Im Südsudan flüchten die Menschen vor dem jahrelangen Bürgerkrieg. Foto: AP

Bereits vor 25 Jahren hungerten im Süden des Sudans rund eine Million Menschen. Überlebende von damals sagen, dass die Situation heute sogar noch schlimmer ist.

Jiech - Bob Wol windet sich vor Schmerz auf dem schmutzigen Boden seiner Hütte. Mit den Fingern berührt er die frischen Schusswunden an seiner Hüfte und seinem Rücken. „Ich wollte Nahrung besorgen, und meine Regierung hat versucht, mich zu töten“, sagt der 29-Jährige.

Es ist rund 25 Jahre her, dass Wols Region im Südsudan von einer Hungersnot heimgesucht wurde. Damals waren über eine Million Menschen vom Hungertod bedroht. Heute, so sagen die Menschen, habe sich die Lage noch verschlechtert.

„Damals hat dich nur der Hunger umgebracht“, erinnert sich Lony Toang, die die erste Krise vor 25 Jahren in der Region Ayod überlebt hat. „Heute ist es schlimmer, weil wir Hunger haben und weil wir uns gegenseitig umbringen.“

Der blutige Bürgerkrieg im Südsudan geht ins fünfte Jahr. Mehrere Waffenruhen wurden gebrochen. Zwischenzeitlich gab es eine kurzlebige Regierung der nationalen Einheit unter Beteiligung der beiden Rivalen, Präsident Salva Kiir und Rebellenführer und Ex-Vizestaatschef Riek Machar. Sie gehören unterschiedlichen Ethnien an: Kiir ist Dinka, Machar ein Nuer.

1,25 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht

Zehntausende Menschen wurden während des Konflikts getötet, eine Million Südsudanesen flohen außer Landes. Im Land sind inzwischen nach Schätzungen der Vereinten Nationen und der Regierung rund 1,25 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Wenn die Kämpfe andauerten, werde sich der Hunger schon Anfang des kommenden Jahres auf andere Regionen ausweiten, warnen die UN. Für rund die Hälfte der elf Millionen Einwohner des Landes wäre die Nahrungsmittelversorgung dann gefährdet.

Wols Frau und seine fünf kleinen Kinder hatten seit Tagen nichts mehr gegessen. Da machte der Familienvater sich auf den Weg, um Nahrung zu besorgen. Sechs Tage war er zu Fuß unterwegs, ernährte sich von Früchten, die er von Bäumen holte. Schließlich erreichte er die Bezirkshauptstadt Ayod, die von Regierungstruppen gehalten wird.

Doch die Soldaten hätten ihn für einen Rebellen gehalten und beschossen. „Als ich getroffen wurde, habe ich nur gedacht: Ich will nicht sterben, bevor ich Lebensmittel für meine Familie habe“, sagt er verzweifelt. „Aber wir sind hier eingesperrt und kommen nicht raus.“

Militär weist Vorwürfe zurück

Abgelegen, karg und abgeschnitten vom Rest des Landes leben in der Region Ayod im Staat Jonglei rund 160 000 Menschen. Die Kämpfe haben die ohnehin schon schwierige Situation dort rapide verschlechtert.

Das südsudanesische Militär weist Berichte von Übergriffen auf die Zivilbevölkerung zurück. Es sei nicht die Politik der Regierung, Zivilisten den Zugang zu Hilfe zu verwehren. „Was würde das für einen Sinn ergeben, wenn Regierungstruppen ihre eigenen Bürger töten, die nach Lebensmittel suchen?“, fragt Armeesprecher Domic Chol Santo.

Doch auch aus anderen Gegenden gibt es Vorwürfe, dass sowohl Regierungstruppen als auch Rebellen Nahrung wie eine Waffe einsetzen. In der Region Equatoria berichten Bewohner, die Armee verhafte Zivilisten, vergewaltige oder töte, wenn diese versuchten, ihre Felder zu bebauen, weil man sie für Mitglieder der Opposition hält.

Mary Yata aus dem Ort Lainya sagt, dass sie vor einigen Wochen Soldaten auf ihren Feldern entdeckte, die Maniok stehlen wollten. „Sie sagten, wenn ich nicht verschwinde, bringen sie mich um“, erzählt sie. Ein paar Tage später habe sie dann die Soldaten auf dem Markt gesehen, wie sie dort ihren Maniok verkauften.

„Die Zivilbevölkerung ist in einem tödlichen Kreislauf gefangen“, sagt Donatella Rovera, Krisenmanagerin von Amnesty International. „Sie werden auf keinen Fall beschützt.“ Stattdessen sind sie von den Zuteilungen aus dem UN-Welternährungsprogramm (WFP) abhängig.

Menschen laufen die ganze Nacht für Hirse und Bohnen

Wie groß Not und Verzweiflung sind, wurde vergangene Woche deutlich, als zu einer Lebensmittelausgabe rund 11 000 Menschen aus den umliegenden Wäldern kamen. Einige waren die ganze Nacht gelaufen, um etwas Hirse, Bohnen oder Speiseöl zu ergattern.

Obwohl das WFP mittlerweile statt alle 90 Tage nun alle 60 Tage Lebensmittel in Ayod ausgibt, reicht die Nahrung nach Aussage von Helfern gerade einmal für einen Monat.

„Ich habe alte Menschen gesehen, die haben Körner aufgesammelt, die aus den Säcken auf den Boden gefallen sind“, sagt Ewnetu Yohannes, Teamleiter der katholischen Hilfsorganisation CRS, die die Verteilung beaufsichtigt. „Wenn das WFP nicht hier wäre, hätten wir hier eine Katastrophe.“

Elizabeth Nyakoda wischt die Muttermilch von der Wange ihrer zehn Monate alten Tochter. Die 35 Jahre alte Mutter von fünf Kindern hatte es nicht rechtzeitig geschafft, sich für die Lebensmittelausgabe zu registrieren. Ihr Feld will sie aus Angst nicht bewirtschaften. Sie musste deswegen ihre Familie um Hilfe bitten.

Ihr Töchterchen beginnt zu weinen, sie streicht mit der Hand sanft über den vorstehenden Brustkorb des Mädchens und zuckt mit den Achseln. „Wenn das Kind vor Hunger weint, was kannst du dann tun?“, sagt sie. „Es gibt keine Optionen.“