Der betrogene Gatte: Der auch in Stuttgart bekannte Max Simonischek verkörpert Kleists Titelfigur Amphitryon. Foto: Birgit Hupfeld

Regisseur Andreas Kriegenburg überträgt eine antike Geschichte ins Hier und Heute: Was erschöpfte Männer mit alten Göttern zu tun haben und warum die Schmerzensmänner des 21. Jahrhunderts vor Superhelden kapitulieren und sich ihre Identität stehlen lassen.

Frankfurt - Im Zweifel für den Zweifel, lautet eine Liedzeile der deutschen Popband Tocotronic. Auch Philosophen feiern die Skepsis, den Zweifel, die Mehrdeutigkeit. Doch wenn man mit einem Mann schläft, möchte man schon gern genau wissen, ob er es ist oder ein anderer. Wie ist das möglich? Ganz einfach in einer Welt, in der Götter Männergestalt annehmen und einer nichtsahnenden Frau eine rauschende Eheliebesnacht bescheren: Jupiter begattet Alkmene, die meint, es sei ihr Mann Amphitryon.

Im 19. Jahrhundert glaubten viele nicht mehr an Götter, weshalb Heinrich von Kleist in seinem Drama „Amphitryon“ den Mythos weitet – zur aufklärerischen Frage der Selbstvergewisserung, wie sehr man seinen Sinnen, seinem Verstand trauen kann. Andreas Kriegenburg lässt in seiner überzeugenden, oft amüsanten, körperbetonten, im Ton aber doch dunkel tragischen Inszenierung am Schauspiel Frankfurt Amphitryon und seinen Diener Sosias als vom Alltag zermürbte Angestellte mit Aktentasche und Rollkoffer auftreten.

Kommunizierende Röhren

Die Bühne von Harald B. Thor besteht aus übereinander liegenden Röhren, die an Bahnhofsstationen erinnern. Amphitryons Diener Sosias (Christoph Pütthoff) geht auf und ab und überlegt, wie er Heldentaten seines Herrn (die er gar nicht miterlebt hat) bei Alkmene wortreich ausschmücken soll. In der Röhre darüber tigert ein identisch gekleideter Mann (Sebastian Reiß) – es ist Jupiters Helfer Merkur –, genauso hin und her. Plötzlich taucht er neben Sosias auf und behauptet, er selbst sei Sosias, der andere solle verschwinden (damit Jupiter bei Alkmene nicht gestört wird). Weil er größer und bewaffnet ist, gibt Sosias auf. Er wirkt fast erleichtert, dass ein anderer sich um den Job und die zänkische Frau Charis (Friederike Ott) kümmert. Dito Amphitryon. Max Simonischek, den man auch aus dem Fernsehen kennt und der in Stuttgart zuletzt in Armin Petras’ „Buch (5 ingredientes de la vida)“ gastierte, interpretiert den Titelhelden als überforderten Schluffi. Er versteht nicht, was vor sich geht, hält sich nur den Kopf und liegt betrunken in der Badewanne. Aber er kann sich kaum gegen die Faxen von Jupiter (gespielt von dem ehemaligen Stuttgarter Ensemblemitglied Fridolin Sandmeyer) wehren.

Wären Männer doch wie Götter!

Womöglich ist der Angestellte von allgemeiner Unsicherheit so zerquält, dass hier Gott zum eigenen gewünschten Ich wird: Dem Besser-Ich. Das gilt für die ausgebrannten Männer. Und die Frauen? Patrycia Ziolkowskas Alkmene ist so glücklich mit Jupiter-Amphitryon und so verzweifelt fest der Ansicht, der Falsche sei der Wahre, als wünschte sie insgeheim, dass Männer wie Götter wären und wüssten, was sie wollen. Kerle, die etwas wuppen und nicht zaudern wie diese Schmerzensmänner des 21. Jahrhunderts. Am Ende bleibt ihr aber nur der Menschmann, dem Jupiter zum Abschied die Nase blutig geschlagen hat. Alkmenes berühmtes finales „Ach“: eine fassunglos gekrächzte Kapitulation vor der unheroischen Banalität des Alltags.