Die 53-jährige Souad Abderrahim (rechts) wirkt offen und geht auf die Menschen zu. Foto: Eglau

Die 53-jährige Souad Abderrahim wird Bürgermeisterin der tunesischen Hauptstadt und will viel verändern.

Tunis - Souad Abderrahim hat geschafft, was noch keine Frau in Tunesien und in der gesamten arabischen Welt geschafft hat. Als erste Frau bekleidet sie künftig das höchste Amt in der Hauptstadt ihres Landes. Bei der Bürgermeisterwahl von Tunis setzte sich die gelernte Pharmazeutin, die der Ennahda angehört, in dem 60-köpfigen Stadtrat gegen ihren männlichen Konkurrenten von Nida Tounes mit 26 zu 22 Stimmen durch. Ihre islamisch-konservative Partei hatte am 6. Mai die Kommunalwahlen in der 1,1-Millionen-Stadt mit deutlichem Abstand gewonnen. Dieser erste Urnengang seit der Staatsgründung 1956 in insgesamt 350 Städten und Gemeinden war ein weiterer demokratischer Meilenstein, auch wenn die Wahlbeteiligung mit 33,7 Prozent mager ausfiel. In der Vergangenheit dagegen wurden die Spitzenämter in den Kommunen stets durch den Staatspräsidenten vergeben.

Souad Abderrahim hat eine gewinnende Ausstrahlung. Die 53-Jährige trägt kein Kopftuch, wirkt offen und engagiert und versteht es, auf Menschen zuzugehen. Sie wurde am 16. Dezember 1964 in Sfax geboren, studierte Pharmazie in Monastir, der Geburtsstadt von Staatsgründer Habib Bourguiba. In jungen Jahren war sie im islamischen Studentenbund aktiv und trug ein Kopftuch, was sie jedoch ablegte, als sie 1992 beim Pharma-Grossisten Presta Pharm als Managerin einstieg.

Ihr Familienbild ist streng orthodox

Ihren Weg in die Politik begann sie nach dem Sturz von Diktator Zine al-Abidine Ben Ali. Von 2011 bis 2014 war sie Abgeordnete in der verfassunggebenden Versammlung. Wegen ihres freundlichen Auftretens wurde die Mutter zweier Kinder, die sich als muslimische Feministin definiert, schnell zu einem modernen Aushängeschild ihrer islamisch-konservativen Partei. Trotzdem ist ihr Familienbild streng orthodox. Mit der Aussage, unverheiratete Mütter seien eine Schande für eine islamische Gesellschaft, löste sie 2011 einen Aufruhr aus. Auch zu der momentan heftig diskutierten Reform des islamischen Erbrechts, welches Frauen nur die Hälfte des männlichen Erbteils zugesteht, will sie keine Stellung nehmen. Zu der Frage, ob das Erbe für Frauen und Männer künftig gleich hoch sein soll, habe sie sich noch keine Meinung gebildet, sagte sie.

Wie Souad Abderrahim wurden auch in 52 weiteren Städten und Gemeinden Frauen an die Spitze ihrer Kommunen gewählt. In 70 der 350 Wahlbezirken steht die Entscheidung noch aus. Zudem sind knapp die Hälfte der 7200 gewählten Gemeinderäte Frauen, nicht zuletzt, weil für alle Kandidatenlisten eine Frauenquote von 50 Prozent vorgeschrieben war.

Die neue Bürgermeisterin will das Gesicht von Tunis verbessern

Für Tunis hat Souad Abderrahim klare Prioritäten. Sie will den Nahverkehr entwickeln, das Müllproblem in den Griff bekommen, mehr Geld in die Schulen stecken und die vernachlässigten Parks der Stadt aufpäppeln. Zudem schlägt sie vor, mehr als bisher junge Gefängnisinsassen zu gemeinnützigen Arbeiten heranzuziehen, was ein bis jetzt kaum genutztes Gesetz erlaubt. Tunesien sperrt jedes Jahr Abertausende Menschen mit kurzen Haftstrafen ein, die meisten wegen Taschendiebstahl, Einbrüchen oder Drogendelikten. Souad Abderrahim möchte diesen anbieten, statt ein Jahr Haft 600 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. „So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe“, sagt sie. „Die jungen Leute kommen aus den Gefängnissen, und sie tun etwas für ihre Stadt.“

Sichtlich bewegt versprach die neue Bürgermeisterin in ihrer ersten Ansprache, sich mit aller Kraft in den Dienst der Bürgerinnen und Bürger zu stellen. „Ich will das Gesicht von Tunis verbessern“, sagte sie und fügte hinzu. „Diesen Sieg widme ich allen Frauen meines Landes, der gesamten Jugend und Tunesien.“