„Bitte Papier!“: Der Papierdrache im Märchengarten des Ludwigsburger Schlosses zieht viele Kinder an, die ihm Schnipsel in den Rachen werfen. Foto: factum/

60 Jahre alt wird der Märchengarten beim Ludwigsburger Schloss 2019, und trotzdem kommen immer noch Jahr für Jahr rund 240 000 Besucher nur wegen ihm. Direktor Volker Kugel erklärt im Interview, warum er die Institution nur behutsam modernisiert.

Ludwigsburg - Herr Kugel, der Märchengarten wird im Mai 60 Jahre alt, Sie sind es im Februar geworden. Kennen Sie sich quasi schon aus der Kindergartenzeit?

Tatsächlich erinnere ich mich vage, dass ich mit vier oder fünf Jahren zum ersten Mal hier war und mich irgendetwas aus den Märchendarstellungen so mitgenommen hat, dass ich ein paar Nächte nicht gut schlafen konnte. Ich erinnere mich aber nicht mehr, was das war.

Waren die Szenen im Märchengarten früher schrecklicher?

Sie wissen, dass viele Märchen aus früheren Jahrhunderten teils grausame Inhalte transportierten. In „Die zertanzten Schuhe“ etwa werden dem Mädchen am Ende die Füße abgehackt. Es gibt aber auch geglättete Versionen, die wir hier verwenden. Trotzdem würde man etwa „Rotkäppchen“ heute anders darstellen als Anfang der 80er Jahre, als man hier durch ein riesiges Maul durch den Wolf durchgehen konnte. Das fanden viele Eltern zu heftig. Diese Kulisse ist allerdings ohnehin innerhalb von zehn Jahren kaputt gegangen, und der Wolf liegt heute gemütlich im Bett. . .

„Gründer Albert Schöchle war kein Nostalgiker“

Fast 40 Prozent Ihrer 600 000 Zuschauer im vergangenen Jahr im Blühenden Barock kommen einer Umfrage zufolge wegen des Märchengartens. Was macht seinen Reiz aus?

Zum einen sind es die Erinnerungen von Eltern und Großeltern, die selber früher hier waren, und es offenbar insgesamt gut fanden. Zum anderen ist es ein Erlebnis für alle. Während im Hochseilgarten oder in der Achterbahn meist ein Teil der Familie unten bleibt, weil er noch nicht alt genug oder gefühlt zu alt oder einfach etwas ängstlich ist, kann man bei uns alles zusammen machen. Der Märchengarten eint die Familie.

Kommt man zu Ihnen aus nostalgischen Gefühlen?

Nur die Geschichten sind alt, die Art, wie sie präsentiert werden, war es nie. Gründer Albert Schöchle war kein Nostalgiker, sprechende Figuren, die sich bewegen, wie der sprechende Papagei, das war Ende der 1950er Jahre eine Sensation. Das entwickeln wir behutsam weiter.

Wie bewerten Sie Schöchles Leistung?

Albert Schöchle war ein gelernter Gärtner, Direktor der staatlichen Anlagen und der Wilhelma. Nachdem er das Blühende Barock 1954 eröffnet hatte, gingen in den Folgejahren bald die Zuschauerzahlen zurück, da das Neue nicht mehr neu war. Aus dem Bauch heraus hat er den Märchengarten angepackt, nachdem er den Freizeitpark Efteling in den Niederlanden gesehen hatte. Er machte das ganz ohne Unterstützung von Eventagenturen, wie es sie heute gibt. Ich weiß nicht, ob ich heute so etwas hinbekommen könnte.

„Sie haben keine Virtual-Reality-Brille auf“

Gab es keine Widerstände?

Doch, doch, man hat ihm etwa vorgeworfen, er wolle das historische Erbe Ludwigsburgs verkaufen. Er musste versichern, dass er keinen Jahrmarktrummel aufziehen werde. Danach hat er den Märchengarten bis 1976 – als er pensioniert wurde – behutsam ausgebaut, eine Tradition, der wir uns verpflichtet fühlen.

