Bei diesem Hand- und Unterarmmodell haben sich Experten wie der Biomechatroniker Jonathan Eckstein von der Uni Stuttgart von der Natur inspirieren lassen. Foto: Wolfram Scheible

In Stuttgart stellt ein neues Kompetenzzentrum die Verbindung von Biologie und Technik her. Die Anwendungsgebiete reichen von der Medizin über die Landwirtschaft bis hin zur Sicherheitstechnik.

Stuttgart - Riechen ist ein ziemlich komplizierter Prozess. Beim Menschen sind in Mund und Nase rund 400 verschiedene Geruchsrezeptoren daran beteiligt, dass wir riechen und schmecken können. Und Tiere wie etwa der Hund haben ein noch weit leistungsfähigeres biologisches System entwickelt, um mit Hilfe des Geruchssinns Informationen über ihre Umwelt zu gewinnen. Da ist es nur zu verständlich, wenn sich Ingenieure schwer tun, Gerüche auf irgendeine Weise technologisch zu erfassen. Doch inwieweit können Biologen Ingenieuren dabei helfen, von der Natur zu lernen?

„Wir programmieren lebende Zellen, indem wir genau die Technologie nutzen, die ein Hund zum Riechen nutzt“, beschreibt Osh Agabi das Verfahren, das er und seine Kollegen im kalifornischen Startup Koniku entwickelt haben. Dazu wurden lebende Hirnzellen genetisch modifiziert, auf einen Chip gesetzt und zu einer „lebenden Maschine“ transformiert, wie es Agabi ausdrückt. Die „Riech-Ergebnisse“ können dann elektronisch oder optisch ausgelesen und für eine ganze Reihe von Zwecken genutzt werden. Der Sicherheitsbereich – etwa das Aufspüren von Sprengstoffen auf Flughäfen – ist ein naheliegendes Anwendungsgebiet. So erkennen die Biodetektoren zum Beispiel schon recht erfolgreich Acetonperoxid, ein Sprengstoff, der auch als Apex oder TATP bekannt ist.

Sensoren gegen Schädlinge

Aber auch in der Landwirtschaft sind solche Sensoren denkbar: Wenn Schädlinge Pflanzen angreifen, produzieren diese bestimmte Abwehrstoffe – und die lassen sich mit einer solchen elektronischen Nase erfassen. Sobald auf diese Weise der Biosensor eine wachsende Schädlingsdichte meldet, dann der Landwirt mit der Bekämpfung beginnen – was vorsorgliche Spritzaktionen mit Insektengiften überflüssig macht.

Auch in der Medizin können solche Sensoren zum Einsatz kommen, nämlich bei der Diagnose von Krankheiten. So produzieren geschädigte Zellen etwa bei manchen Krebsarten, aber auch bei Lebererkrankungen bestimmte flüchtige Stoffe, die mit dem Atem ausgeschieden werden. Hunde lassen sich darauf trainieren, so etwas zu riechen. Aber auch ein biointelligenter Riechchip könnte diese Aufgabe lösen, wie Agabi versichert.

Vorgetragen hat der Kalifornier – der unter anderem an der ETH Zürich studiert hat – seine bisherigen Ergebnisse und künftigen Visionen jetzt auf der Konferenz „Biointelligente Produkte und Produktion – die nachhaltige Revolution der Industrie“ in Stuttgart. Dazu eingeladen hatten vier Institutionen aus der Region: Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), die Universitäten Stuttgart und Hohenheim sowie das in Reutlingen ansässige Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut (NMI) an der Universität Tübingen.

Strategiepapier für die Landesregierung

Seit Anfang des Jahres arbeiten rund 40 Wissenschaftler im „Kompetenzzentrum Biointelligenz“ zusammen, um – so das Ziel – „gemeinsam den Paradigmenwechsel der Biologischen Transformation zu gestalten“. Um auch die Politik ins Boot zu holen, wurde den Vertretern verschiedener baden-württembergischer Ministerien zu Beginn der Konferenz ein Strategiepapier zur biointelligenten Wertschöpfung überreicht. Das Papier wie auch die Auftaktkonferenz dienten auch dazu, den Nutzen solcher Systeme deutlich zu machen und zu erklären, warum sie für eine nachhaltige Zukunft unerlässlich sind.

Das gilt insbesondere für die Ernährung, weil zum einen die Weltbevölkerung wächst, zum anderen die Ansprüche der Menschen an aufwendig produzierte Lebensmittel wie Milchprodukte und Fleisch wachsen. Befriedigen lässt sich der Bedarf aber nur, wenn neue Rohstoffquellen erschlossen werden, durch die der Konsum tierischer Produkte reduziert wird. Thomas Bauernhansl, IPA-Chef und Leiter des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb der Uni Stuttgart (IFF), nennt ein Beispiel: „Der sogenannte Impossible Burger ist in den USA ein gutes Beispiel – er ist fleischlos und schmeckt hervorragend. Und nun gibt es auch noch den Impossible Whopper.“

Künstliche Hände und neue Medikamente

Ein erhebliches wirtschaftliches Potenzial – insbesondere auch für Baden-Württemberg – liegt in der Biomedizin. Dazu zählt die Entwicklung medizinischer Hilfsmittel – etwa bioinspirierter Exoskelette. Ein Beispiel dafür wäre eine künstliche Hand. Erforscht werden derzeit aber auch neue Methoden, um Krebs zu erkennen und im Zuge einer personalisierten Medizin zu bekämpfen. Dies eröffnet bisher unbekannte Heilungschancen – und neue wirtschaftliche Möglichkeiten, weil sich entsprechende Medikamente und Therapien abseits der traditionellen pharmazeutischen Screening- und Entwicklungsmodelle gezielt entwickeln lassen.

„Wir können hier einen Leuchtturm schaffen, der national und international eine Rolle spielt“, sagte Bauernhansl mit Blick auf neue Möglichkeiten und Chancen. Wobei auch der Transfer von der wissenschaftlichen Erkenntnis in die wirtschaftliche Anwendung nicht zu kurz kommen soll. Als konkretes Beispiel nannte Bauernhansl den kalifornischen Bioriechzellen-Spezialisten Koniku. Hier gebe es konkrete Pläne, die Produktionsentwicklung in die Region Stuttgart zu verlagern, weil hier die entsprechenden Voraussetzungen gut seien. „Baden-Württemberg ist da gut aufgestellt“, ist Bauernhansl überzeugt.