Die Schafe sind fast ein Symbol des Biosphärengebiets: Sie gelten als Beispiel dafür, wie sich Naturschutz, Bewahrung von Tradition und nachhaltige Ökonomie verbinden lassen. Foto: dpa

Im Südschwarzwald ist vor kurzem das zweite Biosphärenreservat in Baden-Württemberg gegründet worden. Doch wie erfolgreich ist eigentlich das erste Gebiet auf der Alb, das nun knapp zehn Jahre existiert? Wir versuchen eine Zwischenbilanz.

Münsingen - So muss es wohl im Paradies riechen, nach Wacholderbeeren und Rosmarin, nach dunkler Schokolade und Hagebuttenkuchen. All das liegt verführerisch in den Auslagen in Eberhard Laepples „Lagerhaus“, einem zum Café umgebauten alten Raiffeisen-Lager. In Dapfen, einem Ort bei Gomadingen auf der Alb, scheint die Provinz am tiefsten und das Idyll am größten. Wer aus Seifensiederei, Chocolaterie und Café ins Freie tritt, hört die Lauter plätschern und die Vögel zwitschern.

Eberhard Laepple ist einer von jenen Menschen, die das 2007 gegründete Biosphärengebiet leben, die es voranbringen und ausmachen. Er verbindet im „Lagerhaus“ traditionelles Essen mit modernen Ideen – zum Beispiel bietet er, weil die Nachfrage so groß ist, mittlerweile zwei Mal pro Monat ein 15-gängiges „Querbeet-Menü“ an, bei dem die wichtigsten Gerichte der Alb serviert werden, von sauren Nierle über Linsen bis zu Musmehl. Dieses und viele andere Angebote finden die Menschen so anziehend, dass Laepple ständig erweitert. Und so mischt sich derzeit im Lagerhaus lautes Hämmern und der Lärm von Sägen ins Vogelgezwitscher.

Der Mensch und die Natur sollen in Einklang zueinander kommen, von beiden soll das Beste gefördert werden – so sieht es das hehre Ziel der Unesco bei den Biosphärenreservaten vor. Es geht nicht darum, nur artenreiche Gebiete zu schützen; es geht um das Schaffen einer lebenswerten und nachhaltigen Kulturlandschaft. Wenn man im Biosphärenzentrum im „Alten Lager“ in Münsingen aus der beeindruckenden Dauerausstellung ins Lädle geht und die Waren betrachtet, weiß man schnell, was gemeint ist. Zu kaufen gibt es nicht nur Alblinsen, Apfelsaft und Albschnecken, sondern auch Waldblütenhonig, Hägengeist, Rosenblütensirup, Johannisbeer-Zitronenmelisse-Essig oder Wildschwein-Fleischkäse. Wem läuft da nicht das Wasser im Munde zusammen?

Jährlich kommen 440 000 Besucher zusätzlich

Laepple jedenfalls ist überzeugt, dass der Alb nichts Besseres passieren konnte als die Ausweisung zum Biosphärengebiet im Jahr 2007: „Das Wichtigste ist, dass die Landwirte, Hoteliers, Gastronomen und Naturschützer erkannt haben, dass sie zusammengehören.“ Seither würden sie sich gegenseitig kreativ anregen: Die Hotels fragen nach einer Seife mit Albkräutern, der Gastronom will von der örtlichen Brauerei ein bestimmtes Bier, und die Bäcker regen die Bauern an, mehr alte Getreidesorten, wie Dinkel, Emmer und Einkorn, anzubauen. So werden schöne Traditionen gestärkt, und so entstehen schnöde Wertschöpfungsketten.

Tatsächlich lässt sich der Erfolg des Biosphärengebiets durchaus in harte Zahlen fassen. Eine Studie der Universität Würzburg zu den deutschen Biosphärenreservaten hat errechnet, dass jährlich 440 000 Besucher zusätzlich auf die Alb kommen und 21 Millionen Euro ausgeben. Teilweise sind die Übernachtungszahlen sprunghaft gestiegen; in Münsingen etwa um 90 Prozent seit 2007, was allerdings auch mit den ungewöhnlichen Unterkünften auf dem Hofgut Hopfenburg zu tun hat, wo man in Jurten und Schäferwagen schlafen kann. Wie das Biosphärengebiet nicht nur die Flora schützt, sondern auch die Wirtschaft florieren lässt, ist schwer zu beziffern. Aber Thomas Reumann, der Reutlinger Landrat und Vorsitzende des Trägervereins, stellt eine stark gewachsene Investitionsbereitschaft bei Hotels, Höfen und Handelsunternehmen fest: „Da ist wieder Stolz dabei.“

