„Schonungslose Fehleranalyse notwendig“: Winfried Kretschmann äußert in der Berliner Landesvertretung unverhohlen Kritik am Kurs der Bundesgrünen. Foto: StN

Die CDU hat nicht nur die Bundestagswahl gewonnen, sie hat mit dem Triumph vor allem die Grünen in ein tiefes Tal gestürzt. Ministerpräsident Kretschmann fordert Konsequenzen.

Berlin - Die Wünsche des Piloten sind gut gemeint. Sonntagmittag, 12 Uhr, der Air-Berlin-Flug AB 6530 aus Stuttgart landet in Berlin-Tegel, und der Kapitän verabschiedet seine Passagiere, darunter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), mit einem freundlichen Gruß. „Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Tag in der Bundeshauptstadt.“ Es bleibt ein frommer Wunsch. Sechs Stunden später sind Kretschmann und die Seinen tief geknickt. Als um 18 Uhr die Prognosen über den Bildschirm flimmern, ist klar: Der erhoffte Machtwechsel auf Bundesebene nach baden-württembergischem Muster ist gescheitert.

Allein, woran lag es? Der Schuldige ist schnell gefunden. Es sind die Grünen selbst. Noch im Frühsommer lagen sie in den Umfragen im Land bei knapp 20 Prozent, jetzt kommen sie in den Hochrechnungen auf rund elf Prozent. Reinhard Bütikofer, der Ex-Parteichef der Grünen aus Heidelberg und jetzt Europaabgeordneter, ist tief enttäuscht, als er als einer der ersten Grünen-Promis zum Wahlabend in die Landesvertretung in Berlin kommt. Das Ergebnis sei „ein drastischer Rückschlag“ für die Grünen, die ganze Partei müsse sich „nun an die Nase fassen, weil für solch einen Einbruch etliches zusammenkommen muss“. Er wolle jetzt „nicht die Fünf-Minuten-Terrine-Analyse“ machen, sagt er unserer Zeitung, aber: „Ein Weiter-so darf es bei uns nicht geben.“

„Wir haben in der Steuerpolitik überzogen“

So sieht das auch der Ministerpräsident. Schon am frühen Abend, als sich das Debakel abzeichnet, räumt er via Fernsehen ein: „Wir können nicht alles richtig gemacht haben.“ Notwendig sei eine „schonungslose Fehleranalyse“. Als er dann um 20.20 Uhr in der Landesvertretung erscheint und die neuen Hochrechnungen gerade über die Bildschirme flimmern, wird seine düstere Miene noch dunkler. Und er ist hörbar genervt. Natürlich hatte er gehofft, man könne Schwarz-Gelb auch auf Bundesebene stürzen, nun aber wird sich die Frage stellen, wie sich das Koalitionsklima in Stuttgart entwickelt. Die SPD hat leicht gewonnen, aber die Grünen haben deutlich verloren. Doch Kretschmann versucht die Sache zu relativieren. Erste Frage: Was bedeutet das Wahlergebnis fürs Land? Antwort Kretschmann: „Nix.“ Was bedeutet es für die Koalition? „Auch nix.“ Dann aber, nachdem der erste Frust mit Sprudel beseitigt worden ist, räumt der Regierungschef ein, dass seine Enttäuschung an diesem Abend „sehr groß“ sei. 

Und schnell wird klar: Der Regierungschef will – ähnlich wie Bütikofer – kein Weiter-so haben: „Wir sind an der Niederlage selbst schuld.“ Die Grünen hätten den Fehler gemacht, „das globale Thema Energiewende nicht in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu rücken“. Und, auch das sagt Kretschmann: „Wir haben in der Steuerpolitik überzogen.“ Da habe die Partei „Maß und Mitte verloren“. Zur Erinnerung: Kretschmann hatte sich vor dem Wahlkampf klar gegen die vor allem von Spitzenkandidat Jürgen Trittin forcierten Steuererhöhungen ausgesprochen. Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes zu fordern sei das eine, sagt Kretschmann am Sonntagabend. Aber daraus gleich „ein Bündel Steuererhöhungen“ zu machen sei völlig falsch gewesen. Durch solche Themen, analysiert der bundesweite Vorzeige-Grüne, „sind unsere Gewinnerthemen wie die ökologische Modernisierung völlig in den Hintergrund gerückt“.

Das soll Konsequenzen haben. „Wir müssen uns nicht neu erfinden. Aber da ist bei den Grünen was verrutscht, was wir wieder geraderücken müssen.“ Es gelte, sich inhaltlich neu zu orientieren und „dann übers Personal zu reden“. Wer gehen wird und muss, das lässt Kretschmann wohlweislich offen.

„Die Strategie der Bundespartei, vor allem links zu mobilisieren, ist gescheitert“

Zu diesem Zeitpunkt hat die Abrechnung innerhalb der Grünen längst begonnen. Landwirtschaftsminister Alexander Bonde konstatiert: „Die Strategie der Bundespartei, vor allem links zu mobilisieren, ist gescheitert.“ Landesverkehrsminister Winfried Hermann macht die Medien für die Schlappe seiner Partei mitverantwortlich: „Es gab eine Kampagne gegen die Grünen.“ Die Grünen seien bewusst missverstanden worden, das gelte etwa für das „ehrliche Steuerkonzept“. Staatsministerin Silke Krebs (Grüne) kritisiert den Stil und die Themensetzung der Wahlkampagne. „Es ist ein Unterschied, über die Vorteile regionaler Lebensmittel zu sprechen als über einen obligatorischen Veggie-Day.“ Und Tübingens OB Boris Palmer giftet an die Adresse der eigenen Partei: „So schlecht, wie Schwarz-Gelb vier Jahre lang regiert hat, müssen wir uns eingestehen: Die Niederlage haben wir selbst gemacht.“Das Ergebnis sei „eine furchtbare Niederlage, die uns und unsere Themen weit zurückwirft“.

Und Kretschmann? Während sich die CDU um Landeschef Thomas Strobl, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und EU-Kommissar Günther Oettinger in der Berliner Landesvertretung diebisch über ihr Wiedererstarken freut, appelliert Kretschmann an die eigene grün-rote Koalition, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Zwar sehe er trotz der Abfuhr für die Grünen jetzt „keinen Korrekturbedarf in der Landespolitik“, zumal die Landtagswahl erst in drei Jahren sei. Aber die grün-rote Landesregierung müsse jetzt das „koalitionsinterne Fingerhakeln beenden“ und „geschlossen auftreten". Das sei „unabdingbar“. Sprich: Nach diesem Wahlsonntag steht Grün-Rot noch mehr unter Beobachtung als bisher.