Die sozialen Netzwerke interpretieren das Netzwerkdurchsetzungsgesetz unterschiedlich. Foto: AFP

Kritiker sehen ihre Vorbehalte gegen das Gesetz bestätigt. Hunderte beklagen sich über die Löschpraxis von Facebook & Co.

STUTTGART - Erfahrungen aus einem Jahr Praxis befeuern die Kritik an dem Gesetz gegen Hetze im Netz. Die FDP nennt es „nutzlos und sogar gefährlich“. Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, bemängelt im Interview mit der Stuttgarter Zeitung, die Vorschrift sei „schlecht gemacht und schlecht umgesetzt“. Beim Bundesamt für Justiz sind bisher 598 Beschwerden eingegangen wegen des Löschpraxis der Betreiber sozialer Netzwerke. Bußgelder wurden noch nicht verhängt.

Das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (kurz: NetzDG) ist am 1. Oktober vergangenen Jahres in Kraft getreten. Es verpflichtet die Betreiber von Internetplattformen, anstößige und rechtswidrige Inhalte umgehend zu löschen oder den Zugriff zu sperren. Das geschieht in sehr unterschiedlicher Häufigkeit und Konsequenz. Facebook berichtet über einige hundert Beschwerden im ersten Halbjahr 2018. Bei Twitter und Youtube bewegt sich die Zahl der Reklamationen im sechsstelligen Bereich. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle erfolgte keine Reaktion. Falls die Netzwerkbetreiber sich gesetzeswidrig verhalten, droht ein Bußgeld bis zu einer Höhe von 50 Millionen Euro.

Zum Teil wird viel zu lax entschieden

Der Grünen-Politiker von Notz kritisiert, dass Facebook & Co nach völlig unterschiedlichen Kriterien und Verfahren vorgehen. Er mahnt dringend eine „gleichförmige Prozedur“ an. Zum Teil werde „viel zu lax und vor allem entlang selbstgesteckter Standards statt entlang klarer Vorgaben des nationalen Gesetzgebers“ entschieden. Er zieht eine durchwachsene Bilanz: „Apokalyptische Visionen haben sich nicht bestätigt“, so von Notz. Das NetzDG sei „weder ein Instrument, um die Meinungsfreiheit final zu ersticken, noch ein Mittel, was zu einer Zeitenwende bei den völlig aus den Fugen geratenen Umgangsformen im Netz geführt hätte“. Der FDP-Politiker Manuel Höferlin, digitalpolitischer Sprecher der liberalen Bundestagsfraktion, übt heftigere Kritik. Er warnt vor der „akuten Gefahr des Overblockings“ – also der Löschung kritisierter Inhalte, die jedoch rechtlich unangreifbar sind. Wegen der harschen Bußgelddrohungen bleibe Facebook & Co gar nichts anderes übrig als „das vorauseilende und überschüssige Löschen“. Dies bedrohe die Meinungsfreiheit.

Overblocking ist wohl kein großes Problem

„Die von den Kritikern prophezeite Zensur und Overblocking sind nicht eingetreten“, behauptet hingegen Elisabeth Winkelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion. Die Zahl der Löschungen seien „in einem maßvollen Rahmen geblieben“. Ihr SPD-Kollege Johannes Fechner aus Emmendingen stimmt der Christdemokratin zu. Das NetzDG bedeute „keine Privatisierung des Rechts“, betont er, regt aber an, einen gesetzlichen Anspruch auf die Korrektur ungerechtfertigter Löschungen zu schaffen.