Die Generation 50 plus hat im Fußball eine Zukunft. Oder ist das auch nur eine Ente? Foto: dpa

Die Generation 50 plus hat im deutschen Profifußball eine Zukunft, meint unser Autor Jürgen Roos. Oder ist das auch nur eine Ente?

Stuttgart - Anscheinend muss man ja in diesen Tagen vorsichtig sein mit dem, was man so sieht, hört und liest. Und wahrscheinlich ist das Internet schuld. Rasend schnell wird aus einer kleinen Lüge eine Halbwahrheit und schließlich eine Tatsache, die man eigentlich überprüfen müsste, es aber nicht tut, weil das in den Zeiten der Empörungskultur so altmodisch erscheint. Ein für eine Nacht ausgebüxtes 13-jähriges Mädchen, das eine Staatsaffäre zwischen Deutschland und Russland auslöst. Ein toter Flüchtling in Berlin, den es gar nicht gibt. Was dran ist an diesen sogenannten Nachrichten, ist völlig egal, die nächste Schockermeldung kommt bestimmt. Und wenn nicht, zappen wir einfach ins Dschungelcamp rein. Da ist sowieso nichts echt.

So gesehen ist es kein Wunder, dass wir am Anfang gedacht haben: Vorsicht! Womöglich ist die Geschichte mit Lippens am Ende auch nur eine Ente. Womöglich hat ein betrunkener Fan von Rot-Weiß Essen in seinem Internet-Blog oder auf seiner Facebook-Seite die Zeitebenen vertauscht. Womöglich folgt gleich die Twitter-Meldung von der Auferstehung Helmut Rahns, der den Essenern den Klassenverbleib in der Regionalliga West sichern soll. Per Linksschuss, versteht sich.

Die Geschichte mit Lippens, die ist echt

Nichts davon stimmt. Aber die Geschichte mit Lippens, die ist echt. Rot-Weiß Essen hat Willi Lippens, der im November 70 Jahre alt geworden ist, tatsächlich mit einem Spielerpass ausgestattet und in seinen Kader aufgenommen. Auf der Homepage des Clubs ist Lippens als Neuzugang 2016 mit der Körpergröße 170, der Nationalität niederländisch und der Rückennummer 70 aufgeführt. Ein genaues Spielerprofil gibt es noch nicht, ist aber auch unnötig, weil in Essen jedes Kind weiß, dass Lippens auf links außen spielt.

„Als Typ passt er hervorragend in das Konzept unserer Mannschaft“, hat RWE-Präsident Michael Welling geschrieben – und vermutlich nicht geahnt, welcher PR-Coup den Essenern damit gelungen ist. Die letzten Zweifel zerstreute meine Lokalzeitung, die am Samstag den Original-Spielerpass von Lippens abdruckte. Samt Foto eines strahlenden Siebzigers und Stempel des Westdeutschen Fußball- und Leichtathletik-Verbandes (WFLV). Auf der gleichen Seite stand ein großer Artikel mit der Überschrift „Die Rückkehr des Wasen-Karle“ – und in mir erwuchs die leise Hoffnung: Was Lippens (70) in Essen kann, kann Allgöwer (59) in Stuttgart schon lange. Aber wo ist sein Spielerpass?

Der Fußballverein ist Teil unserer Gesellschaft

Dass man die Erfahrung älterer Arbeitnehmer sinnvoll für seinen Betrieb nutzen sollte, ist ja beileibe nichts Neues. Gewerkschaften und Politik trommeln schon seit geraumer Zeit für die Generation 50 plus. Und ganz ehrlich: Der Fußballverein ist Teil unserer Gesellschaft. Also warum sollten demografischer Wandel und Fachkräftemangel spurlos an ihm vorübergehen?

Der SV Werder geht übrigens mit gutem Beispiel voran und stellt Claudio Pizarro (37) seit Anfang dieser Saison einen altersgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung, den dieser mit seiner ganzen Erfahrung auszufüllen vermag. Zwei Tore erzielte der Peruaner, der noch immer aussieht wie der junge Bruce Willis, bei der Bremer Aufholjagd gegen Berlin. Eins davon wäre auch ohne ihn reingegangen. Aber da zeigte sich die ganze Erfahrung des Alters. Pizarro hielt seinen Kopf hin – und durfte sich nach dem Schlusspfiff für sein 181. Bundesliga-Tor feiern lassen. „Da habe ich Garcia das Tor geklaut“, sagte Pizarro mit verschmitztem Lächeln, „sehr gut!“ Auch so kann man den jüngeren Kollegen mal zeigen, wie’s geht.

Willi Lippens, wen wundert’s, wurde beim Sonntagspiel von Rot-Weiß Essen gegen den 1. FC Köln II nicht eingewechselt. Wahrscheinlich hat er sich beim Abschlusstraining verletzt. Verbreiten wir’s mal über Twitter. Irgendjemand glaubt es bestimmt.