Die Queen 1965 auf dem Fernsehturm Foto: dpa

Die Queen saß 1965 im Fernsehturm. Gorbatschow badete 1989 in der Menge und ließ über 200 Vips im Neuen Schloss warten: Das Stuttgart-Album erinnert an legendäre Staatsbesuche, die Zehntausende jubelnd auf die Straßen brachten.

Stuttgart - „Die Queen“, erinnert sich Paul Meyer, „kam in den 1960ern in der Rangordnung der Deutschen gleich nach dem lieben Gott.“ Auf dem Schlossplatz ist’s um ihn geschehen, notierte er auf der Facebook-Seite des Stuttgart-Albums – dort hat ihm die britische Regentin zugewunken. Natürlich nur ihm ganz persönlich.

Die Wahrnehmung von Ralph H. Schübel – beim Besuch von Königin Elisabeth II. und ihres Gemahls Prinz Philipp im Mai 1965 in Stuttgart stand er als Siebenjähriger am Straßenrand – war eine etwas andere: „Ich fand den 600er Pullmann zehnmal beeindruckender als den ganzen Rest.“

Noch heute scheint der Stoff der kuriosen Anekdoten endlos, für den der britische Staatsbesuch 20 Jahre nach Kriegsende gesorgt hat. Pannen, kleine Tricks und Improvisationen ranken sich um die Queen-Visite. Mehr als eine halbe Million Menschen, ist in den alten Zeitungen zu lesen, säumen die Straßen, als die damals 39-jährige Queen (sie trägt Gelb, natürlich mit Hut) in einem offenen Mercedes 600 Pullmann winkend durch das jubelnde Stuttgart fährt. Zu dieser Zeiten reisen die Königs mit dem Zug. Ministerpräsident Hans-Georg Kiesinger holt die royalen Gäste am Hauptbahnhof ab.

Es ist nicht gerade die feine englische Art, wie sich manche bis heute noch über den 24. Mai 1965 lustig machen. Der königliche Besuch war ein Besuch der Merkwürdigkeiten. Keiner weiß, ob sich alles so zugetragen hat, wie dies etliche Zeitzeugen, gern Protokollbeamte von einst, liebevoll ausschmücken.

Legenden, Lügen, Lästereien.

Die königlichen Fans steigen an diesem Montag auf Kiosk-Vordächer, Bäume und Telefonhäuschen, weil es kaum freie Plätze auf den Gehwegen entlang der Fahrstrecke gibt. Einfallsreichtum beweisen auch findige Rathausbeamte. Dass man frisch streicht, um einen guten Eindruck zu machen, ist nicht neu. Für die beliebte Monarchin wird sogar der Rasen angemalt. Um sich nicht mit dem spärlichen Graswuchs vor dem Fernsehturm zu blamieren, hilft die Stadt mit grüner Sprayfarbe nach. God save the green!

Auf dem Fernsehturm trägt sich die Regentin ins Goldene Buch der Stadt ein. Darin hat das Protokoll als Datum den 23. Mai notiert. Wohlgemerkt: Die Queen ist erst am 24. Mai gekommen. Wenig später gibt’s die nächste Panne. Als Prinz Philipp in einem offenen Mercedes 300 seiner vorausfahrenden Gattin folgen will, springt die Limousine nicht an. So muss der Herzog in einen geschlossenen Ersatzwagen umsteigen. Lästermäuler wollen beobachtet haben, wie er so ausgiebig mit dem elektrischen Fensterheber spielte, bis die Batterie leer war. Der Prinz beliebt zu scherzen. „Ist schon alles bezahlt?“, fragte er. Im Neuen Schloss ist sodann die Tafel angerichtet. Gut gesättigt winkt Elizabeth II. vom Balkon herab, ehe es nach Marbach ins Schillermuseum geht.

Der Rasen, das Datum, die Autopanne - und noch eine Anekdote gefällt uns bis heute. Wie es heißt, dachte die Königin, bekanntermaßen eine begeisterte Reiterin, man fahre sie ins Landesgestüt Marbach. Deshalb habe sie beim Rundgang durchs Schillernationalmuseum des anderen Marbach erstaunt gefragt: „Where are the horses?“ Wo sind die Pferde?

Die Queen war seitdem nicht mehr in Stuttgart. Sollte ihr Enkel mit seiner Kate und dem Baby eines Tages kommen, würden auch wir auf Bäume und Kioskdächer steigen. Manche Märchen sind zu schön, um sie zu verpassen. Pannen stören dabei keineswegs, ganz im Gegenteil. Sie machen die Majestäten menschlicher.

24 Jahre später hat erneut ein unbeschreiblicher Jubel die Stadt erfasst. Die Begeisterung gilt nicht einem gekrönten Haupt, aber einem Politiker, dessen Name zum Synonym der Hoffnung auf die deutsche Wiedervereinigung steht. „Gorbi, Gorbi!“, hallt es am 14. Juni 1989 durch Stuttgart. Der Besuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow und seiner Frau Raissa Gorbatschowa wird zu einem Triumphzug. Bei brütender Hitze harren 10 000 Menschen schon Stunden vor ihrer Ankunft auf dem Schlossplatz aus. Keiner der Protokollbeamten weiß, warum die 15-köpfige Motorrad-Eskorte unvermittelt weit vor dem Neuen Schloss bremst – geplant war der Halt erst am Brunnen des Ehrenhofes. Die Fotografen ahnen als Erstes, was geschehen ist. Sie rennen los. „Gorbi nimmt ein Bad in der Menge“, ruft einer hektisch. Ein Journalist nimmt ein Bad im Springbrunnen – im Getümmel ist er ins Wasser gestolpert. Der neue Volksheld lässt die 200 Vips im Marmorsaal des Neuen Schlosses warten.

Das „Stuttgart-Album“ ist als Buch im Silberburg-Verlag erschienen.