Ganz alte Hasen schauen einem alten Hasen dabei zu, wie er auf absurde Weise versucht, das Richtige zu tun: Michael Lonsdale und Max von Sydow in „Les premiers, les derniers“ Foto: Berlinale

Die Berlinale ist ein Festival der Frauen und auch eines des frankofonen Kinos, das gallische Weltsicht und Lebensart ins Programm einspeist. Bravourös gelingt das Isabelle Huppert (62), die in „L’avenir“ Szenen aus dem Leben einer starken Frau spielt.

Berlin – In der internationalen Jury sind vier Frauen und drei Männer – die Berlinale sei in Sachen Gleichberechtigung „ahead of the game“, „der Konkurrenz voraus“, befand Jury-Präsidentin Meryl Streep gleich am ersten Tag.

Nun hat Isabelle Huppert Eindruck hinterlassen in „L‘avenir“ („Was kommt“), einem Film der französischen Filmemacherin Mia Hansen-Løve, deren Großvater Däne war. Mit Leib, Geist und Seele erfüllt Huppert die Philosophie-Lehrerin Nathalie zu schillerndem Leben in typischen Situationen, mit denen eine Frau ihrer Altersklasse konfrontiert wird: Der Gatte verlässt sie für eine Jüngere, die adoleszenten Marketing-Besserwisser beim Verlages interessieren sich mehr für schreiende Umschläge als für komplexe Inhalte, ihre gebrechliche Mutter buhlt ständig mit drastischen Mitteln um Aufmerksamkeit, und ein ehemaliger Schüler macht ihr Komplimente.

Huppert gibt Nathalie als resolute Selbstbestimmte, die Schicksalsschläge tapfer wegsteckt und sich nicht beirren lässt. Nur kurz weint sie leise im Bus, als die Gesamtsituation sie dann doch überwältigt – und es ist eine große Qualität des Films, dass ihr Schmerz nicht ausgetreten und im Dialog erklärt werden muss wie in deutschen TV-Schmonzetten.

Die Kamera umschmeichelt die scheinbar alterslose Huppert

„Ich habe das so nicht erlebt, aber die Gefühle der Hauptfigur sind mir sehr nah“, sagt Huppert vor der Presse. „Das ist ein Lebensabschnitt voller Umbrüche, Misserfolge, Trennungen. Ältere intellektuelle Frauen werden im Kino kaum dargestellt, und sie hat diese innere Kraft, diesen Selbsterhaltungstrieb, Situationen mit Entschlossenheit durchzustehen – das hat mir gefallen.“

Die Kamera umschmeichelt das scheinbar alterslose Energiebündel Huppert, ist immer ganz bei ihr, und das ist so gewollt: „Isabelle war von Anfang an dabei“, sagt Hansen-Løve. „Ich hätte das Drehbuch nicht schreiben können ohne sie. Sie strahlt diese Intelligenz aus und hat einen guten Humor, das war wichtig, um die Rolle zu entwickeln.“ Und wieso eine Philosophielehrerin? „Das ist autobiografisch“, sagt die Regisseurin. „Meine Eltern waren beide Philosophen, ich bin in einer Art Märchenwelt aufgewachsen, umgeben von Büchern.“

Und so folgen die Zuschauer dieser kein bisschen langweiligen Frau durch ihren sehr französischen Alltag, in dem wenig Spektakuläres, aber allerhand sehr menschliches passiert. „Die Antworten findet man in solchen Krisensituationen in sich selbst“, sagt Huppert – „das ist die Botschaft des Films.“

Das Leben geht ja immer weiter

„C’est la vie“ könnte man auch sagen, so ist das Leben eben. DIeses Motto passt auch zum zweiten französischen Beitrag im Wettbewerb: In „Quand on a 17 ans“ („Mit 17“) bekämpfen sich zwei Halbstarke zunächst bis aufs Blut, weil sie Angst vor dem haben, was die Alternative sein könnte – denn beide sind, noch insgeheim, schwul.

Ein Füllhorn an Themen packt André Techiné in seinen Film. Tom, afrikanischstämmiges Adoptivkind von Bergbauern, packt der Horror, als seine Ziehmutter unverhofft doch noch schwanger wird; Damiens Mutter ist eine sympathische Ärztin (ausdrucksstark: Sandrine Kiberlain), die den Halt verliert, als der Vater, Hubschrauberpilot im Kriegseinsatz, im Gefahr gerät.

Ein, zwei Nebenstränge weniger hätten der Geschichte gutgetan, denn die beiden jugendlichen Hauptdarsteller spielen ihre nicht ganz einfachen Rollen gut. Am Ende raufen sich alle zusammen – das Leben geht ja immer weiter, besser also, man genießt es.

Zwei Söldner kommen ins Grübeln

Eine wohltuende andere Facette des frankofonen Kinos war am Sonntag außerhalb des Wettbewerbs in der Berlinale-Reihe Panorama zu sehen: Der belgische Schauspieler und Regisseur Bouli Lanners hat ein groteskes Road-Movie inszeniert, das bestens in sein Œuvre passt. 2008 war er in der absurden Komödie „Louise Hired A Contract Killer“ von Gustave Kervern und Benoît Delépine zu sehen als Möchtegern-Auftragskiller, der den Chef einer Textilfabrik umbringen soll, weil er alle Arbeiterinnen auf die Straße gesetzt hat. Im selben Jahr inszenierte er selbst das Road-Movie „Eldorado“, in dem er als Autoverkäufer mit einem Drogenabhängigen loszieht, ihre zerbrochenen Leben zu kitten.

„Les premiers, les derniers“ nun handelt von zwei Söldnern (Lanners und Albert Dupontel) mit kleinem Hund, der nostalgisch „Gibus“ heißt wie zwei Brüder im Abenteuerfilm „Krieg der Knöpfe“ (1962). Sie sollen das Handy eines Gangsters wiederbeschaffen. Das hat der minderbemittelte Willy, der mit seiner ebenso minderbemittelten Liebsten Esther deren Tochter sucht, die ihr vor langer Zeit entzogen wurde. Bald nehmen andere, halbdebile Gangster das Handy an sich, auf dem Videos böser Gewaltexzesse gespeichert sind – ein Bandenkrieg droht.

„Gott in Frankreich“ stellt man sich anders vor

Die Protagonisten indes kommen ins Grübeln, unterstützt von Michael Lonsdale und Max von Sydow in grandiosen Auftritten als ganz alte Hasen, die schon alles gesehen haben. Nur ein abgehalfterter Jesus, zurückgekehrt, um zu helfen, müht sich vergeblich: „Ich tue, was ich kann“, sagt er resigniert in Gestalt von Philippe Rebbot.

„Gott in Frankreich“ stellt man sich anders vor, zumal der Film wie alle diese irrwitzigen französischen Tragikomödien an Unorten spielt: nichtssagende Gegenden, durchsetzt von wüsten Gewerbebauten und Ruinen. Auch hier gibt es Schönheit, doch sie wohnt innen – und die, die sie finden, wissen am Ende, was wirklich wichtig ist im Leben.