Szene aus „Leben des Galilei“ in der Inszenierung von Armin Petras Foto: Horm

Seinen Augen trauen: Was für eine Freude, aber auch was für Leid das bedeuten kann, war am Freitag mit „Leben des Galilei“ drei Stunden lang im Schauspielhaus Stuttgart zu erleben – mit starken Schauspielern und einer grandiosen Bühne von Carsten Nicolai.

Stuttgart - Die Bretter, die die Welt bedeuten, bedeuten in diesem Fall tatsächlich noch mehr: das Universum. Es ist ein lichtes, klares Universum, in dem in Armin Petras’ „Leben des Galilei“-Inszenierung die großen Fragen des Lebens verhandelt werden.

Die Koproduktion aus dem Jahr 2013 von Schauspiel Dresden und dem Berliner Maxim-Gorki-Theater feierte am Freitag ihre Stuttgarter Premiere. Der Künstler Carsten Nicolai belegt die Wände mit Spiegeln, die den Raum optisch erweitern und an „Polylit“ erinnern, seine Spiegelglasskulptur am Kleinen Schlossplatz in Stuttgart. Ein kreisrundes Loch im weißen Himmel lässt Raum für ein riesiges Pendel, von dem man nur ahnen kann, wie weit oben im Bühnenraum es aufgehängt ist. Das Zentrum ist in Bewegung. Die Erde ist in Bewegung, sie dreht sich um die Sonne, nicht umgekehrt.

Schöner, eleganter, heller könnte man das gar nicht verräumlichen, was Galilei sagt: „Das Weltall aber hat über Nacht seinen Mittelpunkt verloren, und am Morgen hatte es deren unzählige. So dass jetzt jeder als Mittelpunkt angesehen wird und keiner. Denn da ist viel Platz plötzlich.“ Jeder ist für sich allein, aber auch frei. So unerschütterlich, schier meditativ das Pendel hin und her schwingt, so unerschütterlich steht Peter Kurth als Galilei auf seinem Standpunkt: Glaube, was du siehst, glaube an die Vernunft. Er bleibt unbeweglich wie ein Fels, während die Menschlein wie Planeten auf ihren Bahnen um das schwingende Pendel kreisen und armerudernd im Kreis wirbeln. So verkündet Galilei glücklich darüber, Kopernikus’ Annahmen bewiesen zu haben: „Alles bewegt sich, mein Freund.“

Zwar handelt das Stück von den Schwierigkeiten, diese Wahrheit unters Volk zu bringen. Und doch ist dies ein Raum der Hoffnung, klar und groß. Peter Kurths Galilei ist ein souveräner Macher. Ein Pragmatiker, der schon einmal eine fremde Erfindung (das Teleskop) gewinnbringend als die eigene ausgibt, er hat ja nicht nur die Milchrechnung, sondern auch eine Aussteuer für seine Tochter zu bezahlen.

Die wird an diesem Abend – unfreiwilliger Verfremdungseffekt – von der stimmerkrankten Julischka Eichel sehr charmant, übermütig gespielt. Doch wenn sie etwas zu sagen hat, macht sie aufmunternde Armbewegung in Richtung Bühnenrand. Von dort aus führt für die Schauspielerin Manja Kuhl die Rede, kichert, ruft sehnsuchtsvoll „Ludoviiiko“, der sie am Ende doch nicht heiratet, da seine Familie Galilei nicht akzeptiert.

Der Vater, der Liebhaber, der Wissenschaftler ist ein großer, wenn auch nicht immer ein guter Mann. Held wider Willen. Weiß er selbst, weshalb er murrt „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“ und sich selbst als Verräter bezeichnet, nachdem er unter Folterandrohung die Wahrheit verleugnet.

Starke Szene, wenn Schüler Andrea seine an der Pest gestorbene Mutter – Haushälterin und Freundin von Galilei – auf den Armen hält und neben Galilei tritt. Der hat vom vielen Himmelsglotzen schon rotgeränderte Augen und redet (ausgerechnet!) von der Bewegung der Venus. Das Sterben der Frau zu betrauern gestattet er sich kaum, sieht man vom schuldbewussten Nuscheln ab, „das“ hätte wohl nicht sein müssen, hätte er mit ihr und Andrea die Stadt verlassen.

Er hat es sich aber nun mal in den Kopf gesetzt, die Welt davon zu überzeugen, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Mit einem riesiglangen Fernrohr marschiert er zur Beweisführung vor. Einwände von Kirche und Philosophen alter Schule wehrt er nachsichtig lächelnd ab: Leute, schaut durch das Rohr. Es geht an diesem Abend auch um das beglückende Gefühl, wie schön, auch schmerzvoll es sein kann, auf das zu vertrauen, was man sieht.

Ausgiebige Spielfreude also. Experimente zu „schwimmenden Körpern“ (ein Menschlein in einer Plastikhülle in einem Brunnen umherschwappend). Heliuminhalationsspaß, bei dem Galileis Nerds mit Kieksestimme Erkenntnisse formulieren oder Tonbandvorspul-Geräusche imitieren und betont langsam oder betont schnell sagen, was astronomisch gesehen jetzt Sache ist.

Diesem Enthusiasmus steht die Lächerlichkeit der Kirchenleute und Politiker entgegen. Selbstverliebt und dümmlich der Medici (Sebastian Wendelin), geifernd, schlängelnd, schwadronierend der Klerus (Wolfgang Michalek). Dieser doch sehr eindeutigen Sympathieverteilung sind manche Längen des Abends geschuldet.

Die Frage indes, was längst akzeptierte Erkenntnisse heute noch bedeuten, abgesehen davon, dass Aufklärung und Vernunft grundsätzlich immer zu verteidigende Werte sind, wird in einer Szene deutlich, in der die Positionen einigermaßen gleichrangig verteilt sind. Die Frage lautet so schlicht wie groß: Was ist der Sinn des Lebens? Paul Schröder als der kleine Mönch stellt Galiei dringlich Fragen, wie sollen schlichte Gemüter zum Beispiel damit klarkommen, dass ihre knechtische Arbeit, ihr Mühsal nicht belohnt wird, und sei es nur im Jenseits?

Galilei kann keinen Trost spenden. Jeder muss nach sich selber sehen. „Wo der Glaube tausend Jahre gesessen hat, ebenda sitzt jetzt der Zweifel“ heißt es bei Brecht. Eben diesen Zweifel feiert Armin Petras’ lichte, sinnenfroh kluge Inszenierung.

Weitere Aufführungen: 5., 27. Februar, 6., 14. März. Karten: 07 11 / 20 20 90.