Die Sozialarbeiter: Daniel Metz, Jörg Reinhardt, Andreas Kirchner. (von links) Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Es wird ihre erste Dienstreise werden. Die Sozialarbeiter des neuen Fanprojekts fahren nach Hamburg. Beim ersten Spiel des VfB in der Rückrunde der zweiten Liga beim FC St.Pauli werden sie sich den Fans zeigen.

Stuttgart - Es gibt dann doch nur einen Eingang. Zu gerne hätte der Trägerverein des Fanprojekts, gegründet von Stadtjugendring und Sportkreisjugend, ein besonderes Büro gehabt, eines mit zwei Eingängen. Eine rote und eine blaue Tür. Eine für Kickers-Anhänger, eine für VfB-Fans. Sie werden es verkraften, dass sie über die gleiche Türschwelle treten müssen, um in die Räume des Fanprojekts in der ehemaligen Bäckerei Schmälzle in der Hauptstätter Straße zu kommen. Schließlich haben sie vereint gestritten für dieses Fanprojekt, dass nach langer Blockade des Gemeinderats auch in Stuttgart angekommen ist. Ein Besuch und ein Ausblick.

Das rote Team: Jörg Reinhardt (29) ist Sozialpädagoge. Der gebürtige Ludwigsburger hat zuletzt für die Stadt Stuttgart gearbeitet. Er war in der Flüchtlingshilfe und in der Kinder- und Jugendhilfe tätig. Der VfB ist für ihn „eine Herzenssache“, er hat eine Dauerkarte für die Cannstatter Kurve. Stehplatz selbstverständlich. Andreas Kirchner (25) stammt aus Thüringen. Er war öfters in der Stadt, um Verwandte zu besuchen. das führte dazu, dass er an der Dualen Hochschule Sozialarbeit studierte, in Backnang (Rems-Murr-Kreis) als Sozialarbeiter tätig war – und zum in der Wolle gefärbten VfB-Fan wurde. Er hat nicht nur eine Dauerkarte für die Mercedes-Benz-Arena, sondern ist auch bei jedem Auswärtsspiel – bisher privat, nun in dienstlichem Auftrag.

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Das blaue Team: Daniel Metz (35) ist bisher Einzelkämpfer. Sein Kompagnon wird noch gesucht. Er kommt aus Waiblingen, hat in Siegen studiert und dort gearbeitet. Zuletzt war er in der Paulinenpflege in Winnenden tätig. Seine Diplomarbeit hat er über Fanarbeit geschrieben. Und er war bisher auch schon öfters im Gazi-Stadion anzutreffen. Er muss noch Geduld haben. Das erste Spiel der Kickers in diesem Jahr ist am 11. Februar bei Waldhof Mannheim.

Die Fanprojekte: Es war ein schwarzes Jahr für den Fußball. 1991 eskalierte die Gewalt in den Stadien. In Leipzig wusste sich die Polizei des Mobs nur noch mit der Waffe zu erwehren: Ein 18-Jähriger wurde erschossen. Danach entwickelte der Deutsche Fußballbund (DFB) 1993 ein Konzept für Sport und Sicherheit. Es wurden Fanprojekte gegründet, in denen Sozialarbeiter Fans bei den Spielen begleiten und sich ihrer Probleme abseits der Stadien annehmen. Die Kosten tragen zu je einem Viertel DFB, Deutsche Fußball-Liga, Stadt und Land. In Stuttgart stehen so 480 000 Euro für zwei Jahre bereit. In 57 Städten gibt es Fanprojekte, nun kommt Stuttgart als Nummer 58 hinzu.

Die Geisterfahrer: Es war eine seltsame Sache mit diesem Fanprojekt. Fast alle fanden es gut, doch wenn es zum Schwur kam, hatte der Gemeinderat außer warmen Worten nichts übrig. In bettelarmen Kommunen wie Dortmund, Gelsenkirchen, Essen, Mageeburg oder Berlin zwackte man das Geld ab. Und selbst in Städten wie Sinsheim, Heimat des Bundesligisten TSG Hoffenheim, mit seiner gelinde gesagt durchaus überschaubaren Fanszene, gönnte man sich immerhin gleich drei Sozialarbeiter. In Stuttgart? Fehlanzeige. Obwohl die Fans von VfB und Kickers fast zehn Jahre lang vereint dafür kämpften. Woran das lag? Für manche Parteien ist Fußball weniger Kulturgut denn Fußlümmelei; das Jugendamt glaubte mobile Jugendhäuser und Jugendarbeit reichten aus. Die damalige Sozialbürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch ließ einst im Rathaus eine Notiz kursieren, auf der sie geschrieben hatte, dass der VfB mit seinem Gewinn jetzt durchaus in der Lage sei, sein Fanprojekt selbst zu stemmen. Das war bezeichnend. Denn es verriet völlige Unkenntnis über Fanprojekte. Denn diese sind von Vereinen unabhängig. Ganz bewusst. Weil die Vereine eben auch Partei sind, etwa Stadionverbote aussprechen.

Der Anfang: Diese lange Wartezeit auf das Fanprojekt erschwert den Neuen den Beginn. Die Aufgaben, die anderswo Fanprojekte organisieren, haben hier Fanclubs übernommen oder die Vereine selbst. So haben der VfB und die Kickers Fanbeauftragte, der VfB hat gar einen Sozialarbeiter eingestellt, als sich die Stadt wieder einmal nicht an der Finanzierung beteiligt hat. „Wir wollen nichts an uns reißen“, sagt das Trio. Erste Kontakte habe man geknüpft, man wolle sich nun zeigen, reden, vor allem aber zuhören, was gebraucht und gewünscht wird. Dann zeige sich auch, was man konkret anbieten werde.

Die Arbeit: Klassische Einzelfallhilfe ist ihr Metier. So heißt das, wenn man jemanden unterstützt, der ins Straucheln gekommen ist. Sei es in der Familie oder im Beruf. Ein dringliches Problem ist für die Fanszene der Kickers, dass sie keinen Raum im Gazi-Stadion haben, den sie als Lager oder Werkstatt nutzen können. Dann zeichnet sich ab, dass das Vermitteln zwischen Ultras und Polizei eine Aufgabe sein wird. Denn da herrscht Funkstille. Und ein großes Thema sind Stadionverbote. Zu denen sagt Andreas Kirchner: „Sie sind pädagogisch sinnlos.“ Es helfe gar nichts, jemanden seines Umfelds und seiner Leidenschaft zu berauben, dann erreiche man die Leute gar nicht mehr. Zumal es kein Urteil braucht, der Verdacht reicht für ein Stadionverbot. Kirchner: „Mir liegt es fern, Gewalttäter zu verteidigen, aber für ein Stadionverbot kann es reichen, am falschen Ort zu stehen oder auszusehen wie jemand, der gesucht wird.“ Dann müsse man seine Unschuld beweisen. So wie man zum Beispiel in der Datei „Gewalttäter Sport“ des Innenministerium des Bundes landen kann, selbst wenn ein Gericht das Verfahren eingestellt hat.

Das Angebot: Die Räume sind dienstags bis donnerstags 12 bis 18 Uhr geöffnet. Bei Heimspielen drei Stunden vor dem Anpfiff und nach dem Abpfiff. Und nach Absprache. Es gibt Besprechungsräume, eine Küche wird noch eingebaut und ein Kicker aufgestellt. Eine Playstation 4 ist schon da. Reinhardt: „Mit einem blauen und einem roten Controller.“