Ein bleibender Ort des Schreckens: das Straßenstück vor der Asylunterkunft, auf dem Ece S. erstochen wurde. Foto: dpa/Bernd Weißbrod

In Illerkirchberg, dem Ort, an dem die deutsche Flüchtlingspolitik in schreckliche Dramen führte, stellten sich Behördenvertreter Fragen der Bürger. Die Antworten blieben meist dürftig.

Das schäbige Haus mit dem abgeplatzten Putz in der dunklen Gasse, die Teil des täglichen Schulweges vieler Kinder von Oberkirchberg ist, steht vorerst leer. In den Augen vieler Menschen hier ist es ein verdammtes Haus in einer verdammten Gasse. Der parteilose Bürgermeister Markus Häußler wird danach gefragt an diesem Mittwochabend, an dem sich rund 350 Einwohner in der Gemeindehalle von Unterkirchberg versammeln, um die „Aufarbeitung“ der Bluttat vom 5. Dezember zu beginnen, wie es die Rathausverwaltung in der Einladung vorformulierte. Zusatzstühle müssen her, damit niemand stehen muss. Zu späterer Zeit werde entschieden, was mit dem von der Gemeinde gemieteten Haus geschehen solle, sagt Bürgermeister Häußler.

Direkt davor, ein paar Meter gegenüber der Eingangstür, ist an jenem Dezembermorgen im vergangenen Jahr gegen 7.25 Uhr die 14-jährige Ece S. auf dem Weg zur nahen Haltestelle erstochen worden, ihre 13-jährige Freundin überlebte schwer verletzt. Immer noch ist unklar, was den 27-jährigen Eritreer trieb, der hier lebte und die Tat Anfang Januar bei einer Vernehmung durch die Polizei gestanden hat. Ebenfalls unklar ist der Tod eines Landsmanns und Mitbewohners, der von Spezialkräften zunächst ebenfalls festgenommen wurde. Er hatte sich am 7. Dezember in der nahen bayerischen Grenzstadt Senden im Bahnhof vor einen Zug geworfen. Die Ulmer Polizeivertreter, die an diesem Abend Präsenz zeigen, können dazu nichts Genaues sagen. Laufende Ermittlungen, man müsse das verstehen.

Zwei Gewaltfälle, eine Gefühligkeit

Und es gibt ja noch einen Flüchtling aus Afghanistan, der mit dieser Bluttat nichts zu tun hat, aber sehr wohl mit einer Gruppenvergewaltigung eines 14-jährigen Mädchens 2019 in einer anderen Illerkirchberger Asylunterkunft, die mittlerweile abgerissen ist. Er ist zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, saß die Strafe ab. Über ihn kam im Dezember heraus, dass die Bundesregierung eine von baden-württembergischen Regierungsvertretern geforderte Abschiebung nach Afghanistan abgelehnt hatte und dass der Mann zunächst an den ihm zugewiesenen Wohnsitz Illerkirchberg zurück musste.

Zwei verschiedene Fälle, aber in den Köpfen vieler Bürgerinnen und Bürger gehören sie zusammen, wie sich bald an diesem Abend zeigen wird. Bürgermeister Häußler, der schon bisher, trotz kurzer Amtszeit und seines Alters von Mitte dreißig, erstaunliche Empathie, Tonsicherheit und demokratische Wertefestigkeit an den Tag gelegt hat, will die Atmosphäre durch ein Generallob entschärfen. Er dankt den Besuchern, die nur mit Ausweiskontrolle und örtlichem Wohnsitznachweis Zutritt bekamen, „dass Sie die politische Vereinnahmung dieser Tat nicht zugelassen haben“. Die AfD und die Rechtspartei Dritter Weg waren schon zu Demos vors Rathaus gezogen.

