sei. „Hier handelt es sich um kein Thema der Bequemlichkeit, ein paar Meter weiterlaufen zu müssen“, schreibt Luz an die SSB, „hier handelt es sich in vielen Fällen um die große Not, die letzte Mobilität, die einem durch Alter und Krankheit geblieben ist, nun auch noch zu verlieren“.

Buslinien mussten dem Expressbus Platz machen

Der Grund für die Verlegung des Busstopps an die Bundesstraße ist, dass am ZOB der Platz eng geworden ist. Seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2020 hält eine neue Buslinie am Omnibusbahnhof, der Expressbus X4 pendelt nun zwischen Degerloch über Filderstadt nach Nürtingen. Er hat, drastisch ausgedrückt, die Linien 70 und 71 verdrängt. Die SSB hat nach der ersten Beschwerdewelle darauf hingewiesen, dass die Fahrgäste, die mit dem 70er und 71er unterwegs seien, doch an der Haltestelle Epplestraße einsteigen könnten, so könnten sie den komplizierten Weg zur B-27-Haltestelle vermeiden.

Für Marco-Oliver Luz ist das indessen keine brauchbare Lösung. „Die Haltestelle ist ohne zusätzliche Einbuchtung und ohne Wetterschutz einfach ein Pfosten auf dem Gehweg der Epplestraße“, erklärt der Degerlocher Bezirksvorsteher in seinem Brief an die SSB die Situation vor Ort. Für ältere Menschen gebe es dort keine Sitzbank. Und: „Die Wartenden schränken bereits jetzt extrem die vorbeigehenden Passanten ein, da sie zwangsweise erhebliche Gehwegflächen beanspruchen müssen.“ Schaufenster und Ladentüren der anliegenden Händler würden „blockiert“, so Luz. „Hinzu kommt erschwerend, dass in Richtung Hoffeld die Linie 71 von Montag bis Freitag an der Epplestraße nur zweimal in der Stunde hält.“ Am Wochenende bleibe Busfahrgäste nach Hoffeld lediglich der Halt an der B 27.

Auch im Asemwald sieht man die Sache kritisch

Nicht nur in Degerloch erntet die Neuordnung der Bushaltestelle übrigens entrüstete Reaktionen. Auch im Asemwald ist der Ortswechsel des Busstopps inzwischen negativ aufgefallen. Eine Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, hat die Sache verwundert und wütend registriert. „Dass eine 92-jährige Frau darauf hinweisen muss, finde ich ein Armutszeugnis für unsere Stadt“, sagt sie und meint die Frau aus dem Hoffeld, die als Erste öffentlich protestiert hatte. Mit der Buslinie 71, die auch im Asemwald hält, „fahren viele alte Frauen aus dem Asemwald und Schönberg“, weiß die Bewohnerin der Wohnstadt. Um sie zu unterstützen, habe sie die Grünen-Fraktion im Gemeinderat sowie den Stadtseniorenrat kontaktiert.

Der Stadtseniorenrat ist an dem Thema dran, wie der Delegierte für Degerloch, Karl Hellstern, auf Nachfrage bestätigt. Die Sache sei „sehr relevant“, sagt er. „Ich finde es nicht hinnehmbar.“ Nun wolle man aber zunächst abwarten, wie die SSB auf den Brief des Bezirksvorstehers Luz reagiere, sagt Hellstern.

Bei der SSB ist man in Folge des Widerstands offenbar ins Grübeln gekommen. „Aufgrund der Fahrgastreaktionen betrachten die Fachstellen der SSB das Thema aktuell erneut“, teilt die Sprecherin Birte Schaper in einem Einzeiler auf Anfrage unserer Zeitung mit.