In Deutschland setzen viele Menschen auf Lebensversicherungen. Insgesamt 90 Millionen Verträge gibt es. Foto: dpa

Lebensversicherungen haben für die Altersvorsorge hierzulande eine große Bedeutung. Seit die Zinsen so niedrig sind, ist es immer wieder zu Diskussionen wegen der Renditen gekommen. Nun deutet der Bundesgerichtshof an, dass die Kürzung der Rendite durch Versicherer rechtens ist.

Karlsruhe - Lebenspolicen sind der Altersvorsorgeklassiker schlechthin. Insgesamt 90 Millionen Verträge gibt es in Deutschland. In der jetzigen Niedrigzinsphase schmelzen die am Vertragsende ausgezahlten Summen wie Schnee in der Sonne. Das hat einen Streit über die Frage entfacht, was Versicherungskunden bei Vertragsende rechtmäßig zusteht. Der Bundesgerichtshof (BGH) wird am 27. Juni über diese brisante Frage entscheiden. Richterin Barbara Mayen hat in der Verhandlung angedeutet, dass der BGH-Senat die aktuelle Gesetzeslage als verfassungsgemäß erachtet (AZ: IV ZR 201/17).

Worum geht es im Kern, und wie sieht der Bundesgerichtshof die Lage?

Im Zentrum des Streits steht ein Gesetz aus dem Jahr 2014, das es Lebensversicherern erlaubt, die Beteiligung an Bewertungsreserven für Kunden zu reduzieren. Das könne angesichts der ungebrochenen Niedrigzinsphase wohl gerechtfertigt und verfassungsgemäß sein, erklärte Richterin Barbara Mayen bei der Verhandlung im Gerichtssaal. Voraussetzung ist, dass ohne reduzierte Überschussbeteiligung die Garantien an das verbleibende Versichertenkollektiv in Gefahr geraten. Diesen Umstand müssten Versicherer aber gegenüber den Lebensversicherten besser begründen, deren Auszahlung geschmälert wird.

Wer hat vor dem BGH geklagt?

Kläger ist der Bund der Versicherten (BdV), der ein Grundsatzurteil erstreiten will. Die Verbraucherschutzorganisation ist der Meinung, dass das 2014 erlassene Lebensversicherungsreformgesetz verfassungswidrig ist, weil es eine finanzielle Benachteiligung von Lebensversicherten systematisch festschreibt.

Um welche Summen geht es für die Versicherten?

Der BdV klagt gegen die zum Ergo-Konzern gehörende Victoria Lebensversicherung. Die hatte einem Kunden kurz vor der Gesetzesänderung 2014 mitgeteilt, das er für seine Lebenspolice unter Vorbehalt 2821 Euro Überschussbeteiligung erwarten kann. Nach Gesetzesänderung sind daraus dann magere 149 Euro geworden.

Wie kann das sein?

Lebensversicherungspolicen speisen sich aus mehreren Gewinntöpfen, die am Ende eine Gesamtverzinsung auf die Sparanteile der gezahlten Beiträge ergibt. Ein Topf ist die einmalige Beteiligung an den Bewertungsreserven am Vertragsende. Diese Reserven entstehen, wenn der aktuelle Marktpreis einer vom Versicherer getätigten Kapitalanlage höher als der einstige Kaufpreis ist. Es sind also Buchgewinne, die erst einmal nur auf dem Papier stehen. Bis 2014 waren Lebensversicherte, deren Verträge gerade ausgelaufen sind, zur Hälfte an diesen Buchgewinnen beteiligt. Das dann erlassene Gesetz hat eine drastische Kappung dieses Anteils bewirkt.

Ist das nicht ungerecht?

Nur auf den ersten Blick. Aus Sicht des Versichertenkollektivs sieht es anders aus. Lebensversicherer legen Kundengelder vor allem in festverzinslichen Wertpapieren an. Wegen anormal niedriger Zinsen führt das zu riesigen Bewertungsreserven. Um diese Buchgewinne zu realisieren und sie hälftig an Kunden auszuschütten, deren Verträge gerade auslaufen, müsste man die Papiere aber verkaufen. Verkaufte Papiere bringen jedoch keine Zinsen mehr. Sie fehlen damit Versicherten, deren Verträge noch laufen; deren künftige Auszahlungen werden damit geschmälert. Gerechtigkeit wird damit zu einer Abwägungsfrage.

Klärt der BGH dies nun abschließend bei der Urteilsverkündung am 27. Juni?

Nein. Erwartet wird zum einen, dass der BGH den konkreten Fall zurück an das Landgericht Düsseldorf verweist. Dabei geht es aber nur um die Informationspflichten der Versicherer und nicht die eigentliche Kürzungen der Überschussbeteiligung. BdV-Chef Axel Kleinlein nennt diese sich abzeichnende Grundhaltung des BGH als nicht nachvollziehbar und hat bereits angekündigt, notfalls vor das Bundesverfassungsgericht (BVG) ziehen zu wollen. Dort war der BdV bereits einmal erfolgreich, als er 2005 erstritten hat, ausscheidende Lebensversicherte grundsätzlich angemessen an den Bewertungsreserven zu beteiligen.

Welche Bedeutung hat der Streit für Lebensversicherungskonzerne?

In jedem Fall eine große, in Einzelfällen möglicherweise existenzentscheidende. Klassische Lebenspolicen, die im Neugeschäft ein Auslaufprodukt sind, dominieren aber noch auf viele Jahre die Vertragsbestände der Konzerne. Sie sind mit Garantiezinsen ausgestattet, die Kunden abseits aller eventuellen Überschüsse auf alle Fälle zustehen. Diese Garantiezinsen sind für Neuverträge zwar mittlerweile auf 0,9 Prozent gesenkt worden. In Altverträgen gibt es aber Garantien von bis zu vier Prozent. Sollten Versicherer gezwungen werden, noch laufende festverzinsliche Wertpapiere aus früheren Hochzinsphasen im großen Stil zu versilbern, könnte es zumindest für einzelne Unternehmen eng werden, ihre Garantien an Bestandskunden zu erfüllen. In der Summe geht es nach BdV-Schätzungen branchenweit um zweistellige Milliardenbeträge. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft bestätigt diese Dimension nicht und verweist darauf, dass Bewertungsreserven je nach Stichtagsbetrachtung stark schwanken.