„Meine Tochter schläft nur noch mit Licht“

Gleich die erste Fragestellerin gibt den Ton in der Gemeindehalle vor. Sie will wissen: „Wie werden die Menschen sozial betreut, wenn sie aus ganz anderen Kulturen kommen und auch der Respekt vor Frauen absolut fehlt?“ Später, als sie noch einmal zum Saalmikrofon greift, schiebt sie nach: „Das ganze Dorf hat Angst.“ Ein weiterer Redner beklagt: „Meine Tochter schläft nur noch mit Licht und Musik ein.“

Der Leiter der Ausländerbehörde des Alb-Donau-Kreises ist neben dem Bürgermeister auf einem Podium platziert, ebenso ein leitender Beamter des Regierungspräsidiums Tübingen, dazu Falk Fritzsch, Leiter des Sonderstabs für gefährliche Ausländer im Justizministerium in Stuttgart. Sie reden lange über eingeübte Abläufe in der Flüchtlingsbetreuung, über Rechtsverhältnisse und Zuständigkeitsaufteilungen, über speziell geschulte Betreuer, die grundsätzlich dahin gehen, wo eine Krise aufflackert.

Häußler indessen gibt an diesem Abend die vermutlich ehrlichste Auskunft. Einmal pro Woche schauten Helfer in seiner Gemeinde in den acht Flüchtlingsunterkünften nach dem Rechten. Zudem biete man „den Menschen die Möglichkeit, im Rathaus vorbeizukommen und sich zu informieren“. Schließlich sagt Häußler: „Psychologische Betreuung ist weder vorgesehen, noch können wir sie leisten.“ Kurze Pause im Saal. Das Wort von der Angst brandet jetzt in schneller Folge vorne am Podium an. Diese straffälligen Flüchtlinge, „die können doch nicht uns als Land in Schrecken versetzen“, sagt ein jüngerer Mann. Er kriegt Applaus. Auch der etwas ältere Herr, der ganz generell feststellt: „Der Täter hat bei uns mehr Recht auf körperliche Unversehrtheit als das Opfer.“ Auch eine Frau, die im Fall des Afghanen nachschiebt: „Was können wir jetzt tun, dass er gehen muss? Da sammeln wir dafür, falls das Geld nicht reicht.“

Zweifel am Sinn von Datenschutzverordnungen

Falk Fritzsch vom Justizministerium versucht sich an einem rechtsstaatlichen Einwand. Er erwähnt, dass der Afghane seine Haftstrafe schließlich voll verbüßt habe. Bitteres Gelächter in der Halle schneidet weitere Sätze ab. Nachdem sie nochmals betont hat, der verurteilte Vergewaltiger von 2019 sei „uns wieder ins Dorf gesetzt worden“, verlangt eine Frau in scharfem Ton zu wissen: „Wer hat entschieden, dass wir nicht gewarnt werden?“ Die Amtsvertreter auf dem Podium argumentieren mit Datenschutz und Melderegistern. Was erzürnte besorgte Bürger unternommen hätten, wenn sie von der Rückkehr des Vergewaltigers erfahren hätten, und was überhaupt passierte, wenn die Wohnorte verurteilter Verbrecher generell öffentlich bekannt würden, das bleibt an diesem Debattenabend ungestreift.

Bürgermeister Häußler sagt fast am Ende des Abends, den womöglich klügsten Satz, den man in einer solchen Atmosphäre überhaupt entgegnen kann. Man muss dazu wissen: Im Alb-Donau-Kreis leben aktuell knapp 1100 Flüchtlinge, davon 335 Menschen aus der Ukraine. Häußler ruft die Menschen in der Halle auf zur „Offenheit gegenüber diesen Menschen, die jetzt auch Angst haben“.

Schließlich steht in der ersten Stuhlreihe noch ein Mann auf und fängt zögernd an zu sprechen. „Ich wollte eigentlich gar nichts sagen“, beginnt er mit brüchiger Stimme. Aber er und seine Frau hätten einen Wunsch, sagt der Vater der getöteten Ece: Das jetzt leer stehende Haus in der dunklen Gasse auf dem Schulweg, die bisherige Asylunterkunft, solle bitte „legal erworben und plattgemacht werden“. An seiner Stelle solle „eine schöne grüne Wiese, wo die Kinder spielen können“ gepflanzt werden – „auch meine verbleibenden zwei Kinder“. Jetzt bricht ihm die Stimme doch. Im Saal wird applaudiert. Es sind sogar ziemlich viele, die das tun.