Schon vorsichtige Sondierungen gab es in der Berliner Runde. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Man sei doch nicht auf dem „Basar“, meinte Annalena Baerbock bei der „Berliner Runde“ von ARD und ZDF. Trotzdem begannen die Spitzenpolitiker mit einem interessanten Koalitionsgefeilsche.

Stuttgart - Schon bemerkenswert, wie CSU-Chef Markus Söder nie das Sticheln gegen den Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet lassen kann. Subkutan kommt es immer wieder, gleich zu Anfang der 60-minütigen Berliner Runde von ARD und ZDF am Wahlabend mit allen Spitzenkandidaten oder Parteichefs. Da hatte Laschet – der ja auch aus Position zwei noch aufs Kanzleramt schielt – gerade ausführlich dargelegt, dass der Kanzler „aus der Mitte des Bundestages“ gewählt werde; in der jetzigen Situation schaffe das keine Partei allein und es sei schon mehrfach passiert, dass nicht die Nummer eins der Parteien den Kanzler gestellt habe – so sei die Verfassungslage.

Söder stichelt wieder gegen Laschet

Und was sagt Söder gleich darauf? Es gehe jetzt noch um einige Prozentpunkte hin und her, man wisse noch nicht, ob sich das mit Platz zwei verstetige, aber es komme ja darauf an, „wem die Deutschen die Regierungsverantwortung anvertrauen“. Die Deutschen also, nicht der Bundestag – ein feiner, aber glasklarer Dissens zu Laschets Äußerungen. Auch später, als es um die starken Verluste der CSU ging und Markus Söder gefragt wurde, ob es vielleicht ein Fehler gewesen sei, dass er, Söder, „ so lange gegen Armin Laschet gekämpft“ habe – machte sich der CSU-Vorsitzende gar nicht die Mühe, dies zu dementieren. „Unser Ergebnis ist nicht ausreichend“, antwortete Söder. Schuld seien auch die Freien Wähler, die stark gepunktet hätten im bürgerlichen Lager und mit „dem Armin“ habe man gemeinsam das Tempo gemacht und eine guten Schlussspurt hingelegt. Den „Lacher“ von Laschet musste er an anderer Stelle aber auch noch einmal erwähnen.

Lindner startet den Flirt

Das wirklich Bemerkenswerte an der Sendung war aber, wie teilweise schon kräftig sondiert wurde. Allen voran zwischen Grünen, FDP und CDU. Wobei es FDP-Chef Christian Lindner war, der mit einem charmanten Augenaufschlag einen kleinen Flirt mit den Grünen begann. Es sei doch so, dass der nächste Kanzler auf jeden Fall „von 75 Prozent der Deutschen“ nicht gewählt worden sei, und in dieser Lage sei es sinnvoll, dass FDP und Grüne zuerst gemeinsame Gespräche führten. Auch hoffe er, dass die CDU mit den Grünen nicht so verfahre, wie 2017 die Union mit der FDP, als Jamaika misslang, sondern fairer umgehe.

Erst Gespräche zwischen Grünen und FDP

Im Übrigen werde die nächste Regierung „sehr viel ökologischer sein“ als bisher. Das hat dann gereicht an Avancen. Auf die Idee mit den bilateralen Gesprächen reagierte Annalena Baerbock (Grüne) mit sofortiger Zustimmung: Sie habe nie die frühere Logik verstanden, dass einer – also die politische stärkste Kraft – alle anderen anrufe. Zwar bestritten Lindner und Baerbock, dass sie jetzt schon inhaltlich diskutieren. „Ich bin überfordert, wenn ich in einer Fernsehsendung live Koalitionsgespräche führen soll“, sagte Lindner auf die Frage, welche Abstriche er bei einem Bündnis mit einem „ungeliebten Partner“ machen würde. Und Baerbock meinte, man sei hier nicht auf dem „Basar“.

