Jana Kissel gehört zu den etwa 3000 Jägern, die 2019 den Jagdschein gemacht haben. Wie viele ihrer Kollegen hat sie noch nie auf ein Tier geschossen. Foto: factum/Jürgen Bach

Früher war die Jagd was für Männer. Das ist vorbei. Jana Kissel ist Jägerin. Warum gehen immer mehr Frauen in den Wald?

Ehningen - Seit dem frühen Morgen regnet es. „Sauwetter“, sagt ein Jäger, zieht seinen Hut tief ins Gesicht und steigt in einen Jeep, der ihn in den Ehninger Wald bringt. Dort wartet Jana Kissel. Das Rauschen der Autobahn ist von weitem zu hören, es riecht nach nasser Erde. Jana Kissel blickt einen Waldweg entlang. Plötzlich saust eine Sau zwischen den Bäumen hindurch, ein Wildschwein von der Größe einer Schubkarre. Ein Hund hechelt hinterher, bellt wie ein Berserker. Für einen Moment herrscht Stille – bis der Knall eines Gewehrschusses sie zerreißt. Auf ihrem Funkgerät hört Jana Kissel die Stimme eines Mannes: „Sau erlegt, 70 Kilo“. Jana Kissel nickt.

Wer einst über Jäger sprach, dachte an Leute wie den früheren CSU-Politiker Franz Josef Strauß (1915 bis 1988). Männer, die mit Bassstimme klare Meinungen vertraten und für die die Jagd auch ein Statussymbol war. Heute ist das anders: Fast zehn Prozent der etwa 45 000 Jäger in Baden-Württemberg sind Frauen. Jeder vierte Absolvent eines Jagdscheins im vergangenen Jahr war eine Frau. Wer verstehen will, warum auch Frauen sich zunehmend für die Jagd interessieren, begleitet Jana Kissel auf einer Drückjagd im Ehninger Wald.

Viele Jäger haben noch nie geschossen

Immer wieder blitzt nun die Sonne hinter den Wolken auf. Schritt für Schritt schreitet die 19-Jährige voran. Ihre Schuhe versinken im Matsch, junge Bäume versucht sie nicht kaputt zu treten. Die Ärmel ihrer Jacke baumeln herunter. Ihr Gang wirkt schwerfällig, ihre Stimme hell. Sie ruft ein „Hopp hopp hopp“ der Jäger in den Wald hinein, um die Tiere aufzuscheuchen. Als Treiber bei einer Drückjagd geht es darum, das Wild aus seinen Unterständen „herauszudrücken“, also langsam herauszutreiben. Drei Treiber laufen dazu in einer Linie neben Jana Kissel, jeweils in einem Abstand von etwa 30 Metern, auch Kissels Hund Bonnie, eine Deutsche Bracke, hilft.

„Das Schießen ist der kleinste Teil einer Jagd“, erzählt die 19-Jährige später. Wie viele Jäger hat Jana Kissel noch nie auf ein Tier geschossen. Sie sagt, dass Jäger vor einem Schuss Hemmungen haben. Sie empfindet viel Respekt, wenn sie das Gewehr in die Hände nimmt. Sie spricht von Traditionen und einem tiefen Gefühl gegenüber der Natur.

Sie mag die Spaziergänge unter den Bäumen, wenn sich die Blätter färben oder den Wald bei Schnee. Die junge Frau genießt die Momente auf dem Hochsitz und das gute Gefühl, wenn Wind und Geräusche ihren Atem beruhigen. Sie nimmt dann einen Schluck aus ihrer Teekanne, wickelt eine Decke um ihre Beine und wartet, das Gewehr in der Hand, bis sie ein Wildtier entdeckt, das auf der Wiese äst.

In einer Lichtung trifft Jana Kissel auf einen Jäger auf einem Hochsitz. „Weidmannsheil“ ruft sie ihm zu. Noch kein Schuss, sagt der Mann trocken. „Aber da drüben wird geballert wie im Krieg.“ Er zeigt mit der Hand Richtung Horizont.

Eine Folge einer neuen Naturverbundenheit

Es ist nicht das erste Mal, dass Jana Kissel bei einer Treibjagd mitmacht. Sie kommt aus einer Jägerfamilie und war schon als Jugendliche dabei. Ihr Opa war Jäger, ihr Vater hat als Pächter die heutige Treibjagd in fünf Revieren mit je mehr als 60 Teilnehmern veranstaltet. Aber es ist ihre erste Jagd als Jägerin. Im Frühjahr hat sie die Jagdprüfung bestanden, das grüne Abitur, wie es Jäger wegen des hohen Lernaufwandes nennen. Sie findet es gut, dass sie jetzt viel über den Wald und seine Tiere weiß. Und auch, wie man diese waidgerecht erlegt. Mit einem Messer schneidet Jana Kissel in ein Ohr eines Wildschweines, das tot an der Waldstraße liegt. Das Blut trocknet nach einem Einschuss in der Magengegend. Sie bindet eine Plastikmarke ans Ohr und notiert sich die Nummer des Schützen. Sie scheint nicht glücklich über den Treffer, schüttelt nur den Kopf bei der Frage, ob das Tier waidgerecht erlegt worden sei.

Fragt man die Verbände, warum immer mehr Menschen Jäger werden, verweisen sie auf ein neues Bewusstsein der Gesellschaft gegenüber Tieren und Natur. „Wir reiten auf der Nachhaltigkeitswelle“, sagt Jörg Friedmann, der Landesjägermeister in Baden-Württemberg. Immer mehr Menschen wollten wissen, wo ihre Lebensmittel herkämen. Das fänden auch Frauen interessant. Zudem schätzten viele, dass Jäger mit ihren Hunden arbeiten.

„Mörderin? Wo kauft ihr euer Fleisch?“

Wenn Mitschüler die Abiturientin als „Mörderin“ bezeichnen, weil sie im Wald Tiere töte, fragt sie diese, wo sie ihr Fleisch kauften. „Nichts ist mehr bio als Wild“, sagt sie. Jana Kissel sitzt nach der Jagd müde auf einer Holzpalette am Waldrand. Auf ihrer Wange haben Stacheln zwei Kratzer hinterlassen, als sie sich durch die Brombeerbüsche im Wald gezwungen hat.

Sie findet es besser, wenn Rehe oder Wildschweine im Wald durch einen Schuss sterben und nicht wie Hausschweine und Rinder in der Massentierhaltung landen. Sie sagt das ohne Groll gegen diejenigen Menschen, die ihr Fleisch trotzdem im Discounter einkaufen. Man spürt, dass sie sich schon oft erklären musste.

Bei ihrem ersten Stück, dem ersten Jagderfolg, würde sie weinen, vermutet Jana Kissel. Sie würde vom Hochsitz absteigen, ihr Gewehr sichern, dem Tier einen Tannen- oder Fichtenzweig ins Maul schieben, den letzten Bissen als Zeichen der Ehrerbietung. Aber sie sei auch glücklich, wenn sie nichts schieße.