Die Tiere des Schäfers Hans-Dieter Wahl beweiden die Flächen in zwei Naturschutgebieten bei Bissingen. Foto: Horst Rudel

Am Albtrauf bei Bissingen beweiden Schafe und Ziegen über die Sommermonate Streuobstwiesen, Wachholderheiden und Kalkmagerrasen. Die Tiere leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Vielfalt von Pflanzen- und Tierarten.

Bissingen - Fast könnte man meinen, fröhliches Blöken sei ein Gradmesser für die Vorfreude der Schafe auf die kommende Sommerfrische auf den Weideflächen rund um die Burg Teck. Am Donnerstag sind 850 der Wiederkäuer von ihrem Schäfer Hans-Dieter Wahl unterhalb des Wanderparkplatzes „Hörnle“ ins Gelände bei Bissingen losgeschickt worden, um in den kommenden Monaten ihrer Funktion als natürliche und geländegängige Rasenmäher nachzukommen. Gleichzeitig leisten sie damit einen bedeutenden Beitrag zur Erhaltung bedrohter Lebensräume sowie von Pflanzen- und Tierarten.

Erhaltung der Kulturlandschaft

Hans-Dieter Wahl hat mit seinen Tieren einen gehörigen Weg hinter sich. Aus Welzheim-Eberhardsweiler (Rems-Murr-Kreis) ist er in fünf Tagen mit ihnen zu Fuß mehr als 60 Kilometer bis uum Weidegebiet unterhalb der Burg Teck gewandert. Dort verdingen sich die Merinoschafe – demnächst unterstützt durch 60 Burenziegen – als Landschaftspfleger. Sie beweiden zusammen mit anderen Schäfern Streuobstwiesen, Wachholderheiden, Kalkmagerrasenflächen und Naturschutzgebiete im Landkreis Esslingen. Insgesamt werden im Kreis auf diese Weise 500 Hektar Fläche bewirtschaftet, um die hohe Artenvielfalt und die historisch gewachsene Kulturlandschaft zu erhalten.

160 Hektar davon nehmen sich schon seit rund 30 Jahren die Schafe und Ziegen von Hans-Dieter Wahl in den Naturschutzgebieten Teck und Eichhalde auf der Gemarkung von Bissingen vor. Ihre Stärke ist der sogenannte selektive Fraß, denn manche Pflanzen – besonders die bitter schmeckenden – würden sie stehen lassen, erklärt Esther Gerhards vom Landschaftserhaltungsverband (LEV) des Landkreises Esslingen. Dadurch könnten sich besondere Pflanzen, wie die Silberdistel, Orchideenarten oder auch der Thymian durchsetzen.

Zum Wohle des Thymian-Ameisenbläulings

Dass Letzterer dadurch so gut unter der Teck gedeiht, freut wiederum den Thymian-Ameisenbläuling, eine stark gefährdete und europaweit geschützte Schmetterlingsart. Denn dieser legt seine Eier in die Thymianblüten, wo diese zu Raupen heranreifen und von der Knotenameise heimgesucht werden. Aber nicht etwa, um diese zu fressen. Nein, aufgrund eines Täuschungsmanövers der Bläulingsraupe werden sie für die eigene Art gehalten und ins Ameisennest getragen. Dort ernähren sich wiederum die künftigen Schmetterlinge bis zu ihrer Verpuppung von der Ameisenbrut.

Doch nicht nur durch Beispiele wie dieses tragen die Schafe zur Erhaltung der Artenvielfalt auf und an der Schwäbischen Alb bei. Ihnen ist auch zu verdanken, dass so manches Pflänzchen heimisch wurde, das ursprünglich nicht dort sprießte. Denn die Vierbeiner tragen im Fell, in den Klauen und im Kot Samen weiter und verbreiten diese während ihres unermüdlichen Grasens nach dem Zufallsprinzip.

Der Landschaftserhaltungsverband setzt sich für Natura 2000 ein

So viel Arbeit macht natürlich durstig. Für seine 850 Schafe benötige er bis zu 5000 Liter Wasser täglich, berichtet Hans-Dieter Wahl. Das dafür bereit gestellte Tränkefass befülle er an einem Bach oder an einem Hydranten der Gemeinde Bissingen, von deren Seite „viel Verständnis“ für seine Arbeit aufgebracht werde.

Mit seinem Engagement setzt er sich nicht nur für den Bestand der Kulturlandschaft ein, sondern auch für die Pflege der aus Sicht von Naturschützern wertvollen Flächen. So machen sich die Ziegen von Hans-Dieter Wahl auch über hartnäckiges Gestrüpp her, welches die Flächen zu verbuschen droht. Allerdings müsse in diesen Bereichen dennoch „maschinell nachgearbeitet werden“, räumt Esther Gerhards ein.

Die Kernaufgabe des LEV ist die Umsetzung von Natura 2000, eines europäische Netzes zur Erhaltung bedrohter Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten. Im Auftrag des Landratsamtes und in Zusammenarbeit mit dem für Naturschutzgebiete zuständigen Regierungspräsidium Stuttgart schließt der Verband mit Schäfereien Bewirtschaftungs- und Pflegeverträge ab. Regelmäßig finden Weidebegehungen statt und es werden Probleme der Schäfer erörtert. Die gibt es Hans-Dieter Wahl zufolge durchaus. Durch die Herde rasende Mountainbiker oder nicht angeleinte Hunde, die die Schafe jagten, könnten dem Schäfer das Leben schon schwer machen, sagt er. Seiner Leidenschaft für die Schäferei könne das aber nichts anhaben: „Ich liebe diesen Beruf nach wie vor“, sagt Hans-Dieter Wahl aus tiefster Überzeugung.