Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den AfD-Abgeordneten Jens Maier. Foto: dpa

Der Bundestag hebt immer öfter die Immunität von Abgeordneten auf: Das Parlament steuert auf einen Rekord zu. Besonders häufig wird gegen AfD-Politiker ermittelt.

Berlin - Normalerweise steht der Bundestagsausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Dieses Gremium ist für die innere Angelegenheiten des Parlaments zuständig. Er wacht auch über die Immunität der Abgeordneten. Seit der konstituierenden Sitzung des Bundestags im Oktober vergangenen Jahres gibt es in diesem Ausschuss viel Arbeit. „Wir haben viel zu tun“, sagte die SPD-Abgeordnete Sonja Amalie Steffen, die dem Ausschuss angehört. Sie hofft, dass sich das ändert. Wenn die Immunität von Abgeordneten aufgehoben wird, fördert das nicht das Ansehen des Parlaments.

In kurzer Zeit sechs Immunitätsaufhebungen

In den wenigen Monaten hat das Parlament bereits in sechs Fällen die Immunität von Abgeordneten aufgehoben, damit die Staatsanwaltschaft Straf- und Disziplinarverfahren sowie Durchsuchungsbeschlüsse einleiten kann. Auffallend ist: Vier der sechs Verfahren betreffen Bundestagsabgeordnete, die zur AfD-Fraktion gehören oder früher dort in einflussreicher Position waren: Darunter ist die frühere AfD-Vorsitzende Frauke Petry, gegen die wegen Meineids ermittelt wird. Petry ist aus der AfD ausgetreten. Doch es bleiben drei Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der AfD-Bundestagsfraktion. Der aktuellste Fall ist noch nicht mitgezählt. Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt auch gegen den AfD-Abgeordneten Jens Maier wegen Beleidigung. Maier, ein früherer Richter aus Dresden, hat einen rassistischen Tweet über Noah Becker abgesetzt, den Sohn des früheren Tennisstars Boris Becker. Maier entschuldigte sich dafür, er wurde vom AfD-Bundesvorstand abgemahnt. Die Ermittlungen gegen Maier stehen erst am Anfang. Die Staatsanwaltschaft informierte den Bundestag, dass sie den Sachverhalt klärt. Weil der Bundestag nicht innerhalb der Frist von 48 Stunden widersprach, konnten die Ermittler loslegen. Die Immunität von Maier ist aufgehoben.

Die SPD-Abgeordnete Steffen berichtet, dass viele Vorgänge, mit denen sich der Immunitätsausschuss befasst, keine Verurteilung nach sich ziehen. Für die AfD, die sich gern als einzige Rechtsstaatspartei darstellt, sind die Ermittlungen dennoch peinlich. „Dem Bruch von Recht und Gesetz, der Zerstörung des Rechtsstaats und verantwortungslosem politischen Handeln wollten wir nicht länger tatenlos zusehen“, heißt es in der Präambel der Partei. Das verträgt sich nicht mit der Tatsache, dass gegen eine Reihe von AfD-Mandatsträgern Ermittlungsverfahren laufen. Grund dafür ist auch, dass Mandatsträger der Partei die Verfahren „mitgebracht“ haben. Gegen sie wurde schon vor dem Einzug in den Bundestag ermittelt.

Bedenken gegen AfD-Tourismuspolitiker

Das gilt beispielsweise für den AfD-Abgeordneten Sebastian Münzenmaier, der dem Ausschuss für Tourismus vorsteht. Der Bundestag beschloss im Dezember, dass Münzenmaier keine Immunität mehr genießt. Ihm wird vorgeworfen, bei einem Angriff von Hooligans auf Fußballfans beteiligt gewesen zu sein. In erster Instanz wurde er zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Münzenmaier bestreitet den Vorfall und legte Berufung ein. In den anderen Fraktionen gibt es einige Abgeordnete, die sich fragen, ob Münzenmaier der richtige Vertreter im Tourismusausschuss ist. Auch die Immunität der AfD-Parlamentarier Harald Weyel und Martin Renner ist aufgehoben worden. Abgeordnete aus anderen Fraktionen äußern die Hoffnung, dass die Zahl der Immunitätsaufhebungen zurückgeht, wenn die Vorkommnisse aus der Zeit vor dem Mandat abgearbeitet sind. Die AfD-Bundestagsfraktion reagierte nicht auf eine Anfrage unserer Zeitung.

In anderen Fraktionen macht sich Unbehagen breit. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Aufhebung der Immunität in dieser Wahlperiode einen neuen Höchststand erreicht. Der Homepage des Bundestags ist zu entnehmen, dass in der letzten Legislaturperiode von 2013 bis 2017 in vier Fällen die Immunität aufgehoben wurde, weil die Strafverfolger Ermittlungsverfahren aufnahmen. Damals machten beispielsweise die Ermittlungen gegen den SPD-Abgeordneten Michael Hartmann wegen Drogenbesitz Schlagzeilen. Schon jetzt ist der Stand aus der letzten Legislaturperiode überschritten. Florian Toncar, Geschäftsführer der FDP-Fraktion, gehört dem Immunitätsausschuss erst seit Kurzem an. Er sagt: „Mein erster Eindruck ist: Es sind mehr Fälle als ich mir vorgestellt habe.“