Bundestag beschäftigt sich mit Nazi-Opfern. Angeblich „Asoziale“ und „Berufskriminelle“ wurden im Dritten Reich in Konzentrationslagern interniert. Foto: dpa/Britta Pedersen

Fast 75 Jahre nach Kriegsende erkennt die Politik nun endlich das Leid von Menschen an, die das Hitler-Regime diffamiert hat. Betroffene leben aber heute kaum noch – dennoch ist das Gesetz wichtig.

Berlin - Schwarze und grüne Stoffdreiecke mussten sie in den Konzentrationslagern tragen. Die sogenannten Asozialen und Berufsverbrecher wurden zwischen 1933 und 1945 stigmatisiert und in Konzentrationslager interniert. Doch als Verfolgte galten sie bislang nicht. Am Donnerstagabend stimmt der Bundestag über die Anerkennung der Betroffenen als NS-Opfer ab; eine Mehrheit galt schon im Vorfeld als sicher.

Als „Asoziale“ bezeichneten die Nazis beispielsweise Obdachlose, Alkoholiker, Wanderarbeiter und Bettler. Sie sahen in ihnen „Ballastexistenten“. Als „Berufsverbrecher“ wurden Menschen bezeichnet, die etwa wiederholt wegen Diebstahl, Einbruch, Prostitution, Abtreibung und Zuhälterei aufgefallen waren. Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Betroffenen stigmatisiert.

Sohn eines Opfers: Meilenstein der Erinnerungskultur

Frank Nonnenmacher, dessen Onkel als „Berufsverbrecher“ galt, hatte 2018 einen Appell an den Bundestag übergeben. Der emeritierte Professor für Sozialwissenschaften und Politische Bildung setzt sich seit Jahren für die Anerkennung der Opfer ein. Mit Erfolg, nach inzwischen 75 Jahren ist endlich so weit. Nonnenmacher ist zufrieden mit dem Ergebnis: „Das Gesetz kann ein Meilenstein der Erinnerungskultur sein.“ Er hatte zwar auf einen interfraktionellen Antrag gehofft, doch in Berlin konnte und wollte man sich offenbar nicht überparteilich einigen. Bis auf die AfD haben alle Fraktionen ähnliche Anträge eingereicht, die kaum voneinander zu unterschieden sind.

Für Entschädigungen ist es zu spät

FDP, Grüne und Linke fordern Entschädigungen für die Betroffenen, während die Koalition die Gruppen in die Aufzählung der Antragsberechtigten des Kriegsfolgengesetzes aufnehmen möchte. Nonnenmacher macht allerdings deutlich, dass heute kaum noch Opfer leben, die Frage solle nicht überbewertet werden. „Zynisch könnte man sagen, dass sich die Bundesrepublik die Entschädigung gespart hat.“

„Diese Anerkennung kommt spät, aber sie kommt“, erklärt Erhard Grundl, Sprecher der grünen Fraktion für Kulturpolitik. Auch er hatte sich ein interfraktionelles Vorgehen gewünscht. Dafür dass es nicht geklappt hat, macht er die Union verantwortlich. Melanie Bernstein, Obfrau der Union im Kulturausschuss erklärt auf den Vorwurf: „Um den Prozess zu beschleunigen, aber auch um ein mehrheitsfähiges Ergebnis zu erreichen, haben wir, gemeinsam mit zahlreichen Experten einen eigenen Antrag in der Koalition erarbeitet.“

Nun sei sie froh, dass ein für alle Fraktionen tragbarer Kompromiss gefunden sei. Auch die Sozialdemokraten begrüßen den Schritt. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Marianne Schieder erklärt: „Absolut niemand saß zurecht im KZ. Kein Obdachloser, keine Prostituierte und auch niemand, der ein Verbrechen verübt hat.“