Freundlichkeiten vor dem Daimler-Werk: Marta Aparicio wirbt um Stimmen, aber viele der Beschäftigten hier dürfen gar nicht wählen. Foto: Leif Piechowski

Am 22. September ist Bundestagswahl. Wen schicken die Stuttgarter nach Berlin? Wir stellen die Kandidaten der fünf im Bundestag vertretenen Parteien in Kürze vor. Zum Abschluss: Marta Aparicio de Eckelmann (Die Linke).

Stuttgart - Wer Wahlkampf macht, muss auch mal warten können. Da steht sie also, Marta Aparicio de Eckelmann (61), am Mittelkai im Neckarhafen und wartet, hinter dem Daimler-Getriebewerk. In ein paar Minuten werden mehr und mehr Arbeiter durch das Drehtor gehen. Schichtwechsel. Dann müssen sie flink sein, die Kandidatin der Linken im Wahlkreis Stuttgart II und ihre Helfer. Dann nichts wie ran mit dem Infomaterial an die Menschen im Drehkreuz. Eilends den Korb mit Paprikaschoten und Äpfeln, Kulis und Zündhölzern hinhalten – freundliche Grüße von der Linken.

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Aparicio entdeckt unter den Daimler-Arbeitern mit sicherem Blick auch die Männer mit anderen Schriftzügen am Blaumann. Mitarbeiter von Fremdfirmen. Leiharbeiter, die schlechter bezahlt sind, sagt sie. Quer durch die beiden Gruppen haben einige etwas gemein. Es ist die Verbitterung, wenn die Kandidatin sie um ihre Stimme bittet. „Ich darf nicht wählen“, sagt einer, „ich werde vorher noch sterben, ehe ich wählen darf. Dabei ist das mein Land.“ Nicht nur Türken klagen so, auch EU-Ausländer. Da gebe es viel Bitternis, hatte Aparicio schon gewarnt.

Kämpferische Parolen aus dem linken Spektrum bringen sie nicht so schnell aus dem Häuschen. Die hat Aparicio selber drauf. Und das nicht zu knapp. Verarmung der Arbeiterklasse – mit solchen Formulierungen geht sie um. So dass sich der Zuhörer oder Leser fragt, wo Marta Aparicio lebt. Darauf angesprochen gesteht sie, auch manche Freunde fänden, sie drücke sich zu radikal aus. Sie hat eben einen weiten Begriff von Arbeiterklasse. Die Angestellten gehören nicht dazu, aber die Ich-AGs und jene, die es nicht in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse schaffen. Jene auch, die stundenweise bezahlt werden, keine Spesen und keine Krankschreibung bekommen. Eine Arbeiterklasse, die wenig zum Leben habe, gebe es auch hier, sagt Aparicio.

Tochter Marta ahmte den Vater nach

Der Schlüssel, um Aparicio zu verstehen, ist das Wissen um ihren Werdegang. Ihr Vater stammt aus Argentiniens Norden, wo Großgrundbesitzer den Ton angaben und viele Habenichtse indianischer Abstammung lebten. Cabecitas negras hießen sie – Schwarzköpfe, übersetzt Aparicio das. Ihr Vater zog um, aber er blieb auch im Einzugsgebiet von Buenos Aires doch immer das eine: ein Schwarzkopf. Ein Arbeiterführer in einer Likörfabrik. Wenn er daheim wieder mal eine Rede eingeübt hatte, stieg die Tochter Marta nachher auf einen Stuhl und ahmte ihn nach. Dass man sich für Menschen einsetzen soll, habe sie vom Vater mitbekommen, sagt sie heute.

Die Eltern wollten sie in Sicherheit wissen. Aparicio entschied sich für ein Studium in Deutschland: Politik und Ethnologie, denn das Medizinstudium traute sie sich – anders als in Argentinien – hier nicht zu. Ein bisschen bereut sie das heute, obwohl sie bei der Volkshochschule als Fachbereichsleiterin ihren Platz hat. Wie auch sonst in dieser Stadt, wo sie sich, Stichwort Stuttgart 21, als Teil einer Bürgerbewegung fühlt. Wie bei der Linken, der sie bei der Gründung vor fünf Jahren beitrat.

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Den Gang nach Deutschland hatte Aparicio schon damals nicht bereut. Ihre Erfahrungen in Buenos Aires hätten ihr die Eingliederung erleichtert – wie die deutschen Bevölkerungskreise, die damals sehr aufgeschlossen für die Exilanten waren. Die sich über himmelschreiendes Unrecht in Chile und Argentinien empörten. „Wir wurden gut empfangen“, sagt Aparicio. In solidarischen Netzwerken in Deutschland habe sie ihren „letzten politischen Schliff“ bekommen.