Seine sechs Tore konnten die Niederlage bei der MT Melsungen nicht verhindern: SG-Neuzugang Michael „Mimi“ Kraus. Foto: Baumann

Sein fliegender Wechsel vom TVB Stuttgart nach Bietigheim ist für den Weltmeister Michael Kraus auch eine Entscheidung für seine Familie, weshalb selbst ein Engagement in der zweiten Liga alles andere als undenkbar erscheint. Bei seinem Debüt wirft der Spielmacher gleich sechs Tore.

Stuttgart/Kassel - Der Spieler ist glücklich: „Ich freue mich, dass ich meinem geliebten Schwabenland treu bleiben kann“, sagt Michael Kraus. Sein neuer Verein ist sogar überglücklich: „Mimi ist ein Handballer von herausragender Qualität. Mit ihm steigen unsere Chancen auf den Klassenverbleib“, sagt Jochen Zürn, der Sportliche Leiter der SG BBM Bietigheim. Und der abgebende Verein?

Der ist zumindest nicht unglücklich, sonst hätte der TVB Stuttgart dem sofortigen Wechsel nicht zugestimmt. „Wir haben Pro und Kontra abgewogen und uns dann entschieden, Mimis Wunsch zu entsprechen“, sagt Trainer und Geschäftsführer Jürgen Schweikardt. Der Klassenverbleib ist nach menschlichem Ermessen geschafft, das eingesparte Kraus-Gehalt kann der TVB gut gebrauchen – und Max Häfner (22) wird durch den Weggang des Weltmeisters von 2007 auf der Spielmacherposition mehr Spielanteile bekommen.

Schweikardt rechtfertigt Entscheidung

Alle Beteiligten haben also einen Nutzen, eine Win-Win-Situation, wie sie im Lehrbuch steht. Oder macht sich der TVB im Nachhinein vielleicht doch angreifbar, wenn ohne ein populäres Aushängeschild die Punkte ausbleiben? Schweikardt rechtfertigt die Entscheidung: „Zum einen wäre es unfair gewesen, Mimi diese Chance zu verbauen, zum anderen geht es bei aller Wertschätzung für einzelne Spieler zuallererst um die Weiterentwicklung des Vereins.“

TVB-Sieg gegen Lemgo Voraussetzung für Wechsel

Dieser spektakuläre Wechselcoup war mit heißer Nadel gestrickt. Bis zum Ende der Wechselfrist am Freitag um 23.59 Uhr mussten alle Formalitäten geklärt sein. Klar ist, hätte der TVB Donnerstagabend gegen den TBV Lemgo Lippe (25:23) verloren, wäre der Transfer geplatzt. Zu groß wäre das Risiko gewesen, vielleicht doch noch selbst in den Abstiegsstrudel zu kommen. Zwar sagt Schweikardt, „der Klassenverbleib ist dann sicher, wenn er rechnerisch sicher ist“, doch bei elf Punkten Vorsprung wird für Stuttgart nichts mehr anbrennen. Unabhängig von möglichen Punktabzügen für den VfL Gummersbach, die wegen angeblicher Verstöße gegen die Lizenzierungsrichtlinien in der Gerüchteküche herumgeistern.

Zweiter Star nach Darko Stanic

Am Sonntag feierte Kraus sein Debüt. Beim 24:31 in Kassel bei der MT Melsungen warf er sechs Tore. Fest steht: Die Bietigheimer Chancen drinzubleiben sind mit dem prominentesten Neuzugang der Vereinsgeschichte (neben Weltklasse-Torwart Darko Stanic, der 2014/15 für viereinhalb Monate für die SG spielte) deutlich gestiegen. Aus sportlichen Gründen, weil Kraus mit seiner Wucht, seinem Mut, seinem Instinkt Spiele im Alleingang entscheiden kann. Aus psychologischen Gründen, weil die Gegner der bisherigen No-Name-Truppe der SG mit ganz anderem Respekt entgegentreten. Kraus, der Mann für die besonderen Momente, hat Charisma, er ist ein Farbtupfer, er steht für Erfolge: Weltmeister 2007, EHF-Pokal-Sieger mit dem TBV Lemgo 2010 und mit Frisch Auf 2016, deutscher Meister 2011 und Champions-League-Sieger 2013 mit dem HSV. Da stellt sich schon die Frage, wie es der SG möglich war, solch einen Ausnahmespieler an Land zu ziehen?

