Bereit für die Brandrede: Steffen Baumgart am TV-Mikrofon Foto: dpa/Frederic Scheidemann

Warum sich Trainer Steffen Baumgart vom SC Paderborn nach dem Aus im DFB-Pokal bei Borussia Dortmund in Rage redete – und wie der DFB den großen Wutanfall bewertet.

Dortmund/Stuttgart - Als Steffen Baumgart und der Tross des SC Paderborn nachts um halb drei daheim in Ostwestfalen ankamen, war nur noch der Regen laut, der an die Scheiben des Mannschaftsbusses klatschte. Drinnen war es ruhig. Der Trainer und die Spieler des SCP hatten Zeit, um runterzukommen auf der Fahrt von Dortmund heim nach Paderborn. Der Ärger aber war auch mitten in der Nacht nicht verraucht.

Vorher, in Dortmund, hatte Trainer Baumgart nicht nur gebrodelt – er schrie kurz nach Schlusspfiff das leere Stadion zusammen. Baumgarts Wut vermischte sich mit dem Dauerregen zu einem veritablen Gewitter mit Donnerschlägen im Staccatotakt. Baumgart war geladener als jeder Blitz.

Was passiert war? Die Paderborner fühlten sich um den Lohn ihres leidenschaftlichen Auftritts gebracht, das 2:3 nach Verlängerung beim großen BVB im DFB-Pokal-Achtelfinale war für den Zweitligisten und seinen Trainer mehr als nur eine unglückliche Niederlage. Es war in den Augen der Paderborner: ein Skandal.

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Fünf Minuten und zwei Sekunden lang, so stoppten das Chronisten, dauerte der Wutausbruch Baumgarts am TV-Mikrofon der ARD – und damit 15 Sekunden länger als der Stein des Anstoßes: die fehlende Überprüfung des Schiedsrichters Tobias Stieler am Monitor nach dem Dortmunder Siegtor zum 3:2 in der Verlängerung. Mit heiserer Stimme schnaubte der Trainer: „Ich bin gespannt, ob ich jetzt ’nen Brief vom DFB kriege“, zischte Baumgart zwischendurch. Post aber gab es keine, der Coach bekommt keine Strafe – obwohl er sich in Dortmund in Rage redete.

Die große Wut

„Eine absolute Frechheit“ sei Stielers Vorgehen, schimpfte er, und sprach von Respektlosigkeit und den Kleinen, denen man ohnehin immer „in den Arsch tritt“, von einem Fußball, der sich „zum Affen“ mache. „Wir stehen da und frieren uns minutenlang den Arsch ab. Das geht für uns um zwei Millionen! Ich bin keine Aktiengesellschaft, wir kämpfen um jede müde Mark, und dann kommt mir so einer so entgegen. Das finde ich arrogant“, ergänzte Baumgart mit Blick auf den BVB und den Referee.

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4:47 Minuten hatte sich von der 95. Minute an die Bestätigung von Haalands Tor zum 3:2 für Dortmund hingezogen. Es ging um die Frage, wie eine Abseitsstellung aufgehoben wird. Stielers fehlende Bereitschaft, nach dem im Kölner Videokeller überprüften Tor selbst einen Blick auf den für solche Zwecke am Spielfeldrand postierten Bildschirm zu werfen, brachte Baumgart auf die Palme. Einmal in Fahrt, legte er nach: „Respekt bedeutet, sich den Scheiß anzugucken und dann eine Entscheidung zu treffen.“

Dabei ist zumindest laut offizieller Twitter-Mitteilung der Bundesliga-Schiedsrichter bei der entscheidenden Szene regeltechnisch alles korrekt gelaufen. Es habe die Wahrnehmung gegeben, „dass der Paderborner Spieler Svante Ingelsson durch ein bewusstes Berühren des Balles die Abseitsstellung des BVB-Spielers Haaland aufgehoben hat“. Dies habe durch die TV-Bilder nicht zweifelsfrei widerlegt werden können – Stielers Entscheidung blieb bestehen.

Die Regel gibt es seit 2013

SCP-Profi Ingelsson hatte versucht, den Pass des BVB auf Haaland mit einer Grätsche aufzuhalten. Dann sind die Regelfälle klar: Berührt er den Ball, ist es kein Abseits. Berührt er ihn nicht, ist es Abseits. Die Regel, um die es geht, gibt es offiziell seit 2013. Dort ist beschrieben, dass, wenn ein Verteidiger den Ball noch berührt, egal ob das den Lauf des Balls beeinflusst, eine neue Spielsituation entsteht und der Stürmer nicht im Abseits steht. „Ich weiß, dass er ihn berührt hat, ich habe es bis hinten gehört“, sagte BVB-Profi Emre Can.

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Tobias Stieler, der sich nicht zu den Vorfällen äußerte, hatte also offenbar einen Kontakt des Paderborner Spielers mit dem Ball wahrgenommen. Dann hat er die Entscheidung getroffen, die durch den VAR und die TV-Bilder nicht hundertprozentig widerlegt werden konnten. Und, das ist wohl das Entscheidende der Geschichte: Stieler wäre nach Studium der TV-Bilder wohl zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Auch, weil es die „Lupe“, die die Fernsehzuschauer in der Analyse der ARD hinterher sahen, für den Referee am Monitor am Spielfeldrand nicht gibt. Für Stieler war der Fall dann klar: Weil eine Berührung des Balls durch den Paderborner Spieler vorlag, wurde die Abseitsstellung Haalands aufgehoben – Tor für Borussia Dortmund.

Für Steffen Baumgart war diese Sichtweise ein schlechter Witz, er widersprach vehement: „Wir haben die Bilder, das kann er sich 20-mal angucken. Daraus eine Berührung des Balls zu machen, finde ich frech.“

Die Reaktion des DFB

Tags darauf gab sich der Coach dann etwas gelassener – er bereute aber nichts. „Ich habe auf eine Situation aufmerksam gemacht und niemanden persönlich beleidigt“, sagte Baumgart am Mittwoch. „Wenn ich demnächst eine Doktorarbeit schreiben muss, bevor ich zum Interview gehe, dann sollte man mir das sagen.“

Baumgart warb um Verständnis – und sagte: „Ich habe kein Problem mit Herrn Stieler. Wir machen doch alle Fehler. Ich möchte nur nicht, wenn wir irgendetwas nicht richtig machen, es unter den Tisch kehren und zur Tagesordnung übergehen. Wir haben eine Streitkultur.“

Später meldete sich dann auch noch Jochen Drees zu Wort – nach Meinung des Projektleiters für den Bereich Videoassistent beim Deutschen Fußball-Bund ist Baumgarts Kritik an Tobias Stieler überzogen. Demnach sei der Gang des Schiedsrichters im Stadion zum TV-Bildschirm an der Seitenlinie „keine Frage des Respekts“. Drees sagte am Mittwochnachmittag: „Ein On-Field-Review (OFR) ergibt nur Sinn, wenn der Videoassistent dem Schiedsrichter einen bildlichen Beleg liefern kann, der die Wahrnehmung auf dem Feld eindeutig widerlegt. Dies war in der Szene in Dortmund aber nicht möglich.“