Spezialisten für Technik, Gewerbe oder Betriebswirtschaftslehre zieht es nicht in den Schuldienst (Symbolfoto). Foto: dpa

Kultusministerin Eisenmann verkündete jüngst einen Einstellungsrekord bei den Lehrern. Doch die Berufsschullehrer stellen dem einen enormen Zusatzbedarf entgegen. Und die Wirtschaft stärkt ihnen den Rücken.

Stuttgart - Ungeachtet des vor wenigen Tagen verkündeten Rekords bei den Lehrereinstellungen verlangen die Berufsschullehrer weitere personelle Verstärkung. Die ihnen zugewiesenen 1300 Lehrerstellen könnten zwar die frei werdenden Stellen ausgleichen, aber immer noch nicht den im Stundenplan vorgesehenen Unterrichtsausfall von insgesamt 1,8 Prozent. Für zusätzliche Anforderungen seien mindestens 880 Stellen für das Schuljahr 2017/18 nötig, forderte der Landeschef des Berufsschullehrerverbands (BLV), Herbert Huber, am Montag in Stuttgart. Das Thema werde bereits bei den Haushaltsberatungen im Herbst eine Rolle spielen. „Nach der Lehrereinstellung ist vor der Lehrereinstellung“, sagte Huber, dessen Verband über 10 000 Lehrer an rund 300 beruflichen Schulen vertritt.

Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte vergangene Woche verkündet, dass im Schuljahr 2016/17 rund 6600 neue Lehrer unterrichten sollen. Allerdings konnten 672 Stellen bislang nicht besetzt werden, davon 250 bei den beruflichen Schulen. Grund: Die jungen Lehrer wollen nicht aufs Land gehen, und Spezialisten für Technik, Gewerbe oder Betriebswirtschaftslehre zieht es nicht in den Schuldienst. Ein weiterer Grund für Absagen ist auch die späte Information über Einstellungsort und Unterrichtsumfang im Juni. Den Schulen würden nach Ansicht des BLV frühzeitige und erweiterte Möglichkeiten der schulscharfen Stellenausschreibung helfen. Es müssten 80 Prozent - statt weniger als 50 Prozent - der Stellen mit schulbezogenen Anforderungen gesucht werden können.

Defizite in Lesen, Schreiben, Rechnen

Eisenmann bezeichnet die Personalsituation an den beruflichen Schulen als „so gut wie nie zuvor“. Neben dem Ersatz für frei werdende Stellen gebe es 305 Stellen für das Unterrichten von Flüchtlingen sowie 20 für sonderpädagogische Dienste. Die Ministerin betonte: „Wir investieren in die beruflichen Schulen in Baden-Württemberg und damit in einen unverzichtbaren Bestandteil unseres Bildungssystems.“

Die Industrie- und Handelskammern stellten sich hinter die Forderung nach mehr Lehrerstellen und veränderten Einstellungsverfahren. Denn für die Teilzeitschüler im dualen System belaufe sich das strukturelle Defizit auf sogar auf 5,8 Prozent (2015). Laut einer aktuellen Umfrage bei Ausbildungsbetrieben beklagten rund 43 Prozent der 2000 teilnehmenden Betriebe in Baden-Württemberg Unterrichtsausfälle an Berufsschulen.

Die in der Vergleichsstudie „Vera“ diagnostizierten Defizite in Lesen, Schreiben, Rechnen bei Achtklässlern im Südwesten machen aus Sicht des BLV verstärkte Förderung beim Übergang in die beruflichen Gymnasien und Berufskollegs notwendig. Die Schüler kommen laut Huber aus Werkreal- und Realschulen mit guten Noten, hätten aber dann große Probleme. Der Verband veranschlagt hierfür 230 Stellen.

Mehr Qualität in den allgemeinbildenden Schulen

Weitere 350 Stellen wünscht sich der Lehrerverband für eine längere wöchentliche Berufsschulzeit, um sowohl schwache als auch leistungsstarke Schüler besser fördern zu können. Die Integration behinderter Schüler an beruflichen Schulen schlägt in dem Forderungskatalog des Verbandes mit 100 und eine schulbezogene Vertretungsreserve mit 200 Stellen zu Buche.

Die Arbeitgeber Baden-Württemberg mahnten mehr Qualität in den allgemeinbildenden Schulen an. Die „Vera“-Ergebnisse seien alarmierend. „Berufliche Schulen und Betriebe dürfen nicht zu Reparaturbetrieben des allgemeinbildenden Schulwesens werden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf“, sagte Stefan Küpper, Verbandsgeschäftsführer Politik, Bildung und Arbeitsmarkt.

Heftige Kritik übte der BLV an der Verkürzung des wöchtlichen Unterrichts an den VABO-Klassen (Vorqualifizierungsjahr Arbeit und Beruf für Jugendliche ohne Deutschkenntnisse) für Flüchtlinge. Die Reduzierung um 40 Prozent auf 20 Unterrichtsstunden sei eine reine Sparmaßnahme. Dass dies durch den Einsatz Ehrenamtlicher aufgefangen werden könne, sei illusorisch. Die Anzahl von 270 Flüchtlingen, die jetzt eine berufliche Erstausbildung starten, von 8000 Absolventen des VABO sei entschieden zu gering. Huber: „Das zeigt, dass es nicht möglich ist, die jugendlichen Flüchtlinge innerhalb eines Schuljahres ausbildungsreif zu machen.“ Die trotzdem verkürzte Stundenzahl sei „der falsche Weg und sogar ein Skandal“.