Überflieger Markus Rehm: Sein Sprung zu DM-Gold hat in der deutschen Leichtathletik eine emotionale Diskussion entfacht Foto: dpa

Der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm will akzeptieren, dass wieder unterschieden wird zwischen Behinderten und Nichtbehinderten. So gelassen wie der Betroffene fassen die Entscheidung des Leichtathletik-Verbandes nicht alle auf.

Stuttgart - Enttäuschend, absurd, nicht nachvollziehbar – im deutschen Sport ist ein Streit ums richtige Miteinander entbrannt. Der Tenor der Behindertensportverbände ist dabei eindeutig. „Hier wurde die Chance nicht genutzt, eine Problematik abschließend zu analysieren“, sagt Thomas Nuss, Geschäftsführer des Württembergischen Behinderten- und Rehabilitationssportverband (WBRS): „Es ist enttäuschend.“ Sein Funktionärskollege Karl Quade, Vizepräsident Leistungssport beim Deutschen Behindertensportverband (DBS), wird noch deutlicher: „Die beschlossene Exklusion von Sportlern mit Behinderung bedaure ich“, ließ er auf der Homepage des DBS verlauten.

Der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm wurde im Juli als erster Behindertensportler deutscher Meister bei den Nichtbehinderten. Bis heute ist jedoch nicht geklärt, ob er einen Vorteil durch seine Karbon-Prothese hatte. Seinen Titel darf er behalten, aber nicht verteidigen. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat beschlossen, dass ab 2015 behinderte und nichtbehinderte Sportler zwar gemeinsam starten können, aber getrennt bewertet werden.

„Es ist für mich unverständlich, wie das Wort Inklusion über diese Entscheidungen gesetzt werden kann, wenn die Regel ganz deutlich den Menschen mit Behinderung anders ‚wertet‘“, meint Quade und ergänzt: „Dass der Weitsprung eines Menschen mit einer Behinderung wie bei Markus Rehm untersucht werden muss, um abschließend eine Entscheidung über die Wertung zu treffen, ist unbestritten. Aber ohne Not eine allgemeine Ausgrenzung-Regel aufzustellen ist für mich nicht nachvollziehbar.“

Nur einer bleibt bei der Sache gelassen: Markus Rehm selbst. „Wir paralympische Athleten wollen, dass unsere Leistungen anerkannt werden. Aber wir wollen sie auch fair erbringen und nicht durch irgendeinen Vorteil gewinnen. Solange das noch nicht richtig feststeht, sollten wir die Wertung auch akzeptieren“, sagt der Weitspringer.

Untersuchungen über Vor- und Nachteile sind nicht einfach. Rehm läuft langsamer an als seine Kollegen und hat dadurch einen Nachteil. Beim Absprung aber kann er von der Prothese profitieren. Inwieweit sich das ausgleicht, ist kaum festzustellen. „Bei der DM in Ulm hätte man entsprechende Untersuchungen anstellen können“, sagt Nuss.

Und dennoch wären auch dann nicht alle Diskussionen vom Tisch gewesen. „Die Leistungen von Markus Rehm sind herausragend, aber völlig andere als die von Nichtbehinderten“, sagt Helmut Digel, Mitglied des Councils des Internationalen Leichtathletik-Weltverbands IAAF und Ehrenpräsident des DLV. Weitspringen mit und ohne Prothese sei etwas gänzlich anderes. Es seien zwei verschiedene Sportarten – egal, was etwaige Untersuchungen ergeben. Aus diesem Grund heißt er es gut, dass der DLV eine Entscheidung getroffen hat. „In der Vergangenheit haben die Verbände erhebliche Fehler gemacht. Sie haben sich vor einer Entscheidung gedrückt“, sagt Digel und fährt fort: „Dabei geht es auch nicht um Inklusion. Der Sport ist offen für alle, aber im Wettkampf geht es um Regeln, und im Behindertensport gelten andere als bei Nichtbehinderten.“

In Deutschland scheint das Thema erst mal vom Tisch, Rehm akzeptiert die Entscheidung, andere Athleten, die mit Prothese gute Leistungen bringen, sind nicht in Sicht. Doch irgendwann wird es wieder einen geben. Und dann, meint Rainer Bischoff, sportpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion des nordrhein-westfälischen Landtags, seien Klagen möglich: „Die Entscheidung ist absurd. Es ist doch völlig klar, dass der nächste Sportler mit Behinderung mit entsprechender Leistung vor Gericht klagen wird, als deutscher Meister mit und ohne Behinderung anerkannt zu werden“, sagt er. Der Streit um das richtige Miteinander würde spätestens dann in die nächste Runde gehen.