Und dennoch schimmerte da ein Konsens beim Klimaschutz durch, als Lindner „ein Angebot“ darlegte, und zwar „Superabschreibungen für den Klimaschutz“, die eine Modernisierungswelle in der Industrie auslösen. Bei Baerbock fiel das auf fruchtbaren Boden, sie sagte, dass es ihr letztlich egal sei, ob die Klimaziele über eine Solardachpflicht erreicht werden. Wenn „eine andere Partei“ das mit einem „Solarsonderausschreibungsprogramm“ schaffe, dann sei das auch in Ordnung. „Es geht doch nicht um die Mittel, sondern das Erreichen von Zielen.“ Auch beim FDP-Lieblingsthema Schuldenbremse lenkte Baerbock ein, die Schuldenbremse sei doch akzeptiert, man wolle sie nur erweitern durch eine Investitionsregel.

Laschet hängt sich dran

Während SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei dieser Anbahnung passiver Zuschauer war, versuchte sich Armin Laschet sozusagen „dranzuhängen“. Gefragt, ob da Frau Baerbock nicht schon ein Mini-Regierungsprogramm entworfen habe, sagt Laschet: „Ja, das ist sehr hilfreich.“ Man brauche einen „echten Neufang“ und das gehe, wenn man verschiedene Strömungen versöhne: „Das bringt einen neuen Schub.“

Olaf Scholz umwirbt FDP

Um Olaf Scholz wurde es da relativ einsam. Er sieht den Regierungsauftrag klar bei sich, und stellte schon mal drei Postulate für seine Koalition auf: Jeder Partner müsse sich darin wiederfinden, sie müsse einen „realen Fortschritt für das Land bringen“ – beispielsweise eine industrielle Modernisierung. Und sie müsse drittens den „Klimawandel aufhalten“. Und das gehe übrigens auch über privatwirtschaftliche Investitionen, „dazu braucht man gar keine öffentliche Gelder“. Das zumindest war ein Flirtversuch mit der FDP. Dass bei Scholz das Klima nur auf Platz drei rangiert, muss für Baerbock jedoch ein Nasenstüber gewesen sein – die nächste Regierung müsse eine „Klimaregierung“ sein, hatte die Grüne kurz zuvor postuliert.

Alice Weidel erkennt keine Niederlage

Sowohl AfD als auch Linkspartei haben Verluste hinnehmen müssen – und die Vertreterinnen von beiden Parteien erklärten dies auf höchst unterschiedliche Art und Weise. Alice Weidel von der AfD, sagte, man sei „sehr zufrieden mit dem Ergebnis“. Dass die AfD eine Eintagsfliege sei und wieder aus dem Bundestag verschwinde, das sei widerlegt worden. Bei der jetzigen Wahl habe es einen „Sondereffekt“ durch die Freien Wähler gegeben – „die sind in unserem Fahrwasser gesegelt“. Würde man das Wahlergebnis von diesem Effekt bereinigen, hätte die AfD sogar noch zugelegt im Vergleich zu 2017. Sie sei eine „erfolgreiche Fraktionsvorsitzende“ gewesen und wolle wieder kandidieren, so Weidel.

Linke mit Glaubwürdigkeitsproblem?

Selbstkritischer waren da die Worte von Susanne Henning-Wellsow, der Linkspartei-Chefin. Die Linke habe darauf aufmerksam gemacht, dass nach 16 Jahren Merkel-Regierung Millionen Menschen in Deutschland in beengten Wohnverhältnissen lebten, keinen Urlaub machen könnten und 40 Prozent nur für die Miete ausgeben: „Es ist möglich, dass die Wähler und Wählerinnen uns nicht glauben, dass wir unsere Politik auch durchsetzen können.“ Von der sich anbahnenden Mitte-Regierung erwartet Henning-Wellsow keine Lösung der Probleme, die sei aber wichtig: „Es geht doch nicht darum, dass Laschet Spaß am Regieren hat.“