Tom (links) und Bill Kaulitz sind vielleicht die berühmtesten deutschen Zwillinge nach Alice und Ellen Kessler. Aus den Teenie-Stars sind erwachsene Promis geworden. Foto: dpa

Als Bill und Tom Kaulitz noch Teenager waren, hatten sie mit Tokio Hotel schon alles erreicht. Nun werden die Zwillinge dreißig, sind längst nicht mehr so erfolgreich, dafür umso prominenter.

Stuttgart - Gäbe es Heidi Klum nicht, würde an dieser Stelle vermutlich kein größerer Artikel zum dreißigsten Geburtstag der Tokio-Hotel-Frontzwillinge Bill und Tom Kaulitz stehen. Seit Tom mit der bekannten Model-Macherin und Moderatorin zusammen ist und sie erst vor Kurzem mit Pomp und Gloria auf einer Luxusjacht vor Capri ehelichte, sind die Kaulitz-Brüder wieder in aller Munde. Zwar kreischen heute kaum mehr hyperventilierende Mädchen ihre Namen, dafür sind die bunten Blätter und die sozialen Medien voll von Herz-Schmerz-Geschichten rund um das Kleeblatt Klum-Kaulitz-Kaulitz. Heidi Klum liefert verlässlich den begehrten Stoff in Form von Knutsch-Selfies und allerlei anderen offenherzigen Schnappschüssen auf Instagram. Wer nie etwas postet ist Tom.

Man darf stark davon ausgehen, dass es den Brüdern egal ist, woher ihre Prominenz rührt. Immer wieder haben sie in Interviews und Dokumentationen betont, dass es für sie kein Problem ist, den großen Erfolg, den sie als Teenager hatten, später nie wieder erreicht zu haben. Mitte der Nullerjahre, als 15-Jährige, lösten die Magdeburger mit ihrer Band Tokio Hotel einen Hype aus, der selbst die Hysterie um die Boybands der neunziger Jahre wie Take That oder Backstreet Boys übertraf. Tokio Hotel setzten einen neuen Standard im Genre: nicht gecastet, ohne Tanzchoreografien – und mit rockiger Musik.

Tokio Hotel versetzte die Fans in Ekstase und Hysterie

Der Gothic-Manga-Look des androgynen Sängers Bill Kaulitz, der sich bis heute nicht klar zu seiner sexuellen Orientierung äußert, tat ein Übriges: Mit schwarzem Kajal, Lidschatten und Nagellack und mit einer neu interpretierten Nena-Frisur versetzte er die weiblichen Fans in Ekstase. Doch auch von Tom in seinem Schlabber-Hip-Hop-Look und den Dreadlocks wollten Tausende junger Mädchen erklärtermaßen ein Kind. Bill Kaulitz sagte 2017 in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“: „Ich habe das alles gewollt, die Karriere und den Ruhm. Ich habe mir damit aber selbst ein Stück Jugend genommen.“ Auch die Schule brachen die beiden Brüder damals ab, holten den Realabschluss aber später per Online-Fernunterricht nach – ihrer Mutter zuliebe.

Weiter betonte Bill in dem Gespräch: „Mit meiner Karriere habe ich mich noch nie so wohlgefühlt wie heute. Ich mache nur noch Sachen, auf die ich wirklich Lust habe.“ Vom Erlös ihres Debütalbums „Schrei“, das sich 2005 weltweit 1,5 Millionen Mal verkaufte, und von dem der knapp zehn Millionen verkauften Tonträger insgesamt (Stand 2017), wird der eine oder andere Euro übrig geblieben sein, um sich diese Freiheit leisten zu können.

Ob Alben, eine eigene Modelinie oder TV-Projekte – die Buben mischen überall ein bisschen mit, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Tom Kaulitz kokettierte 2018 in der Arte-Dokumentation „Tokio Hotel – Hinter die Welt“: „Das Geld kommt und geht bei uns jeden Tag. Wir können überhaupt nicht mit Geld umgehen.“

2005 wurden sie über Nacht zu Stars

Immerhin reicht es für ein Häuschen in L. A. und ein schickes Auto. Tom Kaulitz fährt Cadillac. Seit fast zehn Jahren wohnt er mit seinem eineiigen Zwilling Bill dort, wo schon viele Prominente die Ruhe vor dem Ruhm gesucht und gefunden haben. Auch bei den Kaulitz-Brüdern war es eine Flucht, eine Rettungsaktion, wie es Bill im Rückblick nennt.

Und das kam so: Quasi über Nacht, nachdem 2005 die Single „Durch den Monsun“ die Charts erobert hatte, wurden Bill und Tom Kaulitz zu VIPs – very important persons –, also Promis, die keinen Schritt mehr ohne Personenschützer in der Öffentlichkeit tun konnten. Die Fans waren überall, campten vor ihrem Haus mit einem zwei Meter hohen Zaun im niedersächsischen Seevetal. „Die haben da gehaust, in die Büsche gepinkelt und gekackt. Das war Psycho“, erzählt Bill im Interview mit der „Süddeutschen“.

Als schließlich Fans auch noch ins Haus einbrachen, alles durchwühlten und persönliche Gegenstände klauten, hatten die Brüder die Nase voll. „Wir haben uns im Internet ein Haus in L. A. gesucht, unsere Koffer gepackt und sind abgehauen“, erinnert sich Tom Kaulitz. Auch ihre Mutter, Simone Kaulitz, und der Stiefvater Gordon Trümper kamen mit, kehrten nach zwei Jahren aber wieder zurück nach Deutschland.

Unzertrennliche, symbiotische Zwillinge? Das Klischee trifft zu

Erst in Los Angeles haben die beiden gelernt, selbstständig zu leben. Bill habe zunächst nur allmählich begriffen, dass er keine Security mehr brauche. „Dann habe ich exzessiv Lebensmittel eingekauft, weil ich gar nicht wusste, was es alles im Supermarkt gibt“, erinnert er sich im Interview. Auch Englisch haben die Brüder erst vor Ort richtig gelernt. Seither sind die Texte von Tokio Hotel – die beiden anderen Bandmitglieder Gustav Schäfer und Georg Listing leben immer noch in ihrer Heimatstadt Magdeburg – ebenfalls auf Englisch.

Das Klischee von den unzertrennlichen, symbiotischen Zwillingen trifft bei Bill und Tom nach eigener Aussage zu. „Tom ist zehn Minuten älter als ich. Wir sind zwar vom Stil her unterschiedlich, bilden aber eine Einheit, sind wie ein Kreis, der sich schließt“, erklärte Bill 2018 in der Arte-Doku. Und Tom ergänzte: „All das, was der Mensch in einer Partnerschaft sucht, haben wir beide ja komplett. Ich brauche eigentlich nur noch jemanden für den sexuellen Part. Das findet man ja irgendwie immer. Und dann kann es natürlich passieren, dass man sich verliebt. Bill ist so ein Mensch, der sich nach Liebe und Beziehung sehnt. Das geht mir gar nicht so. Wenn ich mich jetzt für den Rest meines Lebens nicht mehr verlieben sollte, wäre das vollkommen okay für mich.“ Und dann kam Heidi Klum.