Kontakte zu HBC Nantes auf Eis

Der Verein streicht das Engagement der Sponsoren Olymp und MHP heraus. Kraus selbst war es wichtig, mit seiner Ehefrau Bella und den beiden kleinen Kindern (im Mai kommt das dritte) weiter in der Region leben zu können. „Ich werde das machen, was für meine Familie am besten ist“, hat Kraus immer wieder betont. Deshalb sind die Kontakte zum französischen Champions-League-Teilnehmer HBC Nantes auf Eis gelegt. Zumindest fürs Erste.

SG will Kraus halten – egal, in welcher Liga

Denn in Bietigheim haben sie dem gebürtigen Göppinger ein Paket geschnürt, das nicht nur für den Rest der laufenden Saison gilt. „Beide Seiten haben großes Interesse daran, über die Runde hinaus zusammenzuarbeiten“, betont Zürn – und fügt mit der Miene des zutiefst Überzeugten hinzu: „Egal in welcher Liga.“ Soll heißen: Es ist alles andere als ausgeschlossen, dass Kraus auch bei einem Abstieg in die zweite Liga für die SG am Ball bleibt. „Es geht auch um die Karriere nach der Karriere“, hatte Kraus’ Berater Jochen Bergener gegenüber unserer Zeitung geäußert. Strahlemann Kraus, der ehemalige „Bravo“-Boy, als künftiges Hemden-Model bei Olymp? Zürn muss schmunzeln und versichert: „Was nach der Karriere kommt, haben wir mit Mimi noch nicht besprochen.“

24:31-Niederlage bei der MT Melsungen

Am Sonntag hat sich die SG BBM Bietigheim gegenüber der 15:24-Heimpleite vor einer Woche gegen den SC DHfK Leipzig zwar klar gesteigert – doch am Ende gab es auch bei der MT Melsungen ein 24:31 (12:16). Die Augen der 4112 Zuschauer in der Rothenbach-Halle Kassel waren vor allem auf einen Mann gerichtet: Michael „Mimi“ Kraus. Nach nur einer Trainingseinheit mit dem Team spielte der SG-Neuzugang fast durch. Der Rückraumspieler belebte das Angriffsspiel deutlich, übernahm Verantwortung und warf sechs Tore für die Mannschaft von Trainer Hannes Jon Jonsson, allerdings benötigte der 35-Jährige auch 17 Versuche. Kreisläufer Patrick Rentschler warf ebenfalls sechs Tore, Rechtsaußen Christian Schäfer erzielte 5/3 Treffer. „Man ist immer enttäuscht, wenn man verliert. Die Verunsicherung war spürbar. Uns hat die Cleverness gefehlt, die technischen Fehler haben uns dann das Genick gebrochen, auch bei mir gibt es noch Luft nach oben“, sagte Kraus, der optimistisch bleibt: „Die Jungs wollen marschieren, und dann können wir auch etwas reißen.“

Am kommenden Sonntag (13.30 Uhr/EgeTrans-Arena) steht für Bietigheim das Schlüsselspiel gegen die Eulen Ludwigshafen auf dem Programm. Die Showdown für die SG im Kampf gegen Abstieg? „Für uns ist jedes Spiel ein Showdown“, sagte Kraus. Die MT Melsungen tritt am 24. Februar (16 Uhr/EWS-Arena) im Kampf um die Europapokalplätze bei Frisch Auf Göppingen an.