Das war tatsächlich nicht immer so. Viele Gemeinden sind skeptisch gewesen. Auch Mehrstetten, das heute wie eine Exklave im Biosphärengebiet liegt, hatte abgelehnt. Aus zwei Gründen, wie sich Bürgermeister Rudolf Ott erinnert. Erstes hatten die Landwirte Bedenken, dass sie noch mehr Auflagen erhielten als ohnehin schon durch Vogelschutz- und Wasserschutzgebiete vorhanden seien. Diese Zweifel seien heute weitgehend zerstreut, räumt Ott ein. Thomas Reumann formuliert es so: „Unser Motto heißt: schützen durch nützen – Naturschutz darf durchaus auch Geld einbringen.“ Zweitens hätte Mehrstetten zehn Prozent seines Waldes kostenlos in die Kernzone einbringen müssen, diese Fläche wäre für die wirtschaftliche Nutzung verloren gewesen. „Wir haben aber keine wertvollen Schluchtenwälder“, sagt Ott – Mehrstetten kann sich deshalb bis heute nur dann ein Mitmachen vorstellen, wenn das Biosphärengebiet von dieser Forderung abrückt.

20 weitere Kommunen würden gern Mitglied werden

Insgesamt aber hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Gebiet Vorteile bringt. Der schlagende Beweis: 20 weitere Kommunen aus sechs Landkreisen haben ihr Interesse an einer Aufnahme bekundet. Das ist 2019 möglich, wenn die Unesco das Gebiet neu bewertet. Aber für Reumann stellt sich heute eher die Frage, welche Größe sinnvoll ist. Und auch Ingrid Eberhard-Schad, die beim Naturschutzbund das Projekt von Anfang an begleitet hat, betont: Schon jetzt würden sich nicht alle Gemeinden genügend einbringen; für neue Kommunen sollten klare Bedingungen festgelegt werden. „Die Mitgliedschaft darf nicht nur ein Etikett sein, sondern muss mit Engagement verbunden sein“, fordert sie.

Was den Naturschutz angeht, so ist sie mit dem Erreichten zufrieden. An vielen Themen, wie der naturnahen Bewirtschaftung der Wälder, werde gearbeitet. Und in den Schluchtenwäldern, an den Bachläufen und auf den Magerwiesen hätten viele Tiere echte Refugien gefunden, wie Prachtlibelle und Eisvogel, Steinkrebs und Biber, Zaunkönig und Alpenbock. Was sie sich noch wünscht: dass der Anteil der geschützten Kernzonen, der bei gerade drei Prozent liegt, größer wird.

Mehr Geld für das Biosphärengebiet benötigt

Auch Thomas Reumann hat noch Wünsche, ja mehr noch: Forderungen. Denn „wir schöpfen bisher das Potenzial nicht aus“. Wenn man die Ziele der Unesco ernst nehme und aus dem Biosphärengebiet wirklich eine nachhaltige Modellregion machen wolle, dann müsse man viel größer denken und nicht nur den Naturschutz, die regionale Wirtschaft und den Tourismus im Auge haben. Auch die Kultur, das Soziale oder etwa die Geschichte müssten Teil der Modellregion werden. Warum etwa, so fragt Reumann rhetorisch, dürfte der Trägerverein das Besucherzentrum bei Hülben zur Geschichte der Kelten, die eine so wichtige Rolle auf der Alb spielten, nicht fördern? Dass das Biosphärengebiet beim Umweltministerium angedockt sei, lasse sich nicht mehr rechtfertigen: „Wir müssen Zugang zu allen Ministerien haben und brauchen zumindest eine Koordinierungsstelle.“

Daneben sei mangels Personal und Geld die Hälfte der geplanten Projekte noch nicht in Angriff genommen worden, und das bringt Reumann zu seiner Hauptforderung: Es müsse mehr Geld fließen. Der Nationalpark im Schwarzwald habe 2015 insgesamt 8,5 Millionen Euro erhalten und plant mit 89 Mitarbeitern. Das acht Mal so große Biosphärengebiet muss mit 730 000 Euro jährlich (davon 30 Prozent von den Kommunen) und 200 000 Euro an Fördergeld auskommen und habe nur 15 Angestellte. So könne das nicht weitergehen.

Aber, sagt Reumann und hält einen Moment inne: „Wir haben dennoch etwas ganz Großes angestoßen.“ Denn nie sei man an schnellen Marketinggags interessiert gewesen, man mache nur, was wirklich zur Alb passe. Das Biosphärengebiet, es fördert den wahren Geist der Schwäbischen Alb.