Der Weg zum richtigen Schreiben ist für Schüler lang. Foto: dpa

Die Lehrer sollen nicht so schnell beleidigt sein, rät der Göppinger Geschäftsführende Schulleiter angesichts der Kritik aus Stuttgart an den Grundschulen

Kreis Göppingen - In Sandkisten die ersten Worte schreiben oder die Buchstaben mit Seilen auslegen und die Schwünge und Geraden barfuß ablaufen: Hans-Dieter Würthele, der Geschäftsführende Schulleiter der Göppinger Schulen und Rektor der Göppinger Ursenwangschule, plädiert für einen kreativen Methodenmix samt Fibel. So könne man Kindern die Freude an der Sprache vermitteln. Auch wenn die schlechten Noten baden-württembergischer Grundschüler jüngst beim Leistungstest Vera im Rechtschreiben die Bildungspolitiker aufgeschreckt hätten, sei es wichtig, Ruhe zu bewahren. Es sei ein jahrelanger Prozess, bis Kinder richtig schreiben könnten, da helfe nur: „Üben, üben, üben.“

Die Worte von Taxi bis Xylofon stehen auf der Lernliste

So wie bei Susanne Dumssner in der Grundschule Bünzwangen. „Heute wiederholen wir das X“, erklärt die Lehrerin für Deutsch und Englisch und hält abwechselnd die auf Karten gedruckten sogenannten Lernwörter nach oben. Die Erstklässler in dem Ebersbacher Teilort können von Taxi bis Xylofon alle Begriffe benennen und lernen anschließend noch auf ihren Arbeitsblättern, dass das Wort Boxer nicht nur den Sportler, sondern auch eine Hunderasse bezeichnet. Dann schreiben die Sechs- bis Siebenjährigen die Worte per Laufdiktat ins Heft, indem sie sich den Inhalt der Wortlisten an der Tafel merken und übertragen. „Ich nehme eure Hefte mit nach Hause und schaue, was ihr geschrieben habt“, kündigt die Lehrerin noch an, und schon ist Vesperpause.

Die Kultusministerin lehnt Schreiben nach Gehör ab

„Ich lege Wert darauf, dass die Wortgrenzen eingehalten werden und die Groß- und Kleinschreibung stimmt“, erklärt Dumssner einige Lernziele für die erste Klasse. Natürlich gehe es auch hier schon um die Rechtschreibung, aber auch ums selbstständige Arbeiten. Das gelinge beim Schreiben nach Gehör. Dieser Lernmethode hatte die Kulturministerin Susanne Eisenmann (CDU) in einem Brief an die Schulen unlängst allerdings eine Absage erteilt. In der Praxis würden oft mehrere Methoden samt Fibel gemischt, erklärt Rektor Würthele. Und in Bünzwangen gehört neben der Fibel auch die von Eisenmann kritisierte Anlauttabelle zum Schulalltag.

Dieser ist übrigens nicht nur im Kreis Göppingen, sondern landesweit speziell an Grundschulen geprägt von einem Lehrermangel. Die am Donnerstag bekannt gewordene Idee der Kultusministerin, Gymnasiallehrer, die abgelehnt wurden, nach einer Schnellbleiche die Jüngsten unterrichten zu lassen, hat prompt kontroverse Reaktionen ausgelöst. Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hält die Qualifikation der Gymnasiallehrer jedenfalls für nicht ausreichend: „Sie werden nicht in der Lage sein, an den Grundschulen gute Arbeit zu leisten.“

Susanne Dumssner unterrichtet derweil mit pädagogischem Gespür und fachlicher Kompetenz. „Die Kinder können erste kurze Sätze formulieren“, erklärt Dumssner das Verfahren, bei dem jedem Buchstaben ein illustriertes Beispielwort zugeordnet ist. Die Methodik geht auf den Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen zurück. „Ich fare in den Osterferien zu Oma“, hat ein Erstklässler etwa fein säuberlich in sein Erzählheft geschrieben. Eine enorme Leistung erkennt Dumssner in diesem frei formulierten Satz. So etwas mache die Kinder stolz. Denn sie müssten nicht immer bei den Erwachsenen nachfragen. Dass zum Fahren noch ein „h“ gehört, lernten die Kinder spätestens in der zweiten Klasse.

Die Lehrer sollen nicht so schnell beleidigt sein, rät Würthele

„Kinder dürfen Fehler machen, und es ist unsere Aufgabe, sie sanft zu korrigieren,“ bekräftigt Würthele den langen Weg zum richtigen Schreiben. Diese Schlüsselkompetenz müsse natürlich gestärkt werden und so empfiehlt Würthele der Lehrerschaft angesichts von Eisenmanns Schelte, „nicht so schnell beleidigt zu sein“. Die Kritik der Lehrergewerkschaft GEW am stark gekürzten Förderunterricht sei aber berechtigt: „Das fehlt vor allem für Kinder mit Migrationshintergrund sehr.“ Sorgen bereiten dem Rektor auch die Elternhäuser: „Ich sehe Mütter, die wechseln mit ihren Kindern stundenlang kein Wort, starren aufs Smartphone und tragen Stöpsel in den Ohren.“ Der erfahrene Pädagoge, der kurz vor dem Ruhestand steht, hat eine zunehmende Sprachlosigkeit in den Familien festgestellt. In eher bildungsfernen Familien werde nicht vorgelesen und nicht vorgesungen. Und das in einem Alter, in dem Eltern ihre Kinder prägten, weil die Erwachsenen Vorbild seien. Kinder, die dagegen zu Hause gefördert würden, machten rasch Fortschritte in der Schreib- und Leseentwicklung. Dass die Schüler auch immer weniger Durchhaltevermögen zeigten, sei kein Wunder angesichts der vielfältigen auch medialen Reize. „Früher hatten die Kinder mehr Ruhe“, stellt der Rektor fest.