Das Start-up Lilium hat einen Flugtaxi-Prototypen entworfen, der für den Transport von fünf Personen konzipiert ist. Foto: /Montage: Getty/Andriy Prokopenko

In Bayern könnte eine Fabrik für elektrische Flugtaxis entstehen. Das Start-up Lilium sieht sich weltweit als führend.

München - Wenige Industrieprojekte elektrisieren so wie Flugtaxis. Weit über 100 Ideenschmieden von Großkonzernen bis kleinen Start-up-Firmen tüfteln weltweit daran. Fern ist ein Regelbetrieb auf festen Flugrouten nicht mehr, wenn man Daniel Wiegand glaubt. „Wir planen vollen Betrieb mit zahlenden Kunden an zwei oder drei verschiedenen Orten für 2025“, sagt der Mitgründer des Flugtaxi-Pioniers Lilium aus Weßling bei München. Probebetriebe werde es schon vorher geben. Eine der Startstrecken könne in Deutschland liegen.

Zuständige Behörden und Kommunen, auf deren Gebiet gestartet und gelandet werden könnte, seien hierzulande nicht so zögerlich wie vielfach angenommen. Dazu kommt, dass Lilium selbst nun einen ein Meilenstein erreicht hat. Am 4. Mai um 8.03 Uhr hat ein fünfsitziger Lilium-Jet senkrecht abhebend seinen Jungfernflug als vollelektrisches Luftfahrzeug erfolgreich absolviert. Beim Gedanken daran wird Wiegand fast lyrisch. „Das Flugzeug in seiner ganzen Schönheit in den Himmel aufsteigen zu sehen, hat uns sehr berührt“, sagt er.

Mehr als ein paar Meter über dem Boden schweben, waren es aber nicht, wie ein Video vom Ereignis zeigt. Dennoch glaubt der Lilium-Chef, dass sein 2015 gegründetes Jungunternehmen die Nase gegenüber Konkurrenten aus aller Welt vorne hat. „Wir sind führend“, behauptet er mit Verweis auf Leistungsdaten. 300 Stundenkilometer schnell und das eine Stunde lang, also 300 Kilometer Reichweite pro Batterielandung bei fünf Sitzen könne sonst niemand bieten. Das stimmt insofern, als mittels Rotoren betriebene Konkurrenzmodelle meist nicht einmal mit der Hälfte dieser Geschwindigkeit unterwegs sind und nur zwei bis vier Sitze bieten. Angetrieben von 36 vollelektrischen und schwenkbaren Jetmotoren hat Lilium einen technologischen Ansatz gewählt, der sich bezahlt machen könnte.

Ein ICE der Lüfte?

Der Jet sieht aus wie ein Kleinflugzeug, Konkurrenzmodelle wie das vom Bruchsaler Start-up Volocopter eher wie Hubschrauber. Mit seinen Flügeln erzeugt der Lilium Jet anders als diese energiesparend Auftrieb im Horizontalflug. Im Energieverbrauch entspricht der emissionsfreie Elektroflieger nach Angaben seiner Erfinder dem eines Elektroautos auf gleicher Strecke. „Unser Jet passt perfekt auf Siedlungsstrukturen wie in Deutschland“, sagt Wiegand. Im Bayerischen Wald wohnen und in München arbeiten sei damit kein Problem. Für Landflucht gebe es keinen Grund mehr, denn mit Lilium könne man künftig zu Preisen wie bei herkömmlichen Taxifahrten am Boden zwischen Stadt und Umland pendeln. Der Elektroflieger könne mit ICE-Geschwindigkeit hierzulande fast jeden Ort an Metropolen anbinden, schwärmt Wiegand. Auch einen Lautstärkevorteil reklamiert er für sich. Von Rotoren in der Luft gehaltene Konkurrenzmodelle machen viel Lärm. Der ICE der Lüfte sei bei Starts und Landungen nicht lauter als ein Lastwagen, verspricht der Firmenchef.

Mit einem Zweisitzer ist das Start-up schon 2017 abgehoben und hat damit technische Machbarkeit demonstriert. Für einen rentablen Betrieb im großen Stil braucht es aber mehr Sitzplätze. Binnen 20 Monaten wurde der seriennahe Prototyp eines Fünfsitzers entwickelt, der anfangs mit Pilot und etwa ab 2030 auch ohne einen solchen autonom fliegen soll, sagt Wiegand. Der sei in enger Abstimmung mit der europäischen Flugsicherheitsbehörde Easa entwickelt worden und damit zulassungsnah. Auch in diesem Punkt glaubt Lilium im Konkurrenzvergleich mit vorne zu sein. Derzeit werde mit Städten und Kommunen über konkrete Strecken mit festen Start- und Landeplätzen verhandelt, verrät Wiegand. Das könnten Gebäudedächer oder Hauptbahnhöfe sein. Ein Abholen auf der privaten Wiese sei zwar technisch möglich, würde aber von Behörden nicht genehmigt.

Wo konkret erste Strecken geflogen werden könnten, verrät der Lilium-Chef nicht. In Deutschland gelten Städte wie Hamburg oder Ingolstadt als interessiert, international sind es Metropolen wie Dubai oder Miami. Als ideal würde es Lilium empfinden, wenn die drei Strecken zum Start 2025 regional verteilt in Europa, Asien und den USA lägen, um Vergleiche ziehen und den Betrieb maßschneidern zu können. Denn Lilium sieht sich nicht primär als Lufttaxi-Hersteller, sondern als Mobilitätsdienstleister. Auf den Standort einer ersten Flugtaxifabrik legt sich Lilium schon fest. „Der wird in Deutschland sein“, kündigt Wiegand an. Sie soll in räumlicher Nähe zur technologischen Entwicklung in Weßling liegen, womit Bayern als Fabrikstandort wahrscheinlich sei. „Wir werden noch einige hundert Stellen mehr aufbauen“, so Wiegand. Rund 300 Mitarbeiter beschäftigt das Start-up derzeit. Um Flugtaxis in Serie zu bauen, seien neue Investitionen im Umfang mindestens weiterer 100 Millionen Dollar (89 Millionen Euro) nötig, die man bisher einsammeln konnte. Der Firmenchef ist zuversichtlich: Bestehende Geldgeber wie der chinesische Internetriese Tencent, oder der deutsche Investor Frank Thelen seien von den Fortschritten begeistert. Auch neue Geldgeber zeigten Interesse. Zudem sei ein Börsengang möglich, wenn auch nicht mehr dieses Jahr.

Das Start-up rechnet mit einem Bedarf von mehreren 100 000 Stück

Wenn Flugtaxis als Mobilitätsdienst ankommen wie von Lilium geplant, rechnet Wiegand für 2040 mit einem Bedarf an Lilium-Jets von mehreren 100 000 Stück, die dann in mehreren Fabriken global verteilt gebaut würden. Für die deutsche Startfabrik ist eine jährliche Kapazität von unter 10 000 Stück geplant. Der eigentliche Ehrgeiz von Lilium liegt aber im Betrieb der eigenen Flugtaxis. Dazu ist parallel eine eigene Buchungsplattform auf App-Basis im Aufbau. Auch Partnerschaften sind dabei möglich. Aber den Kern einer künftigen Mobilität in der dritten Dimension wolle Lilium für sich reservieren. „Das ist die Beziehung zum Kunden“, sagt Wiegand und wittert hier das eigentliche Geschäft, das Lilium im Milliardenbereich verortet.