Wie das duale Ausbildungssystem funktioniert, schauten sich die Tunesier in der Sindelfinger Gottlieb-Daimler-Schule an. Foto: factum/Granville

Der erste gewählte Bürgermeister von El Guettar schaut sich mit seiner Delegation Einrichtungen im Landkreis an. Doch nicht nur die arabischen Gäste, auch die deutschen Gastgeber können etwas lernen.

Böblingen - Kaum etwas ist trockener und langweiliger als Ausschusssitzungen des Kreistags. Doch für sechs Zuhörer waren die Diskussionen am Montagmorgen im Umwelt- und Verkehrsausschuss äußerst spannend und aufschlussreich. Gebannt verfolgten die Gäste aus Tunesien die Vorträge der Experten und die Stellungnahmen der Kreisräte zum Straßenentwicklungsprogramm und das Mobilitätskonzept für den Kreis, die ihnen eine Dolmetscherin über Kopfhörer ins Französische übersetzte. Denn für Mabrouk Ammar, den Bürgermeister der tunesischen Stadt El Guettar, und sein Team sind solche Sitzungen Neuland. Erst seit einem halben Jahr ist Ammar im Amt. „Ich bin der erste gewählte Bürgermeister meiner Stadt. Ich bin stolz, zu dieser ersten demokratischen Generation zu gehören“, sagt er.

Demokratie als Lernfeld

Die Demokratie ist ein noch sehr zartes Pflänzchen im Maghreb-Staat. Es ist das einzige der Länder, die der Arabische Frühling in die Freiheit führen sollte, in dem sie gedeiht. Erstmals gab es in diesem Mai Kommunalwahlen, wurden Stadträte und Bürgermeister der Kommunen vom Volk bestimmt. Wie eine solche Verwaltung arbeitet und wie die gewählten Gremien Themen angehen und Beschlüsse treffen, das wollten die Tunesier nun in Böblingen lernen.

Seit zwei Jahren verbinden die Kleinstadt El Guettar und den Landkreis Böblingen eine Partnerschaft im Zuge des Projekts „Kommunaler Wissenstransfer Maghreb-Deutschland“ der Bundesregierung . Dabei geht es nicht nur um die Vorstellung demokratischer Strukturen, sondern auch um ganz handfeste Projekte. So gilt die 21 000-Einwohner-Kommune El Guettar in Tunesien als Vorzeigestadt in Sachen Müllentsorgung. Kürzlich wurde sie als eine der fünf saubersten Städte Tunesiens ausgezeichnet. Ein Erfolg ihrer großen Anstrengungen, was die Abfallwirtschaft angeht. Und darin ist der Kreis Böblingen ja auch in Deutschland eine Besonderheit. Es ist beispiellos, wie in diesem Landkreis die Bürger samstags auf den Wertstoffhöfen die Abfälle trennen.

Dieses oft belächelte Müllsystem ist das Vorbild für die Tunesier. Auch sie haben einen Wertstoffhof eingerichtet. Ein Novum in dem Land, wo der Abfall überall herumliegt. Lernen wollen die arabischen Gäste aber auch vom Dualen Ausbildungssystem in Deutschland. Dafür besichtigten sie am Dienstag die Gottlieb-Daimler-Schule 2 und schauten in die Lehrwerkstatt der Schreinerei hinein. Begeistert waren sei vom deutschen System. „Das ist genau das, was wir bei uns in El Guettar brauchen“, sagte Zied Said, ein Mitglied des Stadtrats. „Wir haben viele junge Leute, die keinen Job und keine Ausbildung haben.“ Auf dem Besuchsprogramm der arabischen Gäste steht auch eine Besichtigung im Sindelfinger Mercedes-Benz-Werk und ein Ausflug in eine Baumschule.

200 Bäume in der Wüste gepflanzt

Der Austausch soll jedoch keine Einbahnstraße sein. Auch die Böblinger könnten in Tunesien durchaus noch einiges lernen, sagt der Böblinger Landrat Roland Bernhard, der im März mit einer Delegation in El Guettar gewesen ist. Beeindruckt ist er von der stringenten Umsetzung der paritätischen Besetzung aller Gremien. „In Gemeinderat von El Guettar ist die Hälfte der Sitze von Männern, die andere Hälfte von Frauen besetzt.“ Der Blick in den Böblinger Kreistag hingegen zeigt: Dieser ist sehr männerdominiert.

Auch für das kommende Jahr plant Roland Bernhard wieder einen Besuch in Tunesien. Dann will er Kontakte zur nächsthöheren Kommunalverwaltung knüpfen, die aber erst noch gewählt werden muss. „Wenn wir uns dann mit dem Partner auf Kreis- oder Regionalebene austauschen, können wir ganz andere Projekte anstoßen“, sagt der Landrat.

Fasziniert ist Bernhard davon, wie sich in Tunesien die Demokratie entwickelt. Die Böblinger wollen dabei ganz praktisch helfen. Zum Beispiel mit 200 Bäumen, die sie bei ihrem letzten Besuch pflanzten – ein bisschen Aufforstung in dem Staat an der Grenze zur Sahara.