Zum 60. „Geburtstag“ haben sie jetzt die multimediale Szene „Tumult im Märchenwald“ in Betrieb genommen. Das ist erstmals nichts mehr zum Anfassen.

Das würde ich so nicht sagen. Sie sortieren dort zwar Märchenfiguren und -gegenstände mit Wischbewegungen wie bei einem Tablet-Computer, die ein Sensor registriert. Aber sie haben keine Virtual-Reality-Brille auf und brauchen kein Tablet oder Smartphone. Das Spiel findet auf einer Leinwand oder Monitoren statt, aber uns war wichtig, dass Sie sich bewegen müssen und dass alle anderen zuschauen können. Wir legen eben Wert auf das Gemeinschaftserlebnis.

„Man muss damit umgehen, dass die Zeiten immer hektischer werden“

Die Hauptfiguren sind nicht mehr so brav und sittsam wie bei den Gebrüdern Grimm. Das Rotkäppchen zwinkert dem Spieler kumpelinnenhaft zu, wenn sein Korb ins Blickfeld kommt, und Aschenputtel flippt förmlich aus, wenn sie ihren Schuh nicht bekommt. Ein Zugeständnis an die heutige Zeit?

Die Szene haben für uns Absolventen der Filmakademie entwickelt, die gehen das natürlich etwas anders an als vor 150 Jahren. Uns ist wichtig, dass die Figuren sympathisch bleiben.

Was noch?

Man muss damit umgehen, dass die Zeiten hektischer geworden sind und die Leute oft keine Geduld mehr haben. Früher konnte eine Geschichte zwei Minuten dauern. Das „Däumelinchen“ etwa besteht aus sieben Szenen à einer Minute, und obwohl es gut gemacht ist, rennen die Leute oft nach zwei, drei Szenen aus dem Haus, weil es ihnen zu lange wird.

Haben Sie noch etwas Neues?

Wir haben ein neue Szene in den Max-und-Moritz-Häuschen. Den Schneider Böck haben wir an den Mühlbach verlegt, weil die Lausbuben für diese Szene einen Steg ansägen. An Böcks Stelle zeigen wir jetzt, wie die Hühner von Witwe Bolte gefangen werden. Jetzt haben wir alle Szenen von „Max und Moritz“ im Programm.

Was haben Sie sich das Jubiläum kosten lassen?

„Wir haben etwa 500 00 Euro im Märchengarten investiert“

Für den „Tumult im Märchenwald“ haben wir die historische Ausstellung versetzt und eine neue Pergola gebaut. Wir haben etwa 500 000 Euro im Märchengarten investiert, normalerweise sind es im gesamten Blühenden Barock durchschnittlich 450 000 pro Jahr. Das ist also schon ein Schluck aus der Pulle. Außerdem stecken wir noch rund 180 000 Euro pro Jahr in die reine Instandhaltung des Märchengartens, also Geländer austauschen, Mehrarbeiten, Technik austauschen, und so weiter.

Kommt nächstes Jahr gleich das nächste Highlight?

Nein, das können wir nicht jedes Jahr machen. Bei unseren 42 Stationen haben wir alles ersetzt, was erneuerungsbedürftig war. Jetzt kommt eine Zeit der Themenrecherche, wo wir uns überlegen wollen, ob wir uns eventuell weiter für moderne oder internationale Märchen öffnen. Dann sehen wir weiter.

Herr Kugel, verraten Sie uns doch zum Schluss Ihr peinlichstes Missgeschick beim Märchengarten.

Richtig peinlich war, als wir Lehrer Lämpels Schulraum bei „Max und Moritz“ eingerichtet haben. Wir geben uns immer sehr viel Mühe, alte Sachen zu finden und sind dann auch auf eine schöne alte Wandkarte gestoßen, die wir dort aufgehängt haben. Irgendwann kamen dann Beschwerden darüber auf, was wir da für ein Signal senden würden, denn die Karte zeigte Deutschland in den Grenzen von 1939. Das sah dann so aus, als ob wir ein rückwärts gerichtetes Weltbild hätten. Vor lauter Begeisterung hat da niemand richtig drauf geschaut. Aber wir haben einen Ersatz gefunden.