Lärmgeplagte Anwohner begutachten eine Schallmessungsanlage der Bundeswehr im Garten von Ulrich Durst (links). Foto: factum/Bach

Die Geduld der Bürger mit der US-Armee ist am Ende. Seit mehr als zwei Jahrzehnten zermürbt der Lärm des Schießstands die Anwohner. Nun hoffen sie auf eine Lösung aus Berlin.

Böblingen - Große Hoffnungen setzen die schießlärmgeplagten Bürger und die Böblinger Stadtverwaltung auf den Gesprächstermin am kommenden Mittwoch im Bundesverteidigungsministerium in Berlin. Dort treffen Vertreter der US-Armee auf hochrangige Verantwortliche des Ministeriums und der Bundeswehr. Auch der neue Böblinger Oberbürgermeister Stefan Belz (Grüne) und der CDU-Bundestagsabgeordnete Marc Biadacz sind dabei. Ziel des Gesprächs ist es, endlich eine Lösung für den Schießstand der Amerikaner bei der Panzerkaserne zu finden. Denn seit 23 Jahren kämpfen die Bewohner des Böblinger Wohngebiets Rauher Kapf gegen den Schießlärm. Hier eine Chronologie.

1945 Die US-Armee übernimmt die Böblinger Panzerkaserne von der Wehrmacht. Wie schon der Name sagt, ist sie Standort für eine Panzerbrigade. Es gibt bereits einen Schießstand, der aber kaum genutzt wird. Wenn, wird nur auf den geschlossenen Schießbahnen eins bis drei trainiert. So ist der Bau von Häusern im angrenzenden Rauhen Kapf kein Problem. 1994
Die US-Armee zieht die Panzer ab. Die Böblinger Kaserne wird zum Standort für das Training der Spezialkräfte, die für ihre Einsätze im Nahen Osten vorbereitet werden. Dazu gehört auch ein intensives Schießtraining. Dafür wird die Schießanlage ausgebaut, die Schießbahnen vier und fünf gehen in Betrieb. 1995 Die täglichen Schießübungen zermürben die Bewohner des Gebiets Rauher Kapf, das unmittelbar an den Schießstand im Wald angrenzt. Einige Häuser sind nur 250 Meter entfernt. Die Bürger fühlen sich wie „auf dem Schlachtfeld“. Sie gründen eine Bürgerinitiative (BI) und kämpfen für eine Begrenzung der Schießzeiten und eine Schalldämmung. 2011 Nach vielen Jahren Kampf, etlichen Runden Tischen, Gutachten und Schallschutzmessungen von Experten, die die unzumutbare Lärmbelästigung belegen, liegt ein Konzept zur Schalldämmung auf dem Tisch. Die offenen Schießbahnen vier und fünf sollen eine schallschluckende Decke erhalten. Drei Millionen Euro soll das kosten, die US-Armee will das nicht zahlen. 2014 Nach weiteren Protesten der Bürger und vielen Presseberichten schaltet der CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger den Staatssekretär Markus Grübel (CDU) ein. Dieser macht sich im Dezember selbst ein Bild von der Anlage. 2015 Grübel wiederum schaltet den General Markus Laubenthal ein, der zu dieser Zeit Stabschef der US-Armee in Europa ist. Auch dieser schaut sich die Schießanlage an und sagt: „Hier muss dringend was geschehen.“ Mehrere Arbeitskreise tagen. Es werden verschiedene Konzepte zur Schalldämmung vorgestellt, die wesentlich günstiger sind als das erste Konzept.

2016 Die US-Armee baut eine sogenannte Hesco-Wand, die den Schall ableiten soll. Doch sie bringt nicht die erhoffte Dämmung. Im Gegenteil: Die Bewohner des Rauhen Kapfs klagen über größeren Lärm als zuvor. Nun sind auch die Bewohner des Gebiets Tannenbergs betroffen. Lediglich in Schönaich ist es ruhiger geworden. Messungen der Immissionsstelle der Bundeswehr bestätigen die Klagen der Bürger: Die Lärmbelastung ist höher geworden. 2017 im Februar tagt zum letzen Mal der Arbeitskreis mit General Laubenthal, der seinen Posten verlässt. Er verspricht, dass die Arbeiten weitergehen. Doch nichts passiert. Die Bürgerinitiative Schießlärm fordert von dem Böblinger Oberbürgermeister Wolfgang Lützner mehr Unterstützung. Dieser schreibt an das Verteidigungsministerium. Ende des Jahres beschließt der Böblinger Gemeinderat, für eine erfolgreiche Schalldämmung 300 000 Euro zuzuschießen. Damit ist eine Forderung der Amerikaner erfüllt. 2018 Auf Initiative des Oberbürgermeisters Lützner und des neuen CDU-Bundestagsabgeordneten Marc Biadacz tagt im Februar ein neuer Runder Tisch. Auch die BI Schießlärm ist dabei und richtet ihre Beschwerden direkt an die Oberen der Armee, die aufmerksam zuhören. Sie versprechen, die Schießübungen zu reduzieren. Die BI-Mitglieder sind nach diesem Gespräch voller Hoffnung. Doch in den folgenden Wochen wird heftiger geschossen als je zuvor.

Geld für Supermarkt ist da, aber nicht für Schallschutz

Aus Böblingen reist zum ersten Mal der neue Oberbürgermeister Stefan Belz zu Gesprächen in das Verteidigungsministerium nach Berlin. Doch als ehemaliger Stadtrat kennt er das Thema Schießlärm bestens, genau wie der neue CDU-Bundestagsabgeordnete Marc Biadacz, der das Problem von seinem Vorgänger Clemens Binninger übernommen hat.

Biadacz sieht es als Vorteil, dass nun neue Gesichter zu der Runde gehören. „Herr Belz und ich sind nicht vorbelastet. Wir können anders auftreten.“ Wichtig sei ihm dabei, „nicht in der Vergangenheit zu rühren und zu schauen, was alles versäumt worden ist“. Jetzt gehe es darum, Lösungen zu finden, die schnell umgesetzt werden könnten.

Ganz andere Töne schlägt hingegen Ulrich Durst an, der Sprecher der Bürgerinitiative gegen den Schießlärm. Die Einladung zum Gespräch in Berlin hat er ausgeschlagen. „Wir haben alles viele Male gesagt, zuletzt im Februar den Amerikanern direkt.“ Es sei nicht notwendig, alles noch einmal zu wiederholen. „Die Probleme sind bekannt.“ Durst ärgert sich über die Vertreter der US-Armee, die immer wieder betonten, wie wichtig ihnen eine gute Nachbarschaft mit den Deutschen sei. „Doch das können wir nicht mehr ernst nehmen.“

Unverständlich sei den Anwohnern der Panzerkaserne, warum die US Army offenbar sehr viel Geld für Neubauten auf ihrem Areal habe, aber keines für den Schallschutz. Zuletzt wurde vor drei Jahren eine neue Highschool für 60 Millionen Euro eröffnet. Nun ist ein neuer Supermarkt geplant. „Doch für den Schallschutz wollen sie nicht bezahlen. Das kann nicht sein“, kritisiert Durst.

Er widerspricht den Argumenten der Amerikaner, die sich darauf berufen, dass es den Schießstand schon immer gegeben habe. „Das ist richtig, aber erst 1995 wurde er ausgebaut, das ist eine Nutzungsänderung und -erweiterung.“ Ulrich Durst hofft nun, dass die Gespräche in Berlin eine „signifikante Lärmreduzierung“ bringen, die sich „an der Verwaltungsvorschrift zum Schutz vor Lärm in Wohngebieten“ orientiert.