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Wütende Spieler, respektlose Fans, überforderte Schiris. Wir wünschen der Veranstaltung einen sportlich fairen Verlauf.

Stuttgart - Weil der Fußball davon lebt, dass ständig etwas geschieht, das nicht passieren darf, muss es auch immer jemanden geben, der nachher alles schon vorher gewusst hat. Zum Beispiel den Experten. Keine Ahnung, warum die Spur der Erkenntnis geradewegs zum fränkischen Sprachakrobaten Lothar Matthäus führt. Vielleicht, weil ihm sein Ying und Yang frühzeitig den Weg wies: „Schiri kommt für mich nicht in Frage, eher etwas, das mit Fußball zu tun hat.“

Inflation der Kurzschlüsse

Jetzt philosophiert er über die biomechanischem Zusammenhänge beim Ballstoß per Innenrist oder er wühlt gedanklich im Innern eines emotional unter Hochspannung stehenden Fußballprofis ohne passenden Sicherungskasten. „Man muss den Spielern mehr Zeit geben, um sich an die neue Situation zu gewöhnen“, forderte die letzte Instanz im Pay-TV, nachdem die Regelhüter zum Saisonbeginn beschlossen hatten, die Inflation der Kurzschlüsse wieder einzudämmen: Mit schnellen und harten Strafen. Man könne doch von einem Fußballer, der 90 Minuten „Dobleistung“ zu bringen habe, nicht erwarten, „dass er sich in jeder Spielsituation an das erinnert, was in einer Regelbesprechung vor Saisonbeginn gesagt wurde“, wundert sich Matthäus, dessen Erfahrungshorizont im Bezug auf die Konversation unter Profis von unschätzbarem Wert zu sein scheint: „Ein Wort gab das andere, wir hatten uns nichts zu sagen.“

Diese These allerdings leistet dem weit verbreiteten Vorurteil Vorschub, wonach ein Held in kurzen Hosen noch nicht mal seine Schuhe selber binden kann. Überdies vertieft sie die Sorge um das Kopfballspiel und die medizinischen Folgen: Gedächtnisverlust, retrograde Amnesie. BVB-Trainer Lucien Favre ist nach dem 3:4 bei Bayer Leverkusen jedenfalls der Verzweiflung nah: In Dortmund erinnert sich kein Mensch mehr, wie das mit der Abwehr geht.

Zettel gegen die Vergesslichkeit

Keine Lösung ist jedenfalls, dass der nachsichtige Schiedsrichter den Zornigeln einen in allen verfügbaren Sprachen verfassten Zettel hinhält mit der Aufschrift: „Falls Sie sich nicht erinnern können: Vom 1. April 2020 an werden Verstöße gegen Respekt und Anstand mit einer gelben oder roten Karte geahndet.“ Und falls doch: Was passiert nach dem 1. April?

Bei Lichte betrachtet ist es noch immer so, dass der Mensch einen Kopf hat, um den Bauch zu kontrollieren. Warum im Fußball der Verstand besonders häufig in die Hose rutscht, lässt sich natürlich erklären, zu entschuldigen ist es in vielen Fällen aber nicht. Schon gar nicht, wenn intellektuell besonders Bedürftige auf den Tribünen Dinge rufen, die gegen alles verstoßen, was dem Sport heilig ist.

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Weshalb ein ehrwürdiger Justiziar aus Ludwigsburg jetzt via „Bild“ einen ordnungspolitischen Vorschlag publizierte, der dem Knigge wieder zu mehr Geltung verhelfen soll und womöglich das Zeug zum Friedensnobelpreis hat. Christoph Schickhardt denkt an einen Publikumsaufpasser, der – vermutlich mit Radaraugen und Abhöranlage ausgestattet – Verstöße gegen die Sportlichkeit an passender Stelle meldet.

Aufpasser für alles und jeden

Die Idee ist einleuchtend, weil es rund um ein Fußballspiel schon jetzt etliche Aufpasser gibt. Parkplatzwächter zum Beispiel oder die Security am Eingang, die von Amts wegen in jedem Schnupfenspray eine Bombe wittert. Es gibt auch Schiedsrichter-Beobachter, die bewerten, ob der Schiri eine Pfeife ist. Und es gibt den Vierten Offiziellen, der inoffiziell die Handschellen für die Trainer mit sich führt. Nicht zu vergessen: Die Video-Künstler in ihrem Kölner Verlies, die mit kalibrierten Linien prüfen, ob Ihnen im Spiel was gegen den Strich geht. Was Matthäus dazu sagen würde? Vermutlich: „Wir sind eine gut intrigierte Truppe. Wichtig ist, dass wir 90 Minuten mit voller Konzentration an das nächste Spiel denken. Und den Sand nicht in den Kopf stecken.“