Auf Schritt und Tritt begegnet Besuchern im Röhm-Areal lokale Geschichte. Peter Beck hat diese recherchiert. Foto: Gottfried Stoppel

Peter Beck hat intensiv über die ehemalige Lederfabrik auf dem Röhm-Areal in Schorndorf, über deren Betreiber Hermann Röhm und seine Rolle während des Nationalsozialismus geforscht. Das Ergebnis liegt nun als Buch vor.

Waiblingen/Schorndorf - Es ist eine folgenreiche Depesche gewesen, die Karl David Schmid, ein Schorndorfer Seifensieder, im Jahr 1866 an seinen Sohn Gottlob in Dänemark schickte. Letzterer bildete sich im Handwerk der Rossgerberei fort, als ihn die Nachricht seines Vaters erreichte: Ein Grundstück und eine (betuchte) Gattin zur Gründung einer Lederfabrik seien gefunden. Danach ging alles Schlag auf Schlag – noch im selben Jahr heiratete Gottlob Schmid Luise Brecht, kaufte ein Gelände im Weiler Weg in Schorndorf und gründete seine Rosslederfabrik, die später zur Röhmschen Lederfabrik wurde.

Deren Geschichte, den Herstellungsprozess von Leder, der nichts für Zartbesaitete war, sowie die Rolle des späteren Firmenchefs Hermann Röhm in der Zeit des Nationalsozialismus hat der Waiblinger Peter Beck im Zuge einer Doktorarbeit erforscht und nun im Iris Förster Verlag veröffentlicht: ein interessantes Kapitel regionaler und lokaler Geschichte, das bisher vernachlässigt worden war. Auf diese Lücke in der Schorndorfer Industriegeschichte ist Peter Beck, heute Schulleiter der Kastell-Realschule in Welzheim, Gemeinderat und nach eigenen Worten „begeisterter Geschichtslehrer“ durch einen Freund, den 2015 verstorbenen Schorndorfer Stadtrat Frieder Stöckle, aufmerksam geworden. „Die Industriegeschichte Schorndorfs muss noch aufgearbeitet werden“, habe Stöckle etwa im Jahr 2007 zu ihm gesagt, erinnert sich Peter Beck, der Frieder Stöckle erstmals während des Lehramtsstudiums und dann später in seiner Zeit an der Daimler-Realschule begegnete.

3000 Akten im Kellerarchiv

Das Thema hat Peter Beck dann nicht mehr losgelassen, auch wenn seit dem Hinweis einiges Wasser die Rems hinuntergeflossen ist und Peter Beck das Projekt berufs- und familienbedingt immer wieder ruhen lassen musste. Seine Recherchen haben in einem Keller begonnen – dort lagerten im Archiv der einstigen Rosslederfabrik, die 1972 ihren Betrieb einstellte, weil sich die Produktion nicht mehr lohnte, rund 3000 Akten.

„Für jeden Kunden hatte man einen orangefarbenen Schnellhefter angelegt“, erzählt der 61-Jährige, der sich durch die Papierberge wühlte, diesen zwar allerlei Geschäftsvorgänge entnehmen, dabei aber wenig Habhaftes für seine Arbeit entdecken konnte. „Ich habe bis zur letzten Akte gehofft, dass ich etwas finde, was von Interesse ist“, sagt Beck. Er wurde enttäuscht. Fündig geworden ist er dann doch: im Staatsarchiv Ludwigsburg, zum Teil auch im Stadtarchiv Schorndorf.

Mit Jürgen Groß, einem Enkel von Hermann Röhm, der das riesige Areal an der Rems heute verwaltet und vermietet, habe er sich gleich gut verstanden, sagt Peter Beck. Der Nachfahre habe ihm bei dem Projekt volle Freiheit gelassen, obwohl nicht klar gewesen sei, was die Recherchen ergeben würden: „Es hätte durchaus sein können, dass herauskommt, dass der Großvater ein Ober-Nazi war.“

Ein Kind der Wilhelminischen Zeit

Mitglied der NSDAP war Hermann Röhm seit dem Jahr 1933, von 1939 an übernahm er zudem den Posten eines Zellenleiters. Das bedeutete, dass er sich um die Verwaltung mehrerer von je einem Blockleiter geführten Blocks zu kümmern hatte. Später, im Zuge seines Spruchkammerverfahrens, gab der Firmenchef an, er habe das Amt zunächst abgelehnt und erst nach mehrmaligem Zureden angenommen, um seine Ruhe zu haben. Dass Hermann Röhm dieses Amt übernommen habe, noch im Jahr 1939, könne er nicht verstehen, sagt Peter Beck: „Über seine Gründe habe ich x-Mal nachgedacht.“

Röhm, ein geborener Kauf- und Geschäftsmann, habe wohl ein bisschen mitmischen wollen, eventuell auf eine Karriere gehofft. Auch sei er ein Kind der Wilhelminischen Zeit und „sehr obrigkeitshörig“ gewesen. Andererseits sei er 1936 im NS-Hetzblatt „Flammenzeichen“ als Judenfreund beschimpft worden, habe jüdische Mitarbeiter beschäftigt und bei Partei-Versammlungen kein Blatt vor den Mund genommen, was ihm den Vorwurf „zersetzender Reden“ und die Drohung einer Inhaftierung im KZ Welzheim einbrachte.

Vom Sympathisanten zum Nazi-Gegner

Im Lauf der Zeit sei Hermann Röhm immer mehr von der NSDAP abgerückt, analysiert Peter Beck in seiner Doktorarbeit über den ambivalenten Unternehmer. Der forderte zwar als einer der ersten Zwangsarbeiter an. Doch als die völlig ausgemergelten und erschöpften Menschen auf seinem Gelände standen, habe er zunächst einmal dafür gesorgt, dass diese aufgepäppelt wurden, berichtet Peter Beck. Wenige Wochen vor dem Ende des NS-Regimes versteckte Röhm Gefangene und verhinderte ihren Abtransport, den viele wohl nicht überlebt hätten. Reinhold Maier, erster Ministerpräsident im Ländle, bescheinigte Röhm nach dem Krieg, „ein liberaler Mann“ zu sein. Er wolle nichts schönreden, sagt Peter Beck, „aber Hermann Röhm hat nie Menschen etwas Böses getan“. Auf jeden Fall seien seine Geschichte und die der Lederfabrik ein spannendes Kapitel Regionalhistorie: „Es müsste noch viel mehr solcher Arbeiten über Firmen im Remstal geben.“

Das Buch und Unterrichtsmaterial für Neuntklässler

Peter Beck hat drei Unterrichtsentwürfe für Neuntklässler zum Thema erstellt, die Pädagogen bei ihm anfordern können: unter der E-Mail-Adresse phb.mail.com@unity-mail.de. Sein Buch ist im Iris Förster Verlag erschienen und kostet 16 Euro, ISBN 978-3-938812-38-9.