Ein Kunde bei der Videoberatung in Ludwigsburg Foto: factum/Simon Granville

Die Bahn startet am Ludwigsburger Bahnhof ein neues Angebot: Reiseberatung am Bildschirm. Trotzdem gibt es weiterhin echte Menschen am Schalter. In Korntal oder Marbach ist das anders, und deshalb hagelt es Kritik.

Ludwigsburg - Mehr Service, längere Öffnungszeiten, alles besser, alles neu – wenn ein Unternehmen ein Produkt auf den Markt bringt, begleitet es diesen Schritt in aller Regel mit reichlich Eigenwerbung. Die Deutsche Bahn macht da keine Ausnahme. Am Montag hat das Unternehmen am Ludwigsburger Bahnhof mit dem „videobasierten Verkauf von Fahrkarten“ begonnen. Im Reisezentrum gibt es dafür jetzt einen separaten Raum mit Bildschirmen, Mikrofon, Lautsprechern und Bezahlterminal.

Das Prinzip: Sobald der Kunde den entsprechenden Knopf drückt, erscheint ein Reiseberater auf dem Bildschirm – und macht genau das Gleiche wie die physisch anwesenden Mitarbeiter im Reisezentrum nebenan, das heißt: Er hilft beim Fahrkartenkauf. Noch ist die Bahn in Ludwigsburg in der Testphase, aber bereits im Januar wird der Regelbetrieb beginnen – mit verlängerten Öffnungszeiten.

Die Kunden profitieren von längeren Öffnungszeiten

Vor allem diesen Aspekt stellt das Unternehmen in den Mittelpunkt, wenn es das neue Angebot anpreist. „Die Kunden profitieren, weil wir damit weit großzügigere Beratungszeiten anbieten können als in einem herkömmlichen Reisezentrum“, sagt der Bahnsprecher Reinhold Willing.

Tatsächlich sind in Ludwigsburg keine Proteste gegen das Video-Reisezentrum zu erwarten. Hier handelt es sich um ein ergänzendes Angebot. Wer will, kann seine Fahrkarte auch in Zukunft am Automat kaufen, am Schalter oder eben beim Video-Berater. In anderen Städten sind die Videoterminals bereits im Einsatz Die Resonanz, so Willing, sei positiv.

In Korntal und Marbach wird das Reisezentrum dicht gemacht

In der Region Stuttgart wird das System in Ludwigsburg, Leonberg, Waiblingen und Böblingen getestet. Außerdem in Marbach und in Korntal, dort aber unter völlig anderen Umständen: nicht als Ergänzung, sondern als Ersatz für die regulären Reisezentren. Vor allem in Korntal gibt es Protest. Eine Lehrerin startete eine Petition. Für den Sozialverband VdK ist es schlicht ein „Affront gegen ältere und behinderte Menschen, die Stelle des kompetenten, empathischen und geduldigen Schalterbeamten durch eine technische Lösung zu ersetzen“.

Die Bahn betont, dass es bei dem Projekt „nicht um Personaleinsparung, sondern um eine andere Art des Verkaufs“ gehe. Gleichwohl weiß das Unternehmen um die Vorbehalte. Man werde die Akzeptanz an den einzelnen Standorten natürlich überprüfen, sagt Willing. Soll heißen: Wenn es nicht läuft, könnte man die Uhr wieder zurückdrehen und erneut ein reguläres Reisezentrum eröffnen.

Der Fahrgastverband Pro Bahn lobt das Projekt

Realistisch ist das nicht. Die Bahn setzt vielmehr darauf, dass mittelfristig auch ältere Menschen ihre Scheu ablegen, die Videoberatung testen und sich überzeugen lassen. „Noch hatten die Menschen in Korntal ja gar keine Chance, das auszuprobieren“, sagt Willing. Das werde sich jetzt ändern. Vermutlich noch in dieser Woche, der genaue Tag steht noch nicht fest, startet auch dort der Testbetrieb. Dann werden, hofft Willing, die Kunden merken, „dass die Videoberatung die gleiche Intensität hat wie am Schalter. Schließlich werden die Kunden in beiden Fällen von Menschen und nicht von Maschinen beraten.“

Der Verband Region Stuttgart hatte, als Aufgabenträger der S-Bahn, die Einführung der Video-Reisezentren im Juni 2019 beschlossen. Der Fahrgastverband Pro Bahn hat ebenfalls keine Einwände gegen die Videoterminals. Auch bei Banken gebe es immer weniger Schalter und immer mehr Automaten, erklärte ein Sprecher.

Das Ludwigsburger Terminal wird im Testbetrieb bis Ende Dezember von Montag bis Freitag von 7.30 bis 19.30 Uhr und am Samstag von 8 bis 18 Uhr geöffnet sein. Anschließend werden die Zeiten ausgedehnt auf Montag bis Freitag von 6 Uhr bis 19.30 Uhr und am Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 8 Uhr bis 18 Uhr.