In Mannheim werden Citaro-Busse gefertigt, und zwar unabhängig von der Antriebsart alle auf demselben Band. Foto: privat/Daimler AG

Der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs soll steigen, so das erklärte politische Ziel. Dass die Verkehrswende zeitweise auch Schwierigkeiten mit sich bringen kann, ist derzeit auf den Fildern zu besichtigen.

Filder/Esslingen - Um mehr Menschen zum Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn zu bewegen, soll der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden. Die Verkehrswende zu wollen, ist das eine. Sie umzusetzen, das andere. Denn dies bringt durchaus auch Probleme mit sich, wie aktuell die Schwierigkeiten in und um Filderstadt zeigen. Ein Überblick.

Welche Ziele gibt es bundesweit für den Ausbau des ÖPNV?

Ende 2019 hat der Bund sein Klimapaket verabschiedet. Dazu gehört, dass Busse und Bahnen ausgebaut werden sollen. Bereits ein Jahr zuvor hatte die Studie „Deutschland mobil 2030“ des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen Schlagzeilen gemacht. Beträgt der Marktanteil von Bussen und Bahnen aktuell am Verkehrsaufkommen gut 13 Prozent, so könnte dieser demnach bis zum Jahr 2030 um 30 Prozent wachsen. Das Land Baden-Württemberg hat zudem eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die sich mit einer möglichen Verdopplung des ÖPNV bis 2030 befasst.

Wie groß ist der Busfahrermangel?

Für mehr Busse und Bahnen braucht es zwangsläufig auch mehr Menschen, die die Fahrzeuge lenken. Und der Busfahrermarkt „ist leer gefegt“, wie Axel Koffmane sagt. Er ist Verkehrsplaner bei der Bahn-Tochter Friedrich-Müller-Omnibus, kurz FMO. Wer einen Busführerschein machen wolle, müsse zunächst circa 10 000 Euro dafür investieren. In den Ballungsgebieten könnten sich viele Busfahrer zudem die horrenden Mieten nicht leisten. Verstärkt wird der Mangel an Fahrpersonal dadurch, dass viele Fahrer ins Rentenalter kommen. Ein Problem, mit dem Busunternehmen zusätzlich zu kämpfen haben: Fahrer langfristig zu binden, wie Mario Graunke, ein Berater für Busunternehmen, bei einem Pressegespräch in Filderstadt erklärte. Teils würden sie im Wochentakt wechseln. Immer öfter wird Medienberichten zufolge Personal auch aus Osteuropa und Spanien angeheuert.

Welche Probleme für Busfahrer gibt es laut Verdi?

Für Busfahrer steht im Frühjahr eine Tarifrunde an; die will die Gewerkschaft Verdi nutzen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. „Die Arbeitszeiten im Schichtdienst mit teilweise langen Pflichtpausen sind im Fahrerberuf die Hauptbelastung und machen den Job im Nahverkehr nicht besonders attraktiv“, sagte Verdi-Landeschef Martin Gross im Dezember.

Um bundesweit koordiniert vorzugehen, hat Verdi alle 16 Manteltarifverträge in den Ländern gekündigt. Die Friedenspflicht endet am 30. Juni 2020. Von da an könne es auch zu Protestaktionen von Verdi kommen. „Für die Nutzer des Nahverkehrs kann es durchaus sinnvoll sein, gutes Schuhwerk parat zu haben und das Fahrrad im Frühjahr zu richten.“ Insgesamt sind von den Tarifgesprächen in Baden-Württemberg 6300 Beschäftigte betroffen.

Gibt es genügend Fahrzeuge, um die Verkehrswende zu stemmen?

Die Nachfrage nach Stadtbussen bei den Produzenten ist offenbar groß. „Letztes Jahr war ein gutes Jahr“, sagt eine Sprecherin von Daimler über die Auftragslage für die Citaro-Busse. Im Werk in Mannheim würden Busse mit allen Antriebsarten – also Verbrenner, Hybrid und Elektro – auf demselben Band produziert. Konkrete Zahlen nennt die Daimler-Sprecherin nicht. Nur diese: Seit dem Start 1997 habe Citaro 55 555 Busse weltweit verkauft. Nicht selten hätten die Kunden bei der Bestellung Sonderwünsche, was die Produktionszeit dann verlängere. In der Regel sei ein Bus in der Basis-Ausstattung ab dem Bestellzeitpunkt nach rund drei Monaten fertig. Von Lieferengpässen wegen der gestiegenen Nachfrage könne aber keine Rede sein.

Wie werden Buslinien an die Unternehmen vergeben?

Die Vergabe von Buslinien wird über eine EU-Verordnung geregelt. So sollen sich Unternehmen aus allen Mitgliedsländern für Linien in der EU bewerben können. Im Landkreis Esslingen werden Linien alle acht bis zehn Jahre neu ausgeschrieben. Vergeben werden die Linien – meist als Bündel zusammengefasst – von den Landratsämtern. Es gilt dabei ein sogenanntes zweistufiges Verfahren. In einem ersten Schritt können sich Busunternehmen bewerben, die bereit sind, die Linien eigenwirtschaftlich – also ohne Zuschüsse aus öffentlichen Kassen, zu bedienen, erklärt Marion Leuze-Mohr vom Landratsamt Esslingen. Berücksichtigt werde hier das beste Angebot; die Chancen, das ein Unternehmen den Zuschlag erhält, steigen, wenn es Mehrleistungen, also mehr als das geforderte Minimum, anbietet. Hier erteilt das Regierungspräsidium dann eine Genehmigung.

Findet sich allerdings mit diesem Verfahren kein passendes Unternehmen, dann kommt laut Leuze-Mohr das Unternehmen zum Zug, das die Leistungen am günstigsten anbietet. Es erhält dann zusätzlich Zuschüsse aus öffentlicher Hand. Hierbei wird ein Vertrag zwischen dem Unternehmen und dem Landkreis geschlossen, das Regierungspräsidium erteilt zudem eine Genehmigung.

Welche Ziele gibt es bundesweit für den Ausbau des ÖPNV?

Wie machen es andere Kommunen?

Eine Vorzeigekommune in Sachen Busverkehr ist Tübingen. Allein der ticketfreie Samstag hat im vergangenen Jahr samstags 25 Prozent mehr Fahrgäste in die Busse gelockt. Doch wie steht es um die Pünktlichkeit? „Die Gesamtpünktlichkeit liegt seit Jahren stabil bei um die 94 Prozent“, sagt Stadtwerke-Sprecher Ulrich Schermaul. Verspätungen gebe es, „wenn die Straßen von Pkw verstopft sind und die Busse sich an Ampeln erst anstellen müssen, bis das Signal der Busvorberechtigung die Ampel beeinflussen kann“. Was helfe: „Die hohe Taktdichte und unterschiedliche Linienführung, um das Ziel im Stadtgebiet zu erreichen“, so Schermaul. Aber auch technische Hilfsmittel „wie Busbevorrechtigung an Ampeln und an allen zentralen, wichtigen Kreuzungen, Busspuren sowie ein ständig weiter entwickeltes Leitsystem das aktuell durch ein neues modernes Betriebsleitsystem ersetzt wird“.

In Tübingen gibt es einen weiteren Unterschied im Vergleich zum Busverkehr auf der Filderebene. „In Tübingen ist der TüBus nicht nur für den Betrieb, sondern auch für die Planung des ÖPNV zuständig“, erklärt Schermaul. So sei von vornherein bekannt, wie viele Fahrzeuge benötigt würden, die Fahrpläne seien so gestaltet, dass die Verkehrsverhältnisse berücksichtigt seien.