Die Bombe wiegt 250 Kilogramm und ist nicht ungefährlich – dennoch sehen einige Anwohner den Zeitpunkt der Entschärfung kritisch. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die Beseitigung einer Fliegerbombe in Stuttgart-Möhringen läuft reibungslos. Manche Anwohner kritisieren allerdings den Zeitpunkt der Aktion.

Stuttgart - Jürgen Januszewski ist bestens vorbereitet. Der 78-jährige hat sich gerade auf der Tribüne der Turnhalle des Königin-Charlotte-Gymnasiums niedergelassen und kramt in seinem Korb. Eine Thermoskanne Kaffee hat er dabei, eine Tasse, eine Scheibe Brot in einer Tupperdose und einen populärwissenschaftlichen Schmöker namens Darwins Garten.

Weil der Kampfmittelbeseitigungsdienst bei Sondierungsmaßnahmen in Möhringen-Nord einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt hatte und diesen am Sonntag entschärfen will, müssen alle Anwohner im Umkreis von 500 Metern ihre Häuser verlassen. Insgesamt sind 1.000 Menschen betroffen – darunter Jürgen Januszweski. Manche kommen bei Verwandten unter, andere nutzen das heitere Wetter am Sonntag zu einem ausgiebigen Spaziergang. Wieder andere nehmen das Angebot der Stadt in Anspruch und kommen in die Turnhalle.

Einige Anwohner kritisieren Zeitpunkt

„Auf der Straße kann ich nicht bleiben, Verwandte habe ich hier nicht“, erklärt Jürgen Januszewski seinen Aufenthalt. Cafés hätten ja nun geschlossen wegen des Coronavirus. Sonst hätte er die paar Stunden wohl dort verbracht. „Ich finde es schlecht, dass man es nicht verschoben hat angesichts der Situation. Da hätte man variabel sein können“, kritisiert Januszewski. „Das hätte man immer noch kurzfristig auf unbestimmte Zeit verschieben können.“

Seit 8 Uhr ist die Turnhalle geöffnet. „Höflich ohne Hände – wir begrüßen Sie mit einem Lächeln“, steht auf einem Hinweisschild. Von Corona-Panik kann allerdings keine Rede sein. Ein junger Mann fragt vor dem Betreten der Halle, ob er auf etwas achten müsse. „Einfach etwas Abstand halten“, so die entspannte Antwort der DRK-Mitarbeiter. Um 8.30 Uhr sind gut 20 Menschen gekommen. Viele davon Einzelpersonen, aber auch eine vierköpfige Familie und einige Paare sind dabei. Manche unterhalten sich miteinander, andere vertiefen sich in Bücher oder, wie eine junge Frau, in eine Serie, die sie sich auf ihrem Tablet-Computer ansieht.

Frank Hasenauer war als erster in der Halle. Für die Räumung auch zu diesem Zeitpunkt hat er Verständnis. Schließlich handele es sich wohl um eine Bombe mit Langzeitzünder. Das sei schon gefährlich. Er selbst wolle einfach warten, so der Mann Mitte 40. Andere sehen die Sache kritischer. „In Zeiten von Corona finde ich das nicht in Ordnung. Man hätte die Entschärfung verschieben sollen. Ich habe von Nachbarn erfahren, dass die Bombe seit 80 Jahren da unten liegt. Die hätte jetzt auch noch ein paar Monate da liegen können“, kritisiert eine Frau, die anonym bleiben will.

Räumung war am frühen Morgen abgeschlossen

Sie sei seit drei Tagen erkältet, habe Schnupfen. Sie gehe auch nicht zu ihrer Familie, schließlich wolle sie niemanden anstecken. Deshalb bleibe sie in der Halle – oder im Auto. Andere sind unentschlossen, wie sie sich verhalten sollen. „Ich wollte eigentlich länger spazieren gehen, aber der Wind ist so kalt“, sagt eine ältere Frau mit Rollator, die direkt vor dem Schulgelände steht. Zu Verwandten habe sie nicht fahren wollen, sie wolle niemandem zur Last fallen.

Auf der Tribüne der Turnhalle klaffen auch später am Vormittag riesige Lücken. Kaum mehr als 30 Leute finden sich ein. Die restlichen 970 Betroffenen scheinen andere Lösungen gefunden zu haben. Das sei ganz normal, erklärt Markus Schwab vom DRK. „Die Erfahrung aus anderen Evakuierungen zeigt, dass in der Regel 50 bis 100 Leute kommen“, sagt er. In Tübingen habe er einmal an einer Evakuierung mit 17.000 Anwohnern teilgenommen – aber selbst da seien nur 100 Leute in die bereitgestellten Unterkünfte gekommen.

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Die Räumung der Häuser ist bereits gegen 9.30 Uhr abgeschlossen. „Es hat schnell und gut geklappt, die Menschen waren sehr kooperativ“, sagt Martin Thronberens, ein Sprecher der Stadt. Bei einer ähnlichen Aktion vor einem Jahr in Weilimdorf habe man wesentlich länger gebraucht. Die Polizei fährt bei einer Evakuierung mit Dutzenden Mannschaftswagen durch die Wohngebiete und klingelt bei allen Betroffenen Anwohnern. Außerdem setzt sie eine Drohne ein, die das Gebiet abfliegt. Im Pflegezentrum Bethanien, das in unmittelbarer Nähe der Fundstelle liegt, müssen Bewohner aus Sicherheitsgründen in rückwärtige Gebäudezonen verlegt werden. „Das hat perfekt geklappt, alles ist ruhig verlaufen“, sagt Heimleiter Florian Bommas.

Bergung der Bombe gestaltete sich schwierig

Bei der Unterbringung der Menschen in der Turnhalle achte man strengstens auf die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts, betont Martin Thronberens. Wären mehr Menschen in die Halle geströmt als vermutet, hätte man weitere Klassenzimmer der umliegenden Schulen zum Aufenthalt nutzen können, versichert der Sprecher. Das war allerdings nicht nötig.

Und schon um 10.58 Uhr gibt die Polizei direkt vom Fundort aus per Lautsprecher Entwarnung. Auf einem schlammigen Acker hat Feuerwerker Christoph Rottner vom Kampfmittelbeseitigungsdienst den 250 Kilo schweren britischen Blindgänger geborgen. Ein Zünder war zunächst indes gar nicht mehr auffindbar. „Wir vermuten aber, dass die Bombe einen Langzeitzünder hatte“, sagte Rottner. In unmittelbarer Nähe hätte man bereits fünf Bomben vom selben Typ entschärft – drei davon mit Langzeitzünder.

Die Bergung habe sich schwierig gestaltet. Vier Meter unter die Erde sei die Bombe bereits gerutscht. Den Zeitpunkt der Entschärfung mitten in der Corona-Krise verteidigt Rottner. Die Gefahr von Blindgängern sei real. Zuletzt war im Juni 2019 im hessischen Limburg eine Weltkriegsbombe explodiert und hatte einen Krater in ein Feld gerissen. Die Gefahr des Möhringer Blindgängers ist nun jedenfalls gebannt. Sein Schicksal wird demnächst in einer Vernichtungsanlage in Stuttgart-Münster besiegelt.