Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der Linken, fordert von Martin Schulz, dem SPD-Kanzlerkandidaten, eine klare Absage an eine Fortsetzung der Großen Koalition. Foto: dpa

Der linke Spitzenkandidat Dietmar Bartsch ist gegen einen Lagerwahlkampf, will seine Partei aber in die Regierungsverantwortung führen.

Berlin - Herr Bartsch, was bedeutet die Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD für die Linke?
Für die Linke hat sich erstmal nichts verändert. Wir kämpfen für unsere Inhalte. Was nun anders ist: Sigmar Gabriel wäre definitiv nur ein Vizekanzler-Kandidat gewesen. Bei Martin Schulz ist es zumindest offen, ob er den Sprung zum Kanzlerkandidaten schafft.
Ist die Arbeit von Martin Schulz als Präsident des EU-Parlaments aus Ihrer Sicht eine Qualifikation oder eher eine Bürde in seinem Streben nach dem Kanzleramt?
Martin Schulz war ein führender Kopf des Brüsseler Establishments. Wenn man sich anschaut, wie Europa heute dasteht, dann fällt die Analyse bedrückend aus: Wir haben eine nicht bewältigte Finanzkrise, ein Erstarken rechtspopulistischer Parteien, in manchen Ländern eine Jugendarbeitslosigkeit von über fünfzig Prozent, eine wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen. Die Verantwortung dafür liegt sicher zum größeren Teil bei der Bundesregierung. Aber die Fakten sind das Ergebnis von Politik, und für diese Politik ist auch Martin Schulz mit verantwortlich.
Welche Rolle wird das im Wahlkampf spielen?
Zwar wird Europa im Bundestagswahlkampf 2017 eine größere Rolle spielen als in früheren Wahlkämpfen, aber die Wahl wird innenpolitisch entschieden – und da ist Martin Schulz ein unbeschriebenes Blatt.
Woran werden Sie ihn also messen?
Wir werden Martin Schulz an seinen Taten messen. Seit über drei Jahren gibt es im Bundestag eine Mehrheit jenseits der Union. Wir erwarten nicht, dass die SPD die Große Koalition verlässt. Aber einige fortschrittliche Entscheidungen wie zum Beispiel bei der Frage der Beendigung sachgrundloser Befristung von Arbeitsverträgen oder bei der Ehe für alle, da sollten wir die bestehende Mehrheit von SPD, Linken und Grünen nutzen. Es wäre ein wichtiges Signal, dass nach der Bundestagswahl die Große Koalition wirklich zu Ende geht.
An diesem Sonntag will Martin Schulz in einer Rede die Prinzipien seiner Politik darlegen. Was erwartet die Linke da von ihm?
Ich erwarte von Martin Schulz zunächst, dass er klipp und klar ausschließt, sich nach der Wahl an den Kabinettstisch von Angela Merkel zu setzen. Ich würde mir wünschen, dass er eine Rede hält, die deutlich macht, dass sich die SPD aus der Umklammerung in der Großen Koalition befreit. Blumige Worte und Überschriften wie „soziale Gerechtigkeit“ sind zu wenig. Wir wollen wissen: Gibt es mit Martin Schulz eine große Steuerreform, die große Einkommen und Vermögen stärker belastet und gleichzeitig der Kinderarmut den Kampf ansagt? Gibt es mit ihm eine Rentenreform, die die gesetzliche Rente lebensstandardsichernd macht und Altersarmut verhindert? Er muss konkrete inhaltliche Projekte beschreiben.
Rot-Rot-Grün könnte nach der Wahl eine Option sein. Dass Sie dieses Bündnis anstreben ist bekannt. Aber wird dieses Ziel wirklich von der gesamten Partei – zum Beispiel auch von ihrer Kollegin in der Position des Spitzenkandidaten der Linkspartei, Sahra Wagenknecht - getragen?
Es ist klar, dass wir einen fortschrittlichen Politikwechsel wollen und bereit sind, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das ist auch Konsens zwischen Sahra Wagenknecht und mir. Natürlich gibt es Nuancen. Eine Partei, die einen Ministerpräsidenten stellt, in drei Bundesländern Regierungsverantwortung trägt, in anderen in parlamentarischer wie außerparlamentarischer Opposition agiert, muss die Breite des Angebots auch darstellen. Klar ist: Wenn wir einen Politikwechsel hinbekommen, die Wiederherstellung des Sozialstaates angehen, eine friedliche Außenpolitik machen und das große Projekt Europas als Projekt des Friedens neu starten, dann sind wir bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen.
SPD und Linke haben zuletzt versucht, Gesprächsfäden anzuknüpfen. Ist aus Ihrer Sicht die Chance auf Rot-Rot-Grün dadurch gewachsen?
Es hat eine Normalisierung stattgefunden. Wir reden miteinander statt übereinander. Aber es gibt aktuell keinen erhöhten Gesprächsbedarf zwischen unseren Parteien. Die Linke wird keinen Lagerwahlkampf führen. Wir werden nicht für ein Bündnis werben, sondern für Inhalte im Interesse der Mehrheit der Menschen. In Deutschland werden keine Koalitionen gewählt, sondern Parteien. Bei der jüngsten Wahl in Sachsen-Anhalt haben SPD, Linke und Grüne gemeinsam für ein Bündnis geworben. Im Ergebnis haben alle Drei zusammen verloren. Das gemeinsame Werben für ein Bündnis ist eine falsche Strategie. Jeder muss für sich alleine kämpfen.
Jeder redet von SPD und Linken. Aber hat sich der gedachte Dritte im Bunde, die Grünen, nicht längst in eine ganz andere Richtung verabschiedet?
Die Grünen senden tatsächlich starke Signale in Richtung Mitte. Ich finde es bedenklich, wenn man ernsthaft glaubte, irgendwann gemeinsam mit der CSU gute Politik machen zu können. Aber auch in einem Mitte-Links-Bündnis müssten sich die Wähler der Mitte wiederfinden können. Die Linke kann da ganz beruhigt sein. Rücken die Grünen nach rechts, gibt es für uns eben mehr strategisches Potenzial auf der linken Seite des Spektrums. Aber jeder muss wissen: Wer die Grünen wählt, kann wieder bei Angela Merkel als Kanzlerin landen.