Ditzinger Neujahrsempfang im Jahr 2011. Eine der wenigen Anlässe, zu denen sich der Ditzinger Ehrenbürger Berthold Leibinger – hier im Gespräch mit Oberbürgermeister Michael Makurath im Ort zeigte. Rechts im Bild Makuraths Amtsvorgänger Alfred Fögen im Gespräch mit Bürgermeister Ulrich Bahmer. Foto: factum/Archiv

Berthold Leibinger hat auf ganz unterschiedliche Weise Generationen im Strohgäu geprägt. Er war zugewandt. Doch es gab Situationen, in denen man am besten schwieg.

Strohgäu - Berthold Leibinger, im Unternehmen kurz LB genannt, war präsent, auch wenn er nicht anwesend war. Hätte der Trumpf-Chef auch so entschieden? Wenn nicht, ließ er es einen wissen. Dann folgte eine Reaktion, immer. Nie laut, nie vor versammelter Mannschaft, manchmal nur eine spitze Bemerkung. Die aber habe gesessen, erinnert sich Andreas Schneider, der langjährige Ausbildungsleiter.

Der Chef war streng, wenn Mitarbeiter gegen – bisweilen ungeschriebene – Gesetze wie die Kleiderordnung verstießen. Leibinger selbst trug stets Jackett und Krawatte, weißes Hemd und schwarze Schuhe. Entledigte sich eine Führungskraft ihres obligaten Jacketts, hatte dies auf dem Bügel zu hängen – niemals nur über dem Stuhl. Laut habe er ihn nie erlebt, sagt Andreas Schneider. Wenn Leibinger aber die Augenbrauen hochzog und sein Gegenüber von unten nach oben anschaute, widersprach man am besten nicht.

Persönliche Reaktionen machten ihn betroffen

Leibinger lebte in Gerlingen, im drei Kilometer entfernten Ditzingen hat sein Unternehmen seinen Sitz. Mit der Idee vom zweiten, nahe Trumpf gelegenen Autobahnanschluss, wurde der Unternehmer mehrfach bei den Bürgermeistern vorstellig. Wenngleich immer respektvoll im Umgang, verriet bisweilen seine nonverbale Reaktion, was er von der bürgermeisterlichen Skepsis hielt: Er bekam Schnappatmung. Komplett anders reagierte er, als eine Diplomarbeit rundweg durchfiel, die eine Verbindungsstraße von der Autobahn auf die Gerlinger Höhe untersuchte. Ebendort hin also, wo Leibinger lebte – der dazuhin die Diplomarbeit beauftragt hatte. „Die persönlichen Reaktionen machten ihn betroffen. Das hat ihn mehr berührt, als die fachlichen Argumente“, sagt der Gerlinger Bürgermeister Georg Brenner.

Sowohl Gerlingen als auch Ditzingen ehrten den Unternehmer mit hohen Auszeichnungen. Sollte dies ein Versuch gewesen sein, die Persönlichkeit stärker an sich zu binden, schlug er fehl. Für viele blieb Leibinger hier wie dort unnahbar. In seiner Kirchengemeinde indes war er häufig anzutreffen. Dort setzte er kulturelle Impulse, vermittelte Künstler und Redner.

Der alte Schraubstock ist noch gut genug

Mit seinem Blick für das Naheliegende prägte er Generationen. Vor allem natürlich bei Trumpf. „Er war Vorsitzender einer Familie, die Trumpf hieß“, sagt Schneider. Leibinger war der Patriarch – und eine große Respektsperson. Man zuckte zusammen, wenn der Chef kam. Der aber schüttelte jedem die Hand, auch jedem Lehrling.

Leibinger muss, so heißt es, ein fantastisches Namensgedächtnis gehabt haben. Er interessierte sich für seine Mitarbeiter, und es kam vor, dass er auch mal eine Krankenhausrechnung übernahm. „Hat er sein Blöckchen gezückt und etwas notiert, dann konnte man sicher sein, dass es eine Wirkung hatte“, weiß Schneider, der langjährige Ausbildungsleiter. Für viele blieb er deshalb auch der familiäre „Papa Trumpf“.

Berthold Leibinger, der sich selbst als Wirtschaftsbürger bezeichnete, trug mit und förderte, was er nachvollziehen konnte. Ein Schraubstock für ehedem 200 Mark musste nicht sein, wenn der alte durch Schmirgeln und Streichen wie neu aussehen konnte. Eine Maschine für 300 000 Mark aber war keine Diskussion wert, wenn sie für die moderne Ausbildung erforderlich war. Andreas Schneider formuliert es so: „Er musste es verstehen und es musste in seinen Wertekanon passen.“

War beides gegeben, dann brachte sich Berthold Leibinger auch im Ort ein. Die Ditzinger Initiative „Gegen Vergessen – für Demokratie “ etwa ging auf ihn zurück. Deren Anliegen war es 2001, jüngeren Generationen die Prinzipien rechtsstaatlicher Demokratie zu vermitteln. Vier Jahre später las Leibinger im Auditorium seiner Firma 200 Gästen aus Eduard Mörikes Werken vor. Mit dem Erlös der städtischen Veranstaltung sollte eine Kinderliteraturwoche finanziert werden.

Abschied im engsten Kreis

Leibinger war offen für Neues, außerhalb und innerhalb des Unternehmens. Das Handwerk aber musste gelernt sein. Auch wenn einem Mitarbeiter etwa das bloße Feilen „zu wenig kreativ, zu wenig inspirierend“ war, hatte er die Grundlagen zu beherrschen. Leibinger wollte „hochausgebildete Facharbeiter mit hoher Ethik“, sagt Schneider. Für den Ausbildungsleiter bedeutete dies „aus den Passendsten die besten auszuwählen“. Dass man Azubis nicht mehr nach den Schulnoten auswählte, hatte darin seinen Grund. „Das war keine Sozialromantik“, sagt Schneider. Leibinger war schließlich auch Mitbegründer der Wissensfabrik, jenem Netzwerk von mehr als 140 Unternehmen, das Kinder und Jugendliche fördert. In diesem Fall Schüler der Theodor-Heuglin-Schule, mit der Trumpf eine Kooperation einging.

Leibinger wusste, wer er war, aber er sei immer wohlmeinend und verlässlich gewesen, hat Andreas Schneider gelernt. Der Chef war humorvoll, doch das laute Lachen war nicht seins, das Lachen über andere schon gar nicht, vielmehr das Schmunzeln, die Ironie, der bissige Humor. Doch „wenn er das Gesamtsystem gefährdet sah, hatte der Spaß ein Ende“. Da gab es keine Toleranz. Doch auch dann blieb der im Glauben verwurzelte Unternehmer den Werten eines Christenmenschen treu.

So wie Leibinger Trumpf schützte, schützte er seine eigene Familie. Auch als später zwei seiner Kinder ins Unternehmen einstiegen, blieb sie sein Rückzugsort. Im engsten Familienkreis wurde Leibinger, der im Oktober mit 87 Jahren gestorben ist, beerdigt. An diesem Montag nun wird es eine Trauerfeier für geladene Gäste geben.