Angela Merkel fand die Witze von Boris Johnson nicht so witzig. Foto: AFP

In gut zwei Monaten soll Großbritannien die EU verlassen, wenn möglich auf eine geregelte Weise. Bei Johnsons teils heiterem Antrittsbesuch in Berlin zeigt sich, wie schwierig eine Einigung wird.

Berlin - Die Rufe der Demonstranten auf dem Vorplatz sind unüberhörbar gewesen, als Boris Johnson am Mittwochabend im Ehrenhof des Bundeskanzleramts von Angela Merkel empfangen wurde. Erst die vom Musikkorps der Bundeswehr vorgetragenen Nationalhymnen Großbritanniens und Deutschlands vermochten es, die lautstarken „No Brexit“-Rufe zu übertönen. Daran, dass der britische Austritt aus der Europäischen Union, der zum jetzigen Stand am 31. Oktober vollzogen werden soll, noch abgewendet werden kann, glaubt die deutsche Regierungschefin allerdings nicht mehr. „Wir haben oft gesagt, dass wir diesen Schritt bedauern“, sagte die Kanzlerin auf einer Pressekonferenz vor dem Gespräch mit Johnson, „aber er ist ein Faktum.“

Der neue Hausherr in 10 Downing Street war auf seiner ersten Auslandsreise sichtlich um einen freundlichen Ton bemüht. Allein die „fantastische Begrüßung“ in Berlin sei Ausdruck einer „Beziehung, die für das Vereinigte Königreich unglaublich wichtig ist“, da Deutsche und Briten in der Nato „Schulter an Schulter“ die internationale Sicherheit verteidigten. Es gebe viele gemeinsame Positionen, etwa in Bezug auf Russland oder den Iran, worüber man an diesem Abend reden werde: „Und dann ist da noch die kleine Angelegenheit des Brexit.“

Der britische oder – besser – Johnsons Humor kam bei Merkel in diesem Fall nicht sonderlich gut an, zeichnet sich doch ab, dass der Austritt die Briten wie die Rest-EU auf der Weltbühne schwächen wird. Wenig amüsiert blickte die Kanzlerin auch drein, als ihr Gast zwar betonte, sein Land strebe ein Abkommen für einen geregelten Austritt an, jedoch auf eine Neuverhandlung des vorliegenden Vertrags beharrte und im Stile der englischen Oberschicht ein Einlenken der EU prognostizierte: „Auf der letzten Achtelmeile wechseln die Pferde ihre Position.“ Und dann zitierte der für rüpelhafte Bemerkungen berüchtigte Tory-Politiker auch noch Angela Merkel auf Deutsch mit dem Satz, der ihr im Zuge der Flüchtlingskrise so viel Ärger eingehandelt hat: „Wir schaffen das!“

Die Kanzlerin reagierte ähnlich zurückhaltend wie die Brüsseler Kommission, die im Namen der EU-Staaten mit London verhandelt, auf Johnsons unmissverständlich vorgetragenen Forderungskatalog. Der neue Premier habe die „Klarheit jetzt verstärkt“, so Merkel, die ebenfalls auf einen geregelten Austritt drängt („Ich glaube, man kann hierfür auch Wege finden“). Diktieren lassen will sie sich aber nichts. Sie betonte daher, die Gemeinschaft sei „auch vorbereitet, wenn es einen verhandelten Austritt nicht gibt".

Der sogenannte Backstop bleibt der Knackpunkt: Boris Johnson will diese Rückversicherung für Irland und Nordirland aus dem Abkommen streichen. Es sieht in der dreimal vom britischen Unterhaus abgelehnten Fassung vor, dass Nordirland so lange de facto im EU-Binnenmarkt bleibt, bis sich Briten und Kontinentaleuropäer auf ein Freihandelsabkommen verständigen. Andernfalls würden aus Sicht der irischen Regierung wieder Grenzkontrollen nötig, was den 1998 errungenen Frieden in Nordirland aufs Spiel setzen könnte. Johnson bezeichnete die Regelung als „inakzeptabel für ein souveränes Land“, weil damit Nordirland als Teil des Vereinigten Königreichs weiter der EU-Rechtsprechung unterliege.

Trotz gegenseitig versicherter Gesprächsbereitschaft tauschten die Regierungschefs im Kern bekannte Positionen aus. Johnson will die Rückversicherung aus dem Austrittsabkommen tilgen und „alternative Vorkehrungen“ zur Vermeidung einer harten Grenze treffen. Die anderen EU-Regierungschefs betrachten die Passage dagegen als unverhandelbare Rückfallposition, falls man sich nicht mit den Briten auf ein Handelsabkommen einigt. Als „Platzhalter nicht mehr nötig“ sei der Backstop in dem Moment, da eine Zukunftslösung gefunden sei, die laut Austrittsvertrag in einer zweijährigen Übergangsphase verhandelt würde. „Aber man kann sie vielleicht ja auch in den nächsten 30 Tagen finden“, so die Kanzlerin.

Dazu müsste Johnson akzeptieren, dass der Backstop nur in einer politischen Absichtserklärung zu den künftigen Beziehungen aufgelöst würde und die Regelung im Austrittsvertrag bliebe – in Berlin beharrte er auf dem Gegenteil und machte damit einen chaotischen Brexit wahrscheinlicher.