Angela Merkel und Xi Jinping pflegen seit Jahren einen intensiven Kontakt – hier beim Besuch der Kanzlerin in Peking im Mai 2018. Foto: AP/Jason Lee

Der Grünen-Politiker und China-Experte im Europaparlament, Reinhard Bütikofer, spricht sich für eine härtere wirtschaftspolitische Linie gegenüber China aus. Bei strategisch wichtigen Produkten wie Medizin soll Europa unabhängiger werden.

Brüssel - Der Grünen-Politiker und China-Experte im Europaparlament, Reinhard Bütikofer, formuliert seine Erwartungen an den bevorstehenden EU-China-Gipfel.

Herr Bütikofer, an diesem Montag gibt es den EU-China-Gipfel. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der ständige Ratspräsident Charles Michel und Kanzlerin Merkel als Vertreterin der wechselnden Ratspräsidentschaft kommen mit Xi Jinping im Video-Format zusammen. Was sollte ihre Botschaft an die chinesische Führung sein?

Die EU-Spitze sollte der chinesischen Führung klarmachen, dass die zunehmende Kritik, die die Volksrepublik aus Europa hört, nicht bloß einer momentanen Verstimmung entspringt. Beijing muss wissen: Es hilft nicht, wenn die Volksrepublik uns demnächst mal wieder Versprechungen macht. Vielmehr manifestiert sich hier unsere sehr grundlegende Kritik an den aggressiven Entwicklungen der chinesischen Außenpolitik und an der immer totalitäreren Unterdrückung in China selbst. Wir Europäer wollen, dass China ernsthafte Kurskorrekturen vornimmt. Kommt es dazu nicht, dann bewegen sich Europa und China weiter auseinander. Und chinesische Verletzungen internationalen Rechts wie im Falle Hong Kong werden einen Preis haben. Das Wort Partnerschaft im Munde zu führen, aber hegemonialen Druck auszuüben, das trifft in der EU zunehmend auf Gegenwehr.

Wie würde die chinesische Regierung reagieren, wenn die EU-Seite deutlich würde?

Wann immer wir Europäer klarmachen, dass wir die Volksrepublik mehr und mehr als systemischen Rivalen sehen, tut die dortige Führung so, als sei das bloß ein Missverständnis. Tatsächlich stellt China die EU im eigenen Land seit etlichen Jahren als System-Rivalen dar. Die Kommunistische Partei unterdrückt offen und brutal bei uns hoch gehaltene Grundwerte wie die Pressefreiheit, den Verfassungsstaat oder eine sich frei entfaltende Zivilgesellschaft. Sie denunziert diese Werte in konsequenter Konfrontation als chinafeindlich. Wir Europäer sind der chinesischen Rhetorik müde. Wir werden nicht auf die Worte hören, sondern auf die Taten schauen, und die sind eindeutig.

In der Vergangenheit mangelte es an europäischer Geschlossenheit gegenüber Peking, Angela Merkel beanspruchte in gewisser Weise einen besonders guten Draht. Nimmt China die EU als Spieler ernst?

Es ist bereits besser geworden. In den letzten Monaten ziehen die Europäer schon deutlich mehr an einem Strang als in der Zeit davor. Die Chinesen selbst bringen uns dazu, dass Europa stärker zusammenhält. Deutschland spielte lange in der Tat eine Sonderrolle. Das hing damit zusammen, dass sich die deutsche und die chinesische Wirtschaft sehr gut ergänzten. Deutsche Unternehmen konnten chinesischen die High-Tech-Produkte liefern, die dort gefragt waren. Aber jetzt wird China mehr und mehr Wettbewerber. Angela Merkel hat das 2016 nach ihrem neunten China-Besuch deutlich gemacht. In dem Maße wie die Chinesen versuchen, deutscher zu werden, sind die Deutschen gezwungen, europäischer zu werden.

Was kann die EU tun, damit Chinas seine Politik ändert?

Nehmen Sie das Investitionsschutzabkommen, über das die EU mit China seit sieben Jahren verhandelt. Die Europäer haben Peking sehr deutlich gemacht, was wir wollen: Wir brauchen einen fairen Zugang zum chinesischen Markt, der uns in vielen Branchen verweigert wird. Wir erwarten einen fairen Wettbewerb, von dem man nicht im Ansatz sprechen kann. So werden etwa chinesische Staatsunternehmen massiv privilegiert. Und wir erwarten eine verbindliche Verpflichtung auf Nachhaltigkeitsziele, die China bis heute nicht kennt. Wenn China da zum Abschluss kommen will, wird es sich bewegen müssen.

Rechnen Sie mit Bewegung beim Gipfel?

Nein. Für die Volksrepublik dürfte Washington die erste Adresse bleiben. Vermutlich wird sie erst einmal abwarten, wer die US-Präsidentschaftswahl gewinnt, bevor sie sich beim Investitionsschutzabkommen mit der EU festlegt.

In der Corona-Krise sind teils globale Handelsketten mit chinesischen Unternehmen abgerissen. Etliche Unternehmen mussten ihre Produktion drosseln, weil sie nicht mehr Nachschub aus China bekamen. Rechnen Sie mit Veränderungen? Wird künftig bei Lieferanten womöglich nicht nur der Preis Kriterium sein, sondern auch die Sicherheit der Lieferung?

Hoffentlich! Es wird in Brüssel sehr aufmerksam beobachtet, wie andere Akteure eine Umorientierung einleiten. Japan etwa hat in das Wiederaufbauprogramm als Antwort auf die Pandemie ein Element eingebaut, wonach Unternehmen Geld vom Staat bekommen, wenn sie sich robuster aufstellen, indem sie etwa in Japan selbst herstellen lassen oder sich in Asien außerhalb Chinas neue Lieferanten suchen. Aus Indien hört man Ähnliches, die USA denken auch darüber nach. Bei uns in der EU wird es auch in gewissem Ausmaß stattfinden. Ich erwarte keine fluchtartige Massenbewegung aus China weg. Ein Umdenken ist aber im Gange. Ich halte das auch für sinnvoll. In China gibt es Stimmen, die Arzneimittellieferungen in die USA einzustellen, weil beide Seiten Konflikte haben. Das zeigt doch, wie gefährlich es wäre, sich auf Dauer abhängig zu machen.

Hielten Sie es für sinnvoll, dass auch der EU-Gesetzgeber hier tätig wird? Etwa mit dem Lieferkettengesetz, das die Kommission im nächsten Jahr vorschlagen will?

Bei strategisch wichtigen Produkten und speziell im Arzneimittelbereich müssen wir gewiss in Richtung Resilienz umsteuern. Beim Lieferkettengesetzes sprechen wir aber ein anderes Thema an: Da geht es darum, dass wir es nicht mehr dulden dürfen, dass Produkte, die unter übelsten Menschenrechtsverletzungen hergestellt werden, auf unseren Markt kommen. Wir wissen zum Beispiel, dass in China Uiguren unter Bedingungen von Zwangsarbeit für den Exportmarkt produzieren müssen. Es gibt Unternehmen aus der EU, die sich Mühe geben und darauf achten, dass ihre Zulieferer nicht von Zwangsarbeit profitieren. Und für diejenigen, die nicht selber darauf kommen, dass Menschenrechte auch im Geschäftsleben gelten, muss man dies gesetzlich festschreiben.