Die Herrenberger Chefhebamme Gudrun Zecha (rechts) weist Neuling Joana Aldinger in den Kreißsaal ein. Foto: factum/Weise

Der Klinikverbund Südwest sucht händeringend Geburtshelferinnen, musste zeitweise sogar einen Kreißsaal schließen. Weil der Arbeitsmarkt leer gefegt ist, bildet er nun selbst aus – und setzt dabei auf die Akademisierung.

Böblingen/Herrenberg - An ihre erste Geburt, die sie miterlebten durfte, denkt Joana Aldinger mit Begeisterung zurück. Bei einem Schnuppertag im vergangenen Jahr in der Böblinger Klinik war sie dabei, als ein kleines Mädchen zur Welt kam. Und sie fühlte sich in ihrem Wunsch bestätigt, Hebamme zu werden. Dass viele ihrer Freunde komisch darauf reagieren, versteht die zierliche 20-Jährige nicht. „Es hat einen ungeheuren Zauber dabei zu sein, wenn ein neues Leben beginnt.“ Berührungsängste kennt die junge Frau nicht: „Meine Mutter hat sechs Kinder geboren, alles Spontangeburten, zwei davon in Afrika.“ Seit sieben Monaten ist Joana Aldinger nun Hebammenschülerin beim Klinikverbund Südwest – sie gehört damit zu den Pionierinnen des neuen Ausbildungsgangs.

Kooperation mit Schule der Uniklinik Ulm und der Dualen Hochschule

Der Fachkräftemangel trieb den Personalchef Roland Ott zu diesem Schritt. „Wir bekommen keine Hebammen mehr. Der Markt ist leer gefegt“, klagt er. Im vergangenen Jahr musste wegen Personalmangels sogar der Kreißsaal am Krankenhaus in Calw zeitweise geschlossen werden. Auch mit Hebammen aus dem Ausland hat Personalchef Ott es schon probiert. Doch das passte nicht so recht. „In vielen Ländern haben die Hebammen andere Aufgaben als bei uns.“ Also beschloss man im Klinikverbund, selbst Geburtshelfer auszubilden. Das ist Neuland für alle Beteiligten. Bisher bildete die Schule des Klinikverbunds Südwest lediglich Krankenpfleger und Operationstechnische Assistenten aus.

Einen eigenen Ausbildungsgang für Hebammen wollte man nicht etablieren, sondern suchte statt dessen nach Kooperationspartnern. Doch das erwies sich als schwierig. „Die Schulen in Stuttgart und Tübingen haben unsere Anfragen abgelehnt. Die brauchen ihre Plätze für ihre eigenen Schüler“, sagt Ott. An der Uniklinik Ulm hatte er schließlich Erfolg. Das besondere an dieser Kooperation: die Hebammenschülerinnen absolvieren parallel zur Ausbildung ein Studium an der Dualen Hochschule Stuttgart. „Angewandte Hebammenwissenschaft“ heißt der Studiengang, der mit einem Bachelorabschluss endet und auch anderswo in der Region etabliert wird: von Herbst an beispielsweise an der Uniklinik Tübingen.

Bachelorabschluss ermöglicht neue Chancen

Für Gudrun Zecha, die leitende Hebamme der Herrenberger Klinik, in der Frauen aus der gesamten Region entbinden, ist die Akademisierung des Berufs längst überfällig. „Deutschland ist eines der letzten Länder, das das jetzt einführt.“ Zecha, die mehr als 30 Jahre Erfahrung hat, hält es für wichtig, dass Hebammen nicht nur praktisch gut sind, sondern „auch wissenschaftlich analysieren können, was wichtig ist für eine Entbindungssituation“.

Für Joana Aldinger war die Möglichkeit zu einem Bachelorabschluss ein zusätzlicher Anreiz. „Damit kann ich auch später im Ausland weiterstudieren.“ Eine Option, die der jungen Frau wichtig ist. Schließlich hat sie die ersten zehn Jahre ihres Lebens in Afrika verbracht, wo ihre Eltern als Entwicklungshelfer arbeiteten.

Die kommenden vier Jahre ist für die Studentin Pendeln angesagt. Ihre praktische Ausbildung erhält sie in den Häusern des Klinikverbunds Südwest: in Böblingen, Herrenberg, Leonberg und Calw. Für die Theorieblöcke muss sie nach Ulm fahren. Dort unterrichten auch die Dozenten der Dualen Hochschule.

Bewerber aus der Region werden bevorzugt

Sechs Hebammenschülerinnen hat der Klinikverbund momentan, davon fünf Studentinnen. Jedes Jahr sollen vier neue Studentinnen hinzukommen: zwei im April und zwei im Oktober. So hofft Ott, längerfristig das Personalproblem zu lösen. Dabei setzt er auf Bewerberinnen aus der Region. In der Hoffnung, dass diese auch nach der Ausbildung bleiben.

Das Interesse der jungen Frauen am Beruf sei groß. Viel mehr Bewerberinnen als Plätze hat Ott – er kann sich die Schülerinnen aussuchen. Das Problem, sagt Chefhebamme Zecha, sei nicht, Nachwuchs zu finden, sondern zu halten. „Viele steigen nach wenigen Jahren wieder aus dem Beruf aus.“ Viel Stress und eine schlechte Bezahlung seien die Gründe. Sie fordert deshalb bessere Arbeitsbedingungen und einen besseren Stellenschlüssel für Hebammen. Damit kein Kreißsaal schließen muss.

Steigende Geburtenzahlen

Verbund
Sechs Krankenhäuser – in Böblingen, Sindelfingen, Herrenberg, Leonberg, Calw und Nagold – gehören zum Klinikverbund Südwest. Träger sind die Kreise Böblingen und Calw. 4300 Mitarbeiter behandeln pro Jahr 75 000 Patienten stationär, 300 000 ambulant.

Ausbildung
In seiner Krankenpflegschule in Böblingen bildet der Klinikverbund 330 Krankenpfleger- und -schwestern aus, davon 25 in einem Dualen Studiengang. Zudem gibt es 25 Plätze für Operationstechnische Assistenten. Außerdem gibt es Ausbildungsplätze für Kaufleute und Stipendien für Schüler, die Medizinisch-technische Radiologieassistenten werden. Neu sind acht Plätze für Hebammen.

Geburten
Seit Jahren steigen die Geburtenzahlen im Klinikverbund. Im vergangenen Jahr kamen 5286 Kinder zur Welt: 2768 in Böblingen, in Herrenberg 1403, in Leonberg 683, in Calw 432. Der Herrenberger Kreißsaal ist als babyfreundlich zertifiziert und einer von bundesweit 17 Hebammenkreißsälen: ein Geburtshaus mit den Vorteilen einer Klinik.

Hebammen
Der Verbund hat 56 Hebammen, davon 27 in Böblingen,14 in Herrenberg.