Luis Häcker beim Kugelstoßen vom Wurfstuhl: Besser als nur rumzuhocken Foto: Baumann

Luis Häcker, 19, sitzt im Rollstuhl. Meistens jedenfalls. Manchmal geht oder rennt er auch. Möglich macht das der Sport. Er stärkt die Muskeln. Und das Selbstbewusstsein.

Kernen i. R. - Luis Häcker spannt die Muskeln, pumpt die Backen auf und stößt den Arm mit Wucht nach vorn. Sein Blick folgt der Kugel. Sein Gesicht erklärt die Weite: Der junge Mann rollt mit den Augen, zieht die Mundwinkel nach unten und zischt: „Shit!“ Thomas Strohm, 68, sein Trainer, ruft: „Junge, das kannst du aber besser.“ In Metern ausgedrückt: 5,56. Das ist seine Bestweite. Damit gewinnt er zwar keine Medaille bei den Paralympics, er darf sich auch nicht als Weltmeister feiern lassen. Aber für ein paar regionale und nationale Meistertitel bei den Junioren hat es schon gereicht.

Und für den Ruf als Sportskanone.

Es gibt Grenzen

„Früher“, sagt Peter Strohm, „hat er trainiert wie ein Irrer.“ Kugelstoßen, Diskus werfen, Speerwurf. Alles was er als Rollstuhlfahrer im Wurfstuhl eben so machen kann. Irgendwann ist Luis Häcker dann an seine Grenzen gestoßen. Die Schnelligkeit seiner Bewegungen reichte nicht aus für die ganz großen Weiten. Jetzt trainiert er noch zwei-, dreimal pro Woche im Stadion in Rommelshausen. Ab und zu fährt er zu Wettkämpfen. Behindertklasse 34, mit eingeschränkter Beinfunktion. Er blickt so entschlossen über den Rand seiner Brille, als müsse er jeden Zweifel zerstreuen. Er versichert: „Ich gebe immer mein Bestes.“

Mehr Lebensqualität durch Sport

Luis Häcker kam acht Wochen zu früh zur Welt. Ein Aneurysma, eine arterielle Aussackung im Gehirn, wurde drei Tage nach seiner Geburt operiert. Die Blutung verursachte Lähmungen. Zwei Drittel seines Tages verbringt er im Rollstuhl. Dass daraus nicht noch mehr geworden ist, verdankt er dem Sport. Peter Strohm, Landestrainer im Württembergischen Behinderten- und Rehabilitationssportverband (WBRS), erinnert sich, dass Luis sich anfags immer irgendwo festklammern wollte, wenn er mal raus musste aus seinem Rolli. „Wir haben ihn dann auftrainiert.“ Er führt beide Hände nach oben und feuert ihn an: „Auf geht’s Luis, raus aus dem Rollstuhl.“ Und: „Lauf Luis, lauf.“

Wer ihn gehen oder sogar rennen sieht, stellt zwangsläufig die Frage: Okay, alles ein bisschen holprig. Aber warum sitzt der Bursche überhaupt im Rollstuhl? „Mit Sport kann man die Lebensqualität von Behinderten deutlich erhöhen“, erklärt Peter Strohm. Wunder bewirkt er trotzdem nicht. Luis’ Muskulatur ermüdet ziemlich schnell.

„Manchmal“, sagt Luis Häcker und senkt die Stimme, „fände ich es schon gut, wenn ich nicht behindert wäre.“ Andererseits: Man kann viel von dem jungen Mann aus Großheppach lernen. Zum Beispiel, dass man wegen einer Behinderung sein Leben nicht kleiner machen muss als es ist. Er hat die Grundschule besucht, die Realschule gemeistert und eine Ausbildung zum Verwaltungswirt abgeschlossen. Im Rathaus Weinstadt hat er einen Job bekommen. Er legt den Diskus beiseite und sagt: „Meine Eltern haben mir mein Leben so normal wie möglich gemacht.“

Der Hallensprecher

Was bedeutet: Er zieht mit Freunden nachts auch mal um die Häuser, er ist Stammgast in der Ludwigsburger Rockfabrik und ruft einen Kumpel mit dem Handy um Hilfe, wenn er im Rolli aus der Kurve fliegt und im Dornenbusch landet. Nur die Moshpit, die wilde Rempelei, beim Rockfestival in Österreich, war keine gute Idee. „Da kommst du mit dem Rolli lieber nicht rein“, sagt Luis Häcker lachend und tippt mit dem Zeigefinger auf seine Nase. „Da habe ich voll was vors Brett bekommen Und ein paar Leutchen haben sich über meinen Rollstuhl gelegt.“

Verletzungspausen kann sich Luis Häcker eigentlich gar nicht erlauben. Er ist Hallensprecher bei den Handballern der SG Weinstadt. Und in dieser Rolle mehr oder weniger unverzichtbar. Er redet schneller als einst Dieter Thomas Heck und er klopft Sprüche wie Thomas Gottschalk. „Die Jungs brauchen das“, sagt Luis Häcker, „die Luft in der Halle muss bei jedem Heimspiel brennen.“ Neulich kamen die Männer zum Gegenbesuch. 15 SG-Handballer als Häcker-Groupies beim Leichtathletik-Wettkampf. Da flogen Kugel, Diskus oder Speer gleich ein paar Zentimeter weiter.

So schön kann Sport sein.

Lachen, leben, lieben

„Diese Freundschaften“, sagt Luis Häcker, „geben mir unheimlich viel.“ Er deutet auf das Tattoo auf seinem Oberarm – mit drei Rosen und drei Zitaten: „Lache jeden Tag. Lebe jeden Moment. Liebe ohne Grenzen.“ Es gibt ein kurzes Video von den SG-Handballern. Kurz nachdem ihr Aufstieg perfekt war. Luis Häcker rennt vor Begeisterung quer durch die Halle. Direkt in die Traube jubelnder Männer. Ach ja, sein Rollstuhl. Den hatte er total vergessen. Lauf Luis, lauf!