Eintracht-Sportvorstand Fredi Bobic (Ex-VfB-Stürmer): Einstellung vor Aufstellung. Foto: Baumann

Marco Reus mag von Mentalität nichts mehr hören. Aber fast alles entscheidet sich im Kopf. Ausnahmen bestätigen die Regel, schreibt StN-Autor Gunter Barner in seiner Kolumne.

Stuttgart - Man muss sich das echt mal vorstellen: Al Ghaddioui schießt den VfB zum Sieg. In Bielefeld. In letzter Minute. Und sie sagt, dass ich mich nicht so künstlich aufregen soll. „Tsss! Kommt doch eh alles nochmal in Zeitlupe.“ Erst läuft der Hund durchs Bild, dann meine Frau.

Ich möchte es so sagen: Mental ist das alles nur schwer zu verkraften. Denn der Bauch befiehlt: Platzverweis für den Hund, Rote Karte für die Meine. Die Birne dagegen kapituliert: Nützt eh nix. Guck lieber die Slow-Motion!

Mental ist fast alles im Leben

In solch emotional verknoteten Momenten hilft nur die Erfahrung. Und die ist bekanntlich die Summe aller Erkenntnisse. Was soviel bedeutet wie: Mental ist fast alles im Leben. Zweite Liga mit dem VfB, der Morgen nach dem einarmigen Reißen auf dem Cannstatter Wasen, Bahn fahren in Stuttgart, und – nach der festen Überzeugung meiner Zahnärztin – sogar das regelmäßige Reinigen meiner Kauleisten. Marco Reus, Borussia Dortmund, ist so betrachtet auch keine Hilfe. Er ist dental vielleicht gut drauf, kann den „Sch. . . mit der Mentalität“ aber nicht mehr hören.

Willensschulung mit Magath

Das ist menschlich zwar verständlich, aber in sportlicher Hinsicht nicht zielführend. Ich erlaube mir an dieser Stelle auf den früheren VfB-Übungsleiter Felix Magath hinzuweisen, der auf die passende Geisteshaltung seiner leidenden Mitarbeiter großen Wert legte. Nach einer dürftigen Darbietung karrte er am Sonntag früh seine Spieler mit dem Mannschaftsbus zur Willensschulung nach Lorch: Eine Stunde hin, eine Stunde Waldlauf, eine Stunde zurück. Erkundigungen nach dem Sinn der zeitraubenden Übung beantwortete er mit der angeblich besonderen Güte der dortigen Böden. „Da läuft man viel leichter.“

Wichtig ist im Kopf

VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder vertrat die längste Zeit seines Lebens die Auffassung, wonach Fußballspiele zu 90 Prozent im Kopf entschieden werden. „Oder glauben Sie, dass ein Profi den Sieg nur ein Jota weniger will, weil er jetzt drei statt zwei Millionen verdient?“ Erst als der VfB den geistigen Überflieger Thorsten Legat verpflichtete, beschlichen MV erste Zweifel an seiner Theorie. Ein Reporter fragte den Abwehrrecken, ob er schwäbische Spätzle schon kenne? Legat zuckte ratlos mit den Schultern und antwortete: „Bis jetzt hab ich die noch nicht probiert. Aber im Allgemeinen mag ich Geflügel.“

Der ehemalige VfB-Torjäger Fredi Bobic vertrat stets die Auffassung, dass weniger die Auf- als die Einstellung einer Mannschaft über Sieg und Niederlage entscheide. Das kommt der amtlichen Definition zwar sehr nahe, wonach Mentalität die Einstellung des Denkens eines Einzelnen oder einer Gruppe von Menschen bestimmt und das individuelle oder kollektive Verhalten lenkt. Ex-VfB-Trainer Winnie Schäfer hat Bobics steile These allerdings widerlegt. Ob Seemannsgarn oder nicht: Bis heute erzählt man sich an den Stammtischen gern das angebliche Kabinengespräch vor dem Auswärtsspiel des VfB Stuttgart beim FC Bayern. Der wilde Winnie trachtete danach, den Gegner sofort nach dem Anpfiff zu überraschen. Anstoß: Die Kugel sofort zu Balakov, der schickt auf rechts Djordjevic. Der flankt auf Bobic. Kopfball, Tor! „Super Idee, Trainer,“ soll Bobic geantwortet haben, „aber der Djordje spielt heute gar nicht.“

Notfalls neue Winterstiefel

Generell ist gegen die psychisch starke Bewaffnung bei der Ballarbeit aber wenig zu sagen. „Mit Mentalität schlägt man Qualität“, stichelte Schalkes Torhüter Alexander Nübel nach dem 3:1-Erfolg bei RB Leipzig. Im Hinblick auf den ehelichen Frieden während Fußballübertragungen kann im Notfall helfen, die mentalen Fähigkeiten der Liebsten beim Shopping zu aktivieren. Sie trägt jetzt neue Winterstiefel. Das 2:2 von Borussia Dortmund gegen Werder Bremen sah ich völlig ungestört. Und mental brutal gut drauf, wie die Fußballer sagen.