David Zimmerer und Marie Clauss dürfen zum ersten Mal wählen. Foto: Lg/Verena Ecker

Viele Erstwähler glauben, die Parteien interessieren sich nur für alte Menschen. Ihre Stimme wollen sie dennoch nutzen, auch wegen den jüngsten Entwicklungen.

Stuttgart - Wie das mit dem Wählen funktioniert, weiß David Zimmerer genau: Als 14-Jähriger stand er in der Wahlkabine und markierte zwei Kreuze. Doch wählte er damals nicht für sich, sondern für seinen Papa, der ihn probehalber mitgenommen hatte. „Es war eine coole Erfahrung. Aber endlich in meinem Namen zu wählen bedeutet für mich auch den Eintritt ins Erwachsenenleben“, sagt der heute 18-Jährige.

Knapp acht Millionen Deutsche sind dem Statistischen Landesamt zufolge in Baden-Württemberg wahlberechtigt. Nur jeder zwanzigste ist Erstwähler, das entspricht auch dem Bundesdurchschnitt. In den beiden Stuttgarter Wahlkreisen dürfen lediglich 17 000 Jugendliche zum ersten Mal in ihrem Leben die Politik im Land mitbestimmen – mit vier Prozent der geringste Anteil von Erstwählern aller Wahlkreise in Baden-Württemberg überhaupt. Zum Vergleich: Jeder fünfte Wähler hier hat das 70. Lebensjahr bereits überschritten.

Interessante Themen: Flüchtlinge, Umwelt, Bildung, Europa

Das Ungleichgewicht bei den Altersgruppen erfüllt Jugendliche mit Sorge. Viele denken, dass Politiker sich eher von Problemen Älterer leiten lassen und die Anliegen der Jungen ignorieren. „Flüchtlinge, Umwelt, Bildung, Europa – es gibt viele Themen, die uns wichtiger sind als älteren Leuten“, sagt die 19-jährige Marie Clauss, die im September ebenfalls zum ersten Mal wählen geht. Besonders nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten oder dem Brexit in Großbritannien habe man gesehen, dass Wahlentscheidungen ein Land schnell umkrempelt könnten. „Es ist wichtig, dass Jugendliche sich auf die Wahl vorbereiten und in der Familie und mit Freunden darüber diskutieren“, sagt die Zwölftklässlerin.

Erfahrungsgemäß ist die Wahlbeteiligung der Erst- und Jungwähler bis zu zehn Prozentpunkte niedriger als die der Restbevölkerung. Doch bei dieser Bundestagswahl gehen Experten davon aus, dass sie höher sein wird als zuvor. „Viele aktuelle Ereignisse tangieren Jugendliche direkt in ihrer Lebenswelt und sind sowohl in der Familie als auch in der Schule wichtige Themen“, sagt die Politikwissenschaftlerin Angelika Vetter von der Universität Stuttgart. Die Flüchtlingsdebatte oder die Diskussion um Trump führten dazu, dass junge Menschen in den vergangenen Monaten stärker das Bedürfnis hätten, ihre Meinung auch politisch kund zu tun. Wobei politische Beteiligung besonders in den Generation Y und Z – also den jungen Menschen ab dem Jahrgang 1980 – nicht immer bedeutet, dass Jugendliche sich einer Partei anschließen. Lose politische Bewegungen, wie „Demo“ oder „Pulse of Europe“ erfreuen sich in den vergangenen Monaten besonders bei den Jungen einer hohen Beliebtheit. Hier demonstrieren sie auf der Straße für „mehr Europa“, veranstalten Seminare zu Menschenrechten oder diskutieren in Kleingruppen über die Bildung von morgen. „Für viele Jugendliche passen Bewegungen mehr zu ihrem Lebensstil als eine Parteimitgliedschaft“, sagt Angelika Vetter. Hier könnten sie sich bewusst für eine Sache engagieren, ohne sich auf eine politische Richtung festzulegen.

Wählen gehen ist Pflicht

Auch David Zimmerer hält von einer Parteimitgliedschaft wenig, auch wenn er sich selbst als politisch interessiert bezeichnet. „Ich stimme keiner Partei 100-prozentig zu“, sagt er. Wählen geht er trotzdem. Was er wählt, weiß er aber momentan noch nicht. „Vieles, was man auf Plakaten und im Netz auf Sozialen Medien sieht, ist bloße Rhetorik“, ist er überzeugt. In diese Sektion fallen auch die Interviews der Bundeskanzlerin mit den vier Youtubern in der vergangenen Woche. Diese fand er zwar ganz interessant. „Aber mit Politik hat das nur wenig zu tun“, sagt er. Deshalb möchte er in Kürze die Wahlprogramme aller Parteien googeln und nebeneinander legen. „Um Jugendliche zu überzeugen, müssten Politiker dahin gehen, wo Jugendliche sind“, meint er. Also vor allem in Schulen oder auch in Sportgruppen.