Im Reichstagsgebäudein Berlin wird es in den kommenden Monaten einige Veränderungen geben.Foto:Travelview/ Adobe Stock Foto:  

In den 19. Deutschen Bundestag werden auch etliche frische Gesichter einziehen. Manchem Debütanten ist der Politbetrieb jedoch bei weitem nicht fremd. Wir stellen sechs von ihnen vor.

Stuttgart - In den 19. Deutschen Bundestag werden auch etliche frische Gesichter einziehen. Manchem Debütanten ist der Politbetrieb jedoch bei weitem nicht fremd. Wir stellen sechs von ihnen vor.

Nild Schmid (SPD)

Selten ist ein Politiker so gut vorbereitet in den Bundestag eingezogen: Nils Schmid auf Platz sechs der SPD-Landesliste bringt als früherer Wirtschafts- und Finanzminister Baden-Württembergs viel Regierungserfahrung ins Berliner Parlament ein. „Mit meinem Erfahrungsschatz und meinem Profil gibt es

Nils Schmid Foto: privat
in meiner Generation nicht allzu viele“, sagt der 44-Jährige, der im Wahlkreis Nürtingen kandidiert. Im Reichstag hat er bereits als Mitglied der Bundesversammlung bei mehreren Bundespräsidentenwahlen gesessen. Einen Redeauftritt hatte er ebenfalls schon – als Minister von der Bundesratsbank aus.

Doch muss sich der einstige SPD-Landeschef zunächst wohl hinten einreihen, wenn es um neue Funktionen geht. Zunächst werden andere, die länger dabei sind, ihre Ansprüche anmelden, was Schmid „okay“ findet. Durchstarten in ein herausgehobenes Amt dürfte schwierig werden. Er ist sich dennoch sicher, eine interessante Aufgabe zu finden – am liebsten in der Außenpolitik. „Da könnte ich einiges einbringen“, sagt Schmid, weil er im Südwesten viel Außenwirtschaftspolitik betrieben hätte. Da die Familie in Reutlingen bleiben will, wird er sich in Berlin wohl eine kleine Wohnung suchen und pendeln.

Felix Schreiner (CDU)

Als echten Neuling kann man Felix Schreiner nicht bezeichnen. Der 31-Jährige ist trotz seiner jungen Jahre ein alter Hase im Politikgeschäft, sitzt im Gemeinderat, im Kreistag und im Oberrheinrat. Sogar einen

Felix Schreiner Foto: privat
Abgeordnetensitz hat Schreiner schon seit mehr als sechs Jahren – allerdings nicht im Bundestag, sondern im Stuttgarter Landtag.

Warum reicht ihm das Landesparlament nicht? „Für einen Verkehrspolitiker wie mich spielt die Musik eher in Berlin“, sagt der gebürtige Waldshuter, der sich zum Beispiel im Fluglärmstreit mit der Schweiz einen Namen gemacht hat. Die Länder ließen sich ja immer mehr Kompetenzen vom Bund abkaufen, bedauert der studierte Wirtschaftsrechtler und verweist auf deren jüngsten Deal mit dem Bundesfinanzminister: Geld gegen Kompetenzen beim Autobahnbau. Deshalb glaubt Schreiner, über den Bundestag mehr bewegen zu können. Ohnehin stand in seinem Wahlkreis nach dem Rückzug von Thomas Dörflinger ein Wechsel an. Schreiner: „Die CDU braucht da wieder einen starken Vertreter.“ Fahnenflüchtig fühlt sich der Christdemokrat nicht. Im Fall seiner Wahl folge ihm im Landtagswahlkreis eine kompetente Nachrückerin nach.

Danyal Bayaz (Grüne)

Danyal Bayaz, der Superrealo aus Heidelberg, nimmt zum zweiten Mal Anlauf in den Bundestag. Schon 2013 galt sein Platz 14 auf der Landesliste als so gut wie sicher, dann kam der Einbruch für die Grünen. Jetzt steht der Unternehmensberater und Journalist mit dem deutschen und dem türkischen Pass auf Platz zwölf.

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Damit der Sohn einer hessischen Mutter und eines türkischen Vaters ein Mandat bekommt, müssen die Grünen in Baden-Württemberg zwei Plätze dazugewinnen.

Als zielstrebig beschreiben seine Freunde den 33-jährigen gebürtigen Heidelberger, der in Hohenheim studierte, Forschungsaufenthalte in den USA absolvierte und über internationale Finanzmärkte promovierte. Ein Karrierist sei der versierte Netzwerker und Fan amerikanischer Politserien dennoch nicht. Auf Parteitagen überzeugt er mit seiner Rhetorik. Seit 2013 ist Bayaz Mitglied im Landesvorstand der Grünen. Mutig hat er sich für den Wahlkreis Bruchsal-Schwetzingen entschieden, der für die Grünen kein gemähtes Wiesle sei. Im Blick hat er vor allem die Europapolitik und die Generationengerechtigkeit. Er macht sich für die Rechte junger Menschen stark und setzt sich für nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik ein.

Ein konservativer Vordenker

Marc Jongen (AfD)

Marc Jongen ist alles andere als ein typischer Politiker. Auch in der AfD ist der 49-Jährige nicht irgendein Parteimitglied, sondern gilt als herausragender Vordenker, der maßgeblich am Parteiprogramm

Marc Jongen Foto: privat
mitgeschrieben hat. In die Politik hat ihn nach eigenen Worten die Lust getrieben, endlich etwas zu bewegen. „Im akademischen Feld werden viele Theorien und Worte produziert“, sagt der gebürtige Südtiroler, „aber sehr vieles davon bleibt praktisch ohne Folgen.“ In der Politik aber würden Worte in die Realität überführt, dort könne man gestalten.

Dabei will Jongen, der auf Listenplatz 3 der Alternative für Deutschland steht, die ganz großen Räder drehen – Lokalpolitik ist dem studierten Philosophen mehr als fremd. Auch denkt er nicht in Wahlperioden, auch nicht in Jahrzehnten, sondern gar in Jahrhunderten.

In diesem Sinne sieht er ein Jahrhundert zu Ende gehen – das des linken Denkens, das in der 68-Revolte seinen Höhepunkt gefunden hatte und etwa die Auflösung der traditionellen Familie und der Geschlechterrollen mit sich brachte. Doch nun breche ein neues Zeitalter an, in der die national-konservativen Strömungen in Europa aufleben würden.

Renata Alt (FDP)

Freundlich, locker und zuvorkommend: Renata Alt (FDP) aus Nürtingenhaftet noch nicht die Aura einer Berufspolitikerin an. Auf Listenplatz sieben der Liberalen hat die 1965 in Skalica in der Tschechoslowakei geborene Chemie-Ingenieurin gute Chancen, in den Bundestag einzuziehen. 1992 hat sie das

Renata Alt Foto: privat
Außenhandelsministerium in Prag als Wirtschaftsattaché ans Generalskonsulat nach München geschickt. In Deutschland blieb sie hängen, nahm 2000 die Staatsbürgerschaft an, hat geheiratet und arbeitet nun als wissenschaftliche Beraterin in der Ernährungsbranche. Die frühere Diplomatin kennt das Leben hinter dem „Eisernen Vorhang“ und kontrastiert es gern mit dem in der freien Gesellschaft. Ihr Lieblingsthema ist die internationale Politik. Man müsse die EU-Sicherheitspolitik stärken, mit den östlichen Nachbarn mehr kooperieren und „mit Russland im Gespräch bleiben“, sagt Alt, die fließend Russisch spricht.

An ihre Klientel im Wahlkreis Nürtingen denkt Renata Alt, die in Kirchheim unter Teck wohnt, natürlich auch: Die Entlastung der Handwerker und der kleinen und mittleren Betriebe sei ihr wichtig, sie müssten von bürokratischen Bürden befreit werden, sagt sie, und stimmt damit die Grundmelodie der FDP an.

Jessica Tatti (Die Linke)

Fünf Abgeordnete hat die Südwest-Linke im Bundestag. Diesmal kandidiert Jessica Tatti (Wahlkreis Reutlingen) auf Platz fünf der Landesliste. „Die Chancen stehen sehr gut“, sagt sie. Die 36-Jährige ist seit 2010 bei der Linken aktiv. Bisher ist sie als Reutlinger Stadträtin eher mit lokaler Politik befasst. Die Wahl in

Jessica Tatti Foto: Die Linke
den Bundestag „wäre natürlich ein Riesensprung“. Doch führe ein Gemeinderat die Gesetze aus, die in Bund und Ländern gemacht würden. Daher wolle sie die Kommunalpolitik stärken.

Tatti hat im Wahlkampf vor allem den frustrierten Nichtwähler im Blick – speziell Langzeitarbeitslose. Sie kennt diese Klientel: In Reutlingen gehört sie dem Vorstand des Vereins Arbeiterbildung an. Beruflich hat die studierte Sozialarbeiterin viel mit Flüchtlingen zu tun – noch eine Gruppe, die ihr am Herzen liegt. Was sie im Bundestag sofort umsetzen würde? Antwort: Die Personalnot in den Krankenhäusern durch Einstellung von 100 000 Pflegekräften lindern. Ihre Eltern stammen von Sardinien, sie selbst kam in Marbach am Neckar zur Welt. Vom Studium an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg gelangte Tatti nach Reutlingen. Den Bundestagsbetrieb hat sie schon erlebt – bei einem dreitägigen Praktikum ihrer Fraktion Anfang Mai.