Das Oberlandesgericht in Stuttgart kann sich über fehlende Arbeit nicht beklagen. Foto: dpa

Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte im vergangenen Jahr so viele Verfahren zu bearbeiten, wie zuletzt vor zehn Jahren. Vor allem der Diesel-Abgas-Skandal und seine Folgen seien für den Anstieg verantwortlich, sagt die Präsidentin Cornelia Horz. Doch auch Spionage, Terrorismus und Kriegsverbrechen beschäftigen das Gericht immer häufiger.

Stuttgart - Der Diesel-Abgas-Skandal und seine Folgen haben im zurückliegenden Jahr überproportional viel Arbeitskraft am Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) gebunden, die an anderer Stelle gefehlt hat. Besorgniserregend findet die Präsidentin des bundesweit drittgrößten Oberlandesgerichts, Cornelia Horz, jedoch nicht die schiere Menge, vielmehr den Ablauf: „Die Verfahrensbeteiligten beschäftigen zunächst die Landgerichte, gehen in Berufung und entscheiden sich dann regelmäßig außergerichtlich oder ziehen die Klage zurück. An einer tatsächlichen obergerichtlichen Entscheidung sind sie offenbar gar nicht interessiert.“ Dies sei wirtschaftlich wenig sinnvoll, sagte Horz bei ihrem Rückblick auf 2018.

Die 16 Zivilsenate des OLG hatten im abgelaufenen Jahr mit fast 4500 neuen Klagen so viele Verfahren zu bearbeiten, wie zuletzt vor zehn Jahren. Der Anstieg um über 35 Prozent bei Berufungen in Zivilsachen geht zum einen auf die Verbraucherklagen im Diesel-Abgas-Skandal, zum anderen auf vermehrte Klagen in den Bereichen Arzthaftungs-, Banken- und Versicherungs- sowie Verbraucherdarlehensrecht zurück.

13 Verfahren wegen Spionage, Terrorismus und Kriegsverbrechen

Neue Herausforderungen sieht die Präsidentin auch bei den im vergangenen Jahr eingeführten Musterfeststellungsklagen, bei denen Verbraucher, vertreten durch eine Organisation, ihre Ansprüche gegen ein Unternehmen prüfen lassen können. „Zwar haben wir noch keine Braunschweiger Verhältnisse, aber auch wir stoßen mit so vielen Interessenten und Prozessbeteiligten an räumliche Grenzen.“ Das OLG Braunschweig musste ein so genanntes Kapitalanleger-Musterverfahren von Aktionären gegen Volkswagen in die örtliche Stadthalle verlegen, weil ein Gerichtssaal für alle Beteiligten nicht ausgereicht hätte. Einen Rekord verzeichnete das OLG Stuttgart auch bei den Staatsschutzprozessen mit 14 neuen Klagen im Jahr 2018. „In den vergangenen 15 Jahren hatte das OLG nie mehr als fünf Anklagen gleichzeitig, derzeit sind es 13 Verfahren wegen Spionage, Terrorismus oder Kriegsverbrechen“, berichtete Horz weiter. Damit diese Prozesse zügig bearbeitet werden können, bewilligte der Landtag im Nachtragshaushalt einen neuen Staatsschutzsenat, der im kommenden Monat eröffnet wird. In diesem Bereich ist das OLG Stuttgart als erste Instanz für ganz Baden-Württemberg zuständig.

„Es wird in diesem Bereich heftig gestritten“

Bei knapp 2500 neuen Berufungen in Familiensachen und rund 2600 Neueingängen in Strafsachen gab es zwar keine erheblichen Änderungen in der Summe, aber einen auffälligen Trend: Fast 1000 Widersprüche gingen beim OLG gegen Entscheidungen der Amtsgerichte in Bußgeldsachen ein. „Diese Zunahme um rund 35 Prozent zeigt, es wird in diesem Bereich heftig gestritten, vor allem, wenn der Entzug der Fahrerlaubnis im Raum steht“, betonte die Präsidentin, die seit Oktober 2017 im Amt ist.

Anfang April, so hofft die Präsidentin, können – nach einem Wasserschaden – nun endlich Staatsschutzverhandlungen im Neubau des OLG in Stuttgart-Stammheim beginnen. Die Baukosten für dieses Hochsicherheitsgebäude, bei dem Zuschauer und Angeklagte hinter Glas sitzen und das mit modernster Technik ausgestattet ist, betrugen rund 30 Millionen Euro.

„Noch nicht im Regelbetrieb“ läuft nach den Worten von Vizepräsidentin Agnes Aderhold die Notariatsreform, die zum Jahreswechsel 2017/2018 knapp 230 Notariate in die Amtsgerichte eingliederte. 58 zusätzliche Stellen sollen hier in diesem Jahr Abhilfe schaffen. Für die rund 6,2 Millionen Bürger im Gerichtsbezirk Stuttgart führten die Amtsgerichte im abgelaufenen Jahr über 59 000 Betreuungsfälle und bearbeiteten rund 61 000 Sterbefälle.