Fabian Rajtschan führt den Betrieb in Feuerbach in der siebten Generation. Er kümmert sich um den Wein, die Familie um den Besen „Dr’Emil“. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die Besengesetze waren früher streng. Ausgeschenkt wurde im Wohnzimmer, es gab einen Rotwein und einen Weißwein. Heute sieht das ganz anders aus.

Stuttgart - Der Reisigbesen ist das Zeichen, dass die Besenwirtschaft Dr’ Emil von Familie Rajtschan offen hat. Fabian Rajtschans zweijähriger Sohn braucht den Besen nicht als Hinweis: „Riecht nach Sauerkraut“, sagt er morgens, wenn er mit dem Papa über den Hof läuft. Der Sauerkrautgeruch erinnert bei Rajtschans noch an die alte Tradition – er schlägt einem entgegen, sobald man die Kellertür im Wohnhaus von Rajtschans Eltern aufmacht.

An einem Mittwochabend ist es im Keller brechendvoll. Rajtschan stellt kurzerhand neben der Garderobe noch ein Tischchen auf und zwei Hocker dazu. Im Emil wird niemand weggeschickt, nur weil gerade kein Platz mehr frei ist. Die älteren Herrschaften grüßen freundlich, untereinander kennen sie sich natürlich – wenngleich man sich nicht immer sofort erinnert. „Wolfgang, bisch du’s?“ fragt ein Herr einen neuen Gast. „I han die gar net kennt. Aber noch dem sechsta Viertele hab i au scho meine Augen zu.“

Unter zehn Viertele lief früher selten jemand aus dem Besen

Sechs Viertele am Abend, das gilt heutzutage als viel. „Früher ist hier keiner unter zehn Viertele raus“, erinnert sich Rajtschan. Das habe oft zu lustigen Ereignissen geführt: So habe einst eine Gruppe aus Südtirol ihre Instrumente ausgepackt und der halbe Besen dann zu deren Musik im Flur getanzt.

Heute geht es gemäßigter zu. Rajtschan: „Inzwischen kommen viele junge Leute. Auch bei ihnen ist die schwäbische Gemütlichkeit wieder in.“ Aber sie trinken nicht so viel. „Die teilen sich oft ein bis zwei Flaschen am Tisch“, sagt Rajtschan.

Er führt den Familienbetrieb jetzt in der siebten Generation. Anfangs war der Weinbau für die Familie noch ein Nebenerwerb. Vor etwa 30 Jahren haben sein Vater, der Opa und der Onkel die Besenwirtschaft Dr’ Emil, benannt nach dem Uropa, an der Schenkensteinstraße 20 eröffnet. „Dann hat es richtig an Fahrt aufgenommen“, sagt Rajtschan, der wie sein Sohn quasi in der Besenwirtschaft aufgewachsen ist. Als er den Betrieb nach seinem Weinbau-Studium übernommen hat, begann er, die Rebflächen der Familie zu vergrößern. Er kümmert sich nun um den Wein, die Familie um den Besen„Ich wollte den Besen neu interpretieren, nicht nur Vierteles-Wein machen, sondern hochwertige Weine“, sagt Rajtschan.

An der Qualität seiner Weine arbeite er permanent: Er reduziere den Ertrag, ernte zum optimalen Zeitpunkt. Sein Fokus liegt auf Cuvées: „Ich will aus einzelnen Weinen einen besseren herauskriegen.“ Inspirieren lassen hat sich der 33-Jährige während eines Studienaufenthaltes in Kalifornien.

Früher war die Besenwirtschaft im eigenen Wohnzimmer

Straßen- oder Besenwirtschaften sind eine jahrhundertealte Tradition in Weinbaugebieten. Den Weinbauern war es erlaubt, ihren selbst produzierten Wein auszuschenken – höchstens jedoch vier Monate im Jahr. Im Schwäbischen heißt es Besenwirtschaft, weil ein Reisigbesen an der Tür hängt, wenn geöffnet ist. Die Weinbauern haben einst ihre Wohnzimmer oder die Scheune freigeräumt, es gab meist nur einen Rotwein und einen Weißwein sowie einfache schwäbische Gerichte wie Sauerkraut.

Die Weinbauern nennen ihre Wirtshäuser heute nur noch aus folkloristischen Gründen Besen. Den Besentraditionen entsprechen sie oft nicht mehr, weil sie nicht mehr im Wohnzimmer ausschenken, sondern in hellen, geräumigen Gasträumen. Die Speisekarten sind größer geworden, die meisten haben viele Weine im Angebot.

Bei der Familie Schwarz in Untertürkheim an der Lindenfelsstraße 9 ) setzt ebenfalls der Nachwuchs auf gute Weine. „Wir haben uns weiterentwickelt“, sagt Stefanie Schwarz (29), die den Betrieb mit ihrem Bruder Ludwig (30) nun leitet. Sie hat wie Rajtschan in Geisenheim Weinbau studiert, war Weinkönigin und im Ausland unterwegs, bevor sie vor eineinhalb Jahren nach Untertürkheim zurückkam, um die Familientradition fortzusetzen. Sie ist die dritte Generation, der Opa hat in den 1970ern das Weingut umgebaut. Sie hat zuerst an der Weinqualität gearbeitet, das Weingut hat viele Preise gewonnen, die Rotwein-Cuvée Schwarzer Mann gilt als äußerst beliebt. Steffi Schwarz hat den Besen modernisiert und die Räume gestrichen. „Aber wir sind ein traditioneller Besen, haben keine Gaststättenkonzession und halten uns an das Besengesetz.“

Neben den Weinen gibt es einfache, schwäbische Gerichte

Auch bei der Speisekarte: Es gibt klassische, schwäbische Besengerichte wie Schlachtplatte, Käsebrot, Presswurst und Sauerkraut. Zweimal im Jahr ist für einige Wochen geöffnet, eng und laut geht es zu. „Die Gemütlichkeit muss man mögen“, sagt Stefanie Schwarz und lacht. „Aber viele Junge schätzen das wieder, weil man immer auch viele Leute kennenlernt.“

Seine Kinder hätten die Qualität „gepusht“, sagt Vater Markus Schwarz stolz. Sie hätten eine gute Ausbildung gemacht, er fördere sie. „Die sind längst besser wie ich.“ Er hält dafür die Gäste im Besen bei Laune, schaut, dass jeder irgendwo ein Plätzchen findet. „Sonst kommen die nemme“, sagt er.

Im Besen werkelt Markus Schwarz schon sein ganzes Leben. „Ich war schon immer involviert“, sagt der 55-Jährige. Als Kind habe er am Wochenende mit seinen Geschwistern morgens den Besen sauber gemacht. Nach der Schule ist er oft direkt in die Wirtschaft. Noch heute mache er den Besen „leidenschaftlich“ gerne. „Man muss den Beruf auch lieben, es ist sehr, sehr viel Arbeit.“

Das Besengesetz erlaubt keine Cola und keinen Kaffee

Wenngleich die Kinder frischen Wind reinbringen, ist der Vater in manchen Dingen strikt. „Keine Cola, kein Bier, kein Kaffee.“ Das passe nicht in eine Besenwirtschaft. Früher habe es nur Rot- und Weißwein gegeben, nicht einmal Sprudel.

Für Stammgäste mache er mal eine Ausnahme, sagt er und zeigt auf einen älteren griechischen Herrn am Tresen. Er sei vor zig Jahren mit seiner schwangeren Frau am Besen vorbeigelaufen, erzählt Schwarz. Weil sie das Sauerkraut gerochen haben, kehrten sie ein. „Seitdem kommt er immer zu uns.“ Und seitdem gibt es auch Ouzo